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Reisen eines Schweizers nach Südrussland,
1822-1828
,
zu den Nogayen, ein Tatarenvolk,
Nachbarn der Mennoniten

 

Ich fragte mal meinen Vater, ob sie damals Russen als Nachbarn hätten. Nein, als Nachbarn hätten sie Tataren. "War eure Beziehung mit ihnen wie die unsere mit Brasilianern?" "Vielleicht. Die Tataren waren aber sehr eigenartig." "Wieso?" Nun, darauf konnte er mir nicht so richtig antworten. Ich veröffentliche nun eine Serie mit Ausschnitten aus dem Bericht eines Schweizers, der zwischen 1822 und 1828 über die Nogayen, ein Tatarenvolk, das in der Nachbarschaft der mennonitischen Familien in Südrussland wohnte.Dabei machte der Schreiber auch immer wieder Besuche bei den Mennoniten und vermittelt uns einen Eindruck der damaligen Lage unserer Vorfahren. Er zeigt sich auch beeindruckt von Johann Cornies. Manche der Beschreibungen, obwohl die Tataren im Blickfeld sind, eignen sich auch um die wirtschaftliche und geographische Lage der Mennoniten zu verstehen.Das Deutsch der damaligen Zeit ist etwas anders von heute, aber durchaus verständlich.

 

 

Begegnung mit Mennoniten in Preussen/Polen

        Von Berlin eilte ich in Postwagen weiter über den Weichselstrom. Hier hielt ich mich einige Tage auf, um Erkundigungen über die südlichen Gegenden Rußlands einzuziehen, weil von hier jährlich mehrere Familien dorthin auswandern, besonders von den Mennoniten, welche den größten Theil der Bewohner der Weichselniederung {in Polen} ausmachen.

     Gerne benutzte ich die Gelegenheit, diese Gemeine, mit der ich zum Theil schon in den Niederlanden bekannt geworden, noch näher kennen zu lernen. Im Postwagen von Berlin her hatten Offiziere gewaltig über Juden und noch mehr über Mennoniten geschimpft, weil letztere durch Privilegien vom Militärdienste freigesprochen sind. Der {preussische} Staat scheint mit ihnen zufrieden zu sein, und so sehr auch Wohlstand und Sittlichkeit unter den Mennoniten gesunken sind, so zeichnen sie sich von andern Bewohnern dieser Gegenden noch immer vortheilhaft aus. Noch ist ein Verbrecher eine Seltenheit unter ihnen.

     Indessen scheint der Zeitpunkt heranzurücken, wo der Staat rücksichtlich des Militärdienstes keine Ausnahme mehr machen wird. Gewiß auch würde jetzt bei dem größten Theile der Mennoniten deßhalb weniger das Gewissen beschwert werden, als das Herz erschrecken vor den Mühen und Gefahren des Kriegshandwerks, da es mehr nur noch oberflächlich gelehrt als treu geglaubt wird, daß jener Stand unrecht sei. Wenigstens der Selbstvertheidigung scheint, wie man sieht und hört, der größere Theil jetzt nicht mehr abgeneigt zu sein. Wer sich aber selbst mit Gewalt oder gar mit Waffen vertheidigt, der ist dies eben sowohl dem Ganzen schuldig, und es kann ihm dann nicht Sünde sein, auch darin der Obrigkeit zu gehorchen.

     Was diese Gemeinde oder Sekte, wie man eine kleinere Gemeine zu nennen pflegt, noch besonders auszeichnet, ist, daß sie nur Erwachsene in der Religion unterrichtete Personen, aber keine Kinder tauft. Früher hielten die Aeltesten und Lehrer der Gemeine strenger auf wirkliche Ueberzeugung und lebendigen Glauben des Täuflings. Daher konnte oft Einer alt werden, ehe er zur Taufe und Abendmahl zugelassen wurde. Wer sich nachher als Heuchler zeigte oder abfiel, und in seinem Lebenswandel seinen Glauben verläugnete, der wurde aus der Gemeine ausgeschlossen. Jetzt gilt mehr Ansehen der Person. Das bloße Bekenntniß des Mundes genügt.

    Im Alter von 16 oder 18 Jahren, oder wenn Einer heirathslustig ist, wird gewöhnlich ohne Unterschied getauft. Selten wird noch Jemand aus der Gemeine ausgeschlossen. Was dann dabei gewonnen sein mag, oder was der Mennonite vor andern Kirchenparteien dann noch Besseres zu haben glaubt, mag ihm zu bedenken überlassen sein.

Neu-Rußland. Die Molotschna.

     Die großen Poststraßen in Rußland gehen in geraden Linien über Berg und Thal. Sie sind auf beiden Seiten mit einem Graben und auf jeder Seite mit zwei Reihen Bäumen besetzt. Hohe Pfähle mit Nummern bezeichnen bei jeder Werst (altes russisches Längenmaß = 1,067 km) die Anzahl derselben, sowohl von der verlassenen als auch von der nächstfolgenden Station an gezählt. Je weiter man nach Süden kommt, desto einförmiger wird im Ganzen die Gegend. An der Straße findet man — auch oft selbst in den Städten — nur schlechte Schenken oder sogenannte Tracteurs, in welchen weiter nichts als Branntwein, und höchstens allenfalls ein Bissen schwarzen Brotes zu finden ist.

     So wie man nach Neu-Rußland {die kürzlich von den Türken eroberten Gebiete. Siehe weitere Information in Wikipedia} kommt, findet man sowohl in der Bauart der Häuser, als auch in Sitte und Lebensart und in Gestalt und Charakter der Bewohner eine große Verschiedenheit gegen Alt-Rußland. Der Neu-Russe ist im Ganzen gutmüthiger, treuer und weniger fanatisch als der gemeine sogenannte Moskowite.  Die Häuser sind, statt von Holz, von Erdziegeln erbaut und mit weisser Erde übertüncht.

     Man kommt auch da und dort durch Militärkolonien und durch jüdische Kolonien. Letztere wollen durch Schuld der arbeitscheuen, schachersüchtigen Israeliten nicht recht gedeihen.  {Der Autor dieses Buches erweist eine durchgehend judenfeindliche Gesinnung, was wohl der Sichtweise vieler seiner Leser der damaligen Zeit entsprach}.

    Wer im Innern von Rußland reist, wird sich, selbst wenn er der Landessprache mächtig sein sollte, als Teutscher doch gewiß freuen, wieder teutsch reden zu hören, und sich nach der langen Reise unter Russen auf einmal wieder wie nach Teutschland versetzt zu sehen.

 

Die Mennoniten in der Ukraine

    Diese teutschen Kolonisten, lauter Preussen von der Gemeine der Mennoniten, haben sowohl teutsche Bauart der Häuser als auch frühere Lebensweise beibehalten; nur sind, woran sich das Auge gerne gewöhnt, die Dörfer hier regelmäßiger angelegt. Ihre Bewohner geniessen große politische und völlige religiöse Freiheit, haben vielen und fruchtbaren Boden, und nähren sich alle nicht kümmerlich von Viehzucht und Ackerbau.

    Sie haben zum Theil hier die Djneper-Gegend inne, welche früher von den berühmten Saporoger-Kosaken bewohnt gewesen ist, bis diese nachher zum Theil an und über die Donau gezogen, zum Theil, unter der Kaiserin Katharina, in die Gegend zwischen dem Don und Kuban am Asowschen Meere angesiedelt wurden.

    In Chortitz, dem Hauptorte des Gebietes {der Mennoniten}, wird in einem eigens dazu errichteten kleinen Gebäude das schöne Privilegium der Mennoniten aufbewahrt, welches von der Kaiserin Katharina II. ertheilt und von Kaiser Paul III. bestätigt worden ist. Diese Teutschen sind schon seit etwa dreißig Jahren angesiedelt, und wohnen jetzt in achtzehn Dörfern.

   In Neuenburg trennte ich mich von meinen Reisegefährten, und gieng bei dem Dorfe, Einlage  genannt, über den Dnjepr, nicht weit von dessen Katarakten, in einer wilden, romantischen Gegend; dann durch die russische Kreisstadt und kleine Festung Alexandrowsky und die Mennoniten-Kolonie Schönwiese, durch die teutsche Kolonie Grünenthal,  nach dem Hauptorte der teutschen Kolonien am rechten Ufer der Molotschna oder des Milchflusses — auch Molotschna  genannt.

   Bei der auf einer Anhöhe gelegenen, schönen, auf kaiserliche Kosten erbauten Kirche der evangelischen Kolonisten genießt man einer weiten Aussicht auf die Niederungen und auf viele teutsche, auch einige russische Dörfer. Diese Ländereien der Teutschen an der Molotschna gehören in's Taurische Gouvernement. Die Kolonien jedoch stehen nicht unter der Gouvernements-Regierung, sondern unter dem Comptoir für auswärtige Ansiedler.

   Jedes Dorf wählt sich den Dorfschulzen, das ganze Gebiet den Oberschulzen oder Gebietsvorsteher. — In kirchlicher Hinsicht stehen die Evangelischen unter dem Superintendenten in Odessa, die Katholiken unter dem Bischof vom Mohilew; die Mennoniten lediglich unter ihren selbstgewählten Lehrern und Aeltesten, welche erstere die Prediger, letztere die Bischöfe der Gemeine sind.

    Jedes Jahr werden neue Dörfer angelegt, wiewohl die Auswanderung aus Preussen sowohl als die Einwanderung in Rußland durch neue Verordnungen etwas erschwert ist. Die Lust zur Auswanderung nach Rußland hat überhaupt in Teutschland etwas nachgelassen, seitdem man mit jenem Lande mehr bekannt geworden, und die idealischen Vorstellungen von demselben durch die Wirklichkeit viel von ihrem Zauber verloren haben.

    Nicht weniger hat der Chiliasmus (die Erwartung des tausendjährigen Reiches Christi auf Erden), der so viele nach Rußland trieb, durch die in Folge der großen politischen Katastrophe von 1813 {durch Napoleon} für das Abendland eingetretene Friedenszeit sich sehr gemindert. Wer aber gleichwohl auswandern wollte, und wirklich auswanderte, der hat es, wie ich glaube, keineswegs zu bereuen, nach Rußland gekommen zu sein.

   Von Prischep gieng ich über den Milchfluß {= Molotschna} nach Halbstadt, dem Hauptorte des Mennoniten-Gebiets, und durch mehrere Dörfer, deren Namen sämmtlich aus Preussen entlehnt sind. Diese Mennoniten-Dörfer zeichnen sich durch gute Bauart und sichtlichen Wohlstand bedeutend vor denen am rechten Ufer der Molotschna aus. Abends langte ich in dem den Nogayen-Tataren von dieser Seite am nächsten gelegenen teutschen Dorfe Ohrlof an. Den 15. des Oktobers 1822 verließ ich die Molotschna.

 

Die Reise von der Molotschna nach Odessa ist ziemlich beschwerlich für den, der sie nicht in eigenem Reisewagen und mit der Post macht; in den sogenannten Trakteurs ist sehr wenig zu finden, und vor Ungeziefer ist man in den Häusern nicht sicher. Man zieht es daher vor,  auf der Steppe neben der Straße zu bivouakiren {das Lager aufschlagen}. Jeden Tag ritt ich etwa 70 Werste oder 10 Meilen, was in diesen Gegenden wenig ist.

    Dem Mangel an Trinkwasser und gepflasterten Straßen wird immer mehr abgeholfen. In wenigen Städten werden vielleicht mehr verschiedene Sprachen gehört als in Teutschland. Fünf oder sechs Sprachen erlernt zu haben, ist noch nichts Ungewöhnliches, ein Siebensprächler hiermit kein Wunder. Am meisten wird Neugriechisch und Russisch gesprochen, dann Italienisch und Französisch, hierauf Teutsch, Englisch, Türkisch, Armenisch, Polnisch, Tatarisch, Moldauisch, Jüdisch. Neben der neuesten Modetracht der europäischen Städter findet man Armenier, Griechen, Karatten, Türken, Juden, Tataren und Russen in ihrem eigenthümlichen Costüm.

    Wer nicht die polnische oder russische Sprache kennt, der ist in diesen Gegenden noch recht froh, Juden zu finden.

Der Autor berichtet nun über sein Hauptinteresse, das Tartarenvolk der Nogayen

      Dem sklavisch behandelten weiblichen Geschlechte unter den Tataren suchte ich mit Absicht gerade die Achtung wie dem männlichen zu erweisen. Weder Anstoß noch Verachtung war die Folge. Auf der Straße ließ ich Weiber, gegen Gewohnheit, auch vor mir vorüber gehen, indem ich mit der Hand das Zeichen gab, nicht stille zu stehen und auf mein Vorübergehen zu warten. Auch daran gewöhnte man sich, daß ich Arbeit {bei den Nogayen} verrichtete, welche, von den Männern verachtet, nur Weibern oder Sklaven zukommt.

     Ali {der nogayische Tatarenfreund} war anfangs nicht wohl damit zufrieden, weil er Vorwürfe von andern Tataren erwartete, daß er mich solche Arbeit thun heiße; als aber bald bekannt wurde, daß ich dies freiwillig thue, so ließ er es gerne zu, und sagte : „Nun Daniel, wenn du es eben thun willst, so ist es mir auch ganz recht! Du weißt, die Frau hat zu viel Arbeit, Dienstmägde und Sklaven sind nicht zu haben, und Tataren-Knechte wollen solche Arbeit nicht thun." War Ali abwesend, so aß ich auch mit der Frau aus einer Schüssel, wiewohl sie sonst nicht mit Männern, selbst nicht mit dem Gatten speisen dürfen.

       Mit meiner Gesundheit gieng es im Ganzen sehr gut; nur Augenkrankheit plagte mich, und bei großer Hitze und anstrengender Arbeit ward mir oft schwindlicht. Bei der Heuernte in nassem Grase bekam ich Löcher an den Füßen, welche aber bald wieder heil wurden.

    An die Speise der Tataren gewöhnte ich mich bald, so daß ich in kurzer Zeit das Pferdefleisch dem Schaaffleische vorzog. Aber das Essen wollte bei der Art zu sitzen nicht recht anschlagen. Der zusammengepreßte Unterleib war bald angefüllt; ich glaubte mich sitzend satt, und fand mich aufstehend noch leer. Das Sitzen überhaupt machte mir im Anfang einigen Schmerz in den Knochen; nachher aber fand ich es recht bequem.

    Die täglichen Strapazen, Nässe, Kälte, Hitze, Durst, Mangel an gutem Wasser, oft auch — gegen den Willen des Wirthes — Mangel an nöthiger Nahrung, schlechtes, hartes Nachtlager, alles was im Leben auf solchen Steppen und bei einem rohen Volke dem verzärtelten Städter Schweres bringen kann, war doch noch recht wohl zu ertragen. Aber die Menge Ungeziefers, das den Nacken und Rücken zerfrißt, und selbst bei großer Müdigkeit und Schläfrigkeit des Nachts kaum schlafen läßt, und dem man im Umgang mit Tataren und Tatarenkindern nie ganz los werden kann, so wie die große Uureinlichkeit der Speisen waren von den äussern Umständen meiner jetzigen Lage die unangenehmsten und beschwerlichsten.

    Uebrigens machte mir der im Grunde doch unglückliche Zustand dieses Volkes, ihr trost- und freudenloses Dahinleben, sodann auch die Trennung von Geliebten in Teutschland und der Schweiz, manchen Schmerz, so sehr ich mich sonst an gewünschter Stelle fühlte. Eben dieses Sehen und Mittheilnehmen an dem Elend eines Volkes schloß mich um so inniger an selbes an.

    Es war ein Trost und eine Freude für mich, wenigstens mitleiden zu können, wie ich es, ohne selbst gesehen und erfahren zu haben, nicht im Stande gewesen wäre, so viel Mitleid auch das bloße Hören von dem Zustande der muhammedanischen und heidnischen Welt in uns anfachen mag. Ich freute mich, zur Verbesserung ihres Schicksals, wenn auch in noch so geringem Maße, beitragen zu können, und zu sehen, daß die hohe Regierung so sehr für das Wohl auch dieses ihr untergebenen Volkes sorgt.

    Da ich bei den Tataren keine Gelegenheit hatte, nach der Schweiz zu schreiben, so ließ mich Ali oft in das nur zwei Meilen entfernte teutsche Dorf Ohrlof {Mennonitendorf} reiten, wo ich immer mit gastfreundlicher Liebe aufgenommen wurde. Unter diesen Teutschen lernte ich manche vortreffliche, achtungswerthe Menschen kennen, deren Umgang mir zur Freude und zum Nutzen gereichte.

 

Das Leben im Hause seines Tartarenfreundes Ali

     Ali war immer darauf bedacht, mir meinen Aufenthalt angenehm zu machen. Er behandelte mich nicht als Diener, sondern als Freund und Bruder, und gab mir viele Beweise seiner Liebe. Hier nur ein Beispiel.' — Einst verkaufte er auf einem entfernten Markte zwei junge, schöne, sich ganz ähnliche Ochsen, die ich oft geweidet hatte. Da Ali fortgieng, sagte ich auf dem Markte zu einem neben mir stehenden Tataren, als von diesen Ochsen die Rede war, daß ich diese Thiere ungern verliere. Der Tatar sagte dies ohne mein Wissen, nachdem wir nach Hause zurückgekehrt waren, meinem Wirthe Ali, welcher sogleich den Käufer aufsuchte, ihm den Erlös nebst zehn Rubel Reuekauf gab, die Ochsen zurück erhielt, und nach einigen Tagen solche mit freudigem Lächeln vor's Haus führte und mir sagte: „Sieh Daniel! da hast du deine Ochsen wieder; laß dir doch nicht leid sein!"

 

Der Autor soll für seinen Tartarenfreund Ali eine neue Frau kaufen

Zutrauen zeigte er mir unter Vielem auch darin, daß er mich bei einem Mädchenhandel gebrauchte. Er wollte sich zu seiner jungen Frau noch eine zweite anschaffen. Aus der Krimm kamen zwei Mädchen mit ihren Eltern in's Dorf, um verhandelt oder verheirathet zu werden. Da diese als nicht zum ächten Stamm der Tataren gehörend von den Nogayen angesehen sind, und wohlfeil verkauft werden müssen, so schickte mich Ali mit einem kleinen Geldstück in das Haus, wo diese Familie sich aufhielt, um diese Mädchen zu besehen, und ihm Bericht zu erstatten, da der Werber selbst sie nicht sehen durfte.

    Im Vorhause gab ich den Aeltern die Silbermünze, worauf mich diese in's innere Zimmer führten, wo die Mädchen waren, welche, wie mir schien, ihr Schicksal mit Ergebenheit und ohne Sorge erwarteten. Steif und schüchtern saßen sie in ihrem Putze da, sich zu zeigen. Man ließ mich eine Zeitlang allein bei ihnen. Nach einigen Fragen heiterten sich ihre Gesichter auf. Es war ihnen etwas Neues, freundliche Worte und zwar in gebrochenem Tatarisch zu hören. Sie waren eben nicht hübsch, die eine dreizehn, die andere siebzehn Jahre alt. Ali aber schien zufrieden, daß ich ihm die Frage, — ob sie fett wären und schwarze Haare hätten, mit ja beantworten konnte. Die Mädchen hatten viele Werber, Ali wurde überboten, und sie sind nun in dem Dorfe Burkud verheirathet.

    Ali war im Handel um eine Frau begriffen und hielt dann auch in den ersten Tagen nach meiner Ankunft Hochzeit. Es war eine junge Wittwe, die er wohlfeil gekauft hatte, eine sehr lüderliche, lügenhafte Person. Ich sagte Ali, daß er dies wohl hätte in Erfahrung bringen können, worauf er achselzuckend erwiederte: Sie ist wohlfeil. Gott weiß. Dem Geschick sei's überlassen!

    Ali liebte dieses Weib nicht; der schönen Tasche, seine erste Frau, hingegen war er noch nicht überdrüssig. Er wollte sie durch das Wegjagen und durch eine zweite Frau nur demüthigen. Tasche war klug genug, dem Mann ihren Mangel fühlen zu lassen und die Wiedervereinigung nicht zu suchen; Ali hingegen, stolz genug und, da er sie weggejagt hatte, die Folgen fürchtend, wenn er ihr die Hand böte, wollte sie zwingen, Abbitte zu thun und ihn wieder zu suchen. Er schickte mich mehrmals unter dem Vorwande von Geschäften in das Dorf, in welchem sie bei ihren Aeltern wohnte, um ihre Gesinnung auszuforschen.

    Wiewohl sie es bei diesen armen Leuten recht schlecht hatte und gerne wieder mit Ali vereint gewesen wäre, so spielte sie doch lange die Gleichgültige, oder sagte wohl gar lachend, daß Ali sie werde bitten müssen. Endlich ward es ihr doch zu lange und sie suchte Gelegenheit, zu ihm zu kommen. Sie vermochte ihren alten Vater nebst einem Oheim, mit ihr durch Burkud (wo Ali wohnt) in ein anderes Dorf auf Besuch zu einer Schwester zu fahren; als sie in Ali's Dorf ankamen, bat sie ihren Vater, die Kinder ihres Mannes besuchen zu dürfen. Sie hatte aber die Absicht, nicht wieder fortzugehen und Ali war entschlossen, sie, im Betretungsfalle, nicht mehr gehen zu lassen.

    Er war zufrieden, daß sie wenigstens den Anfang zur Aussöhnung gemacht hatte. Der Vater wollte sie holen, um weiter zu reisen. Jetzt entspann sich ein Streit, bei welchem die alten Verwandten mit geschwollenen Köpfen davon kamen und Tasche dem Ali überlassen mußten. Tasche vertrug sich aber schlecht mit ihrer neuen Konkurrentin und war im Stande, diese Wittwe bald aus dem Hause zu verdrängen. Eine schlechte Handlung, welche letztere begieng, gab Ali Anlaß, sie durchzuprügeln und aus dem Hause zu jagen. Tasche war nun wieder allein mit ihrem Manne.

 

Daniel, der Autor, will verhindern, dass sein Freund die Frau schlägt

    Seine Frau wünschte wohl eine Sklavin, aber nicht ihrem Manne eine zweite Frau, und wollte sich nicht gerne in die Sitte der Vielweiberei fügen. Einigemale kamen Ali und ich hart aneinander. Da die Frau sehr nachlässig war, so gab es oft Prügel. Es war mir nicht möglich, dieses ruhig anzusehen; denn er schlug zu arg und schonungslos, oft bis aufs Blut, mit einem Hammer oder was ihm eben zur Hand kam, gewöhnlich mit der Kantschu oder der dicken, steifen Peitsche. Ich stand zwischen ein, und dies konnte Ali nicht gefallen. „Mische dich nicht in diese Sache, sondern bleibe bei deiner Arbeit!" sagte er. ,,Du kennst unsere Weiber nicht; sie folgen nicht ohne Schläge. Sie lieben uns nicht, und können uns nicht lieben, weil sie gekauft werden. So sollen sie uns denn fürchten, oder wir sind sammt unserer Hausherrschaft verloren." Er lobte unsere Art zu heirathen und unsere Frauen.

    Um meiner zu schonen, wurde ich, so oft er für gut fand, die Frau zu züchtigen, unter irgend einem Vorwand in ein anderes Haus des Dorfes geschickt, etwas zu holen oder zu bestellen, und ich hörte es erst nachher, oder sah dann wohl die Frau blutend. Diese war mir wenig erkenntlich für meine Theilnahme, verwunderte sich über meine Weichherzigkeit, und fragte, was mich denn dieses bekümmere, und was mich die Sache angehe? Sie schien eine tüchtige Tracht Schläge nicht viel hoher anzuschlagen, als bei uns etwa ein derber Verweis, ein Wortwechsel aufgenommen wird. Der Hausfriede war eigentlich dadurch nicht gestört; denn in einigen Stunden waren sich beide wieder so gut, als ob nichts vorgegangen wäre.

   Tasche, so hieß Alis Frau, war wieder mit einem Mädchen niedergekommen, welches Dauwletkan (die Glückselige) genannt wurde, welches aber nach einem halben Jahre starb. Ali zeigte sich mir, bei aller Heftigkeit des Temperaments, immer mehr als einen vor Allen, die ich kennen lernte, ausgezeichnet redlichen und wackern Mann, der auch überall geachtet und wegen seines Verstandes und seiner Erfahrungen von Vielen zu Rathe gezogen wurde. Er ist guter Muselmann, aber noch eifrigerer Tatar, der mehr an dem Volksthümlichen als an dem Islam hängt. Er liebt väterlich herzlich seine Kinder, und nimmt sich Nothleidender und Bedrückter mit großer Wärme aus allen seinen Kräften an. Möge der wackere Ali, und mögen die Seinigen gesegnet sein!

 

Herkunft der mennonitischen Nachbarn,  die Nogayen

    Man findet also die Nogayen bisher immer als Nomadenhorden und als ein weit und breit räuberisch umherziehendes, wildes und rohes Volk, das sich von den mongolisch-tatarischen Horden losgerissen, dann diese bekriegt, und mit Rußland gegen die Mongolen gehalten hat. Ungerne gewöhnten sich die Nogayen an feste Wohnplätze.

    Der Nogaye, unstät und flüchtig, dem Ackerbau und der Feldarbeit abgeneigt, wünschte sich den Nomadenstand zurück, und rühmte nun wieder die alte Zeit, den Sultan und Chan. Es geschahen Versuche zum Aufstand. Einmal war es schon dazu gekommen, daß Viele sich Nomadenhütten angeschafft, Hausgeräthschaft und alles, was ihnen auf einer Reise nicht dienen konnte, gegen Zugvieh und Wagen vertauscht hatten um in Masse aufzubrechen, das Land zu verlassen, und nach Osten zu ziehen.

   Später hielten sie einmal um Erlaubniß an, weiter ziehen zu dürfen, welches ihnen aber verweigert wurde. Nach und nach von russischen und teutschen und mennonitischen Kolonien eingeschlossen, gewöhnten sie sich immer mehr an ein ruhiges Leben.

 

Eigenschaften der Nogayen

    Der Nogaye erkennt aus der größten Heerde selbst der sich oft so sehr gleichenden Schaafe mit Leichtigkeit die seinigen vor andern, und Hirtenjungen unterscheiden und erkennen ein jedes Schaaf ihrer Heerde ohne irgend ein besonderes Zeichen, bloß an der Physiognomie des Thieres.

    Was bei uns so oft nur um des Lobes willen geschieht, das thun sie, ohne daß darüber weiter ein Wort gesprochen wird, ganz ungezwungen und unerkünstelt, als müßte es so sein. So Manches, was bei uns unanständig und unsittlich ist, das ist es ihnen nicht; aber auch umgekehrt sind ihnen viele unserer Sitten ärgerlich, und würden als unanständig angesehen.

 

Zanksucht.

   Der Nogaye ist zanksüchtig, muß man wohl denken, wenn man die Männer sich so oft über Kleinigkeiten streiten, zanken, abscheulich schelten, ja wohl bis auf's Blut prügeln sieht, und wenn die Männer so oft ihre Weiber prügeln. Aber wo ist nicht Zank und Streit, wenn von einem ganzen Volke die Rede ist?! Freilich zeigt sich die Zanksucht des rohen Nogayen anders, als die gebildeterer Völker. Was uns Kleinigkeit zu sein scheint, muß bei ihnen, nach ihren Umständen und nach ihrem Vermögen, nach ihren Begriffen von Werth und Unwerth wichtig, groß und bedeutend erscheinen. Auch ist zu erwägen, daß bei ihnen eine Tracht Schläge, ein blaues Auge, ein Loch im Kopfe nicht höher angeschlagen wird, als bei uns ein derbes, hartes, beleidigendes, die Ehre reizendes Wort.

    Ich bin überzeugt, daß die Nogayen dabei im Herzen weniger böse sind als diese, und es sich gegenseitig leichter und schneller vergessen. Spricht man mit ihnen darüber, so merkt man, daß sie sich verwundern, als zanksüchtig angesehen zu sein, und der Beleidigte oder Geschlagene selbst erstaunt, wenn man ihm Beileid bezeugt oder sonst von der Sache Aufhebens macht.

    Während des fürchterlichsten Zankens und Prügelns geht der Eine in's Haus, zündet ruhig sein Pfeifchen an, und geht dann aufs Neue auf den Gegner los. Ist die Schlägerei zu Ende, so behält Jeder seinen geschwollenen Kopf, und es wird selten noch etwas von der Sache gesprochen. Man kommt wohl am nämlichen Tage oder bald nachher wieder zusammen, ohne sie im geringsten zu berühren, und ist sich wieder gut.

    So ist es auch mit den Weibern, wenn sie geprügelt werden. Dies bringt eben nicht mehr Unfriede in's Haus, als auch anderwärts gefunden wird, wo nur Wortwechsel und Verweise vorkommen. Das Weib sieht es als einen wenig bedeutenden Vorfall an, oder wohl gar als hätte der Mann eben nicht mehr als seine Pflicht erfüllt. Unfriede zwischen Mann und Weib ist unter den Nogayen vielleicht im Ganzen weniger als bei uns zu finden.

    Freilich ist es auch hier nicht überall gleich; aber im Allgemeinen ist der Hausfriede nur im Augenblicke des Zanks gestört, der dann weiter keine schlimme Folgen, Mißmuth, Kümmerniß, Rachsucht oder Haß nach sich zieht.

    Unfein ist allerdings die Art dieses Streites. Am Abend hört man oft an mehrern Theilen des Dorfes zugleich ein Gelärm und Schelten. Man balgt und schlägt sich, umgeben von einem Kreise von Zuschauern, die nicht bald, nur etwa wenn es zu arg werden sollte, sich darein mischen, und den Streit zu schlichten suchen.

    Auch Weiber ringen öffentlich mit einander. Ich sah auch wohl zwei Männer sich schlagen und neben ihnen ihre Weiber sich die Kleider zerreissen, einander zu Boden werfen und jämmerlich im Gesicht mit den Fäusten zurichten. Ist der Streit bedeutender, so thun sich die Aeltesten des Dorfes oder der Dorfschulze hinzu, und die Sache wird verhandelt.

   Man sieht in Zeiten, die wenig Arbeit auferlegen, sehr oft halbe Tage lang einen Haufen Tataren vor einem Hause auf ihren Füßen sitzend, die Pfeife schmauchend, den Bart streichend und Allah, Allah sagend, in Gesprächen und Erzählungen über eine Streitsache zubringen.

   Namentlich giebt auch der Weiberhandel viel Anlaß zu Streit. Viel Zank entsteht wegen der Viehweide, besonders auch mit Nachbarn, da die Gränze nur sehr schlecht bezeichnet ist, und die oft Hirtenlosen Heerden auf fremdes Land kommen. Auch dem geduldigen und gutmüthigen Menschen giebt das Steppenleben viel Veranlassung zu Uneinigkeit mit Andern. Die Cisternen oder Brunnen geben ebenfalls, wie schon ehemals zwischen den Hirten Lots und Abrahams, viel Stoff zu Streit, da oft großer Mangel an Wasser ist, und eine beträchtliche Heerde Vieh, die getränkt werden muß, einen oder mehrere Brunnen erschöpfen kann.

    Man muß sich unter den Nogayen ein Volk denken, das gewohnt war, diese Steppen und die Weide überall als Eigen, ihm anzusehen, und das sich in seinem Besitze beschränkt fühlt. Wenn der Tatar auf einer erhöhten Gegend auf russische und mennonitische Dörfer blickt, so sagt er mit Bewegung: „Sieh, all dies Land war unser! Da wohnten und weideten wir. Damals waren wir reich und hatten unsere Lust!"

    Nimmt man noch dazu, daß diese ihnen abgenommene Länder von Christen, von Ungläubigen, bewohnt werden, dann wird man ungefähr beurtheilen können, wie in ihren Augen ein Pferdediebstahl erscheinen muß. Man wird sich dann nicht wundern, daß, wie unter uns, so auch unter ihnen Diebe sich finden.

 

Diebstahl gehört zum Alltag

     Die Tataren bestehlen sich sowohl unter einander als auch, wiewohl häufiger, ihre Nachbarn. Sie zeigen bei ihren Diebstählen Gewandtheit und Klugheit. Selten mißlingt ihnen der Streich. Sie brechen Nachts in die Ställe der Teutschen, machen mit den gestohlenen Pferden mancherlei Umwege in ihr Dorf, um die Spur der Pferde in Bächen und auf verschiedenen Strassen und im Sande zu verwirren. Im Dorfe angekommen, sucht man die besten aus ihnen weit weg zu transportiern und zu verkaufen; gewöhnlich aber werden alle geschlachtet, abgeledert, zerstückt, eingesalzen, und das Fell wird in die Erde verscharrt.

    Will der Nogaye gestohlenes Vieh verkaufen, so findet er auch unter Russen und Teutschen der Hehler und Abnehmer genug. Im Ganzen kann dem Nogayen eher etwas anvertraut werden als dem gemeinen Russen. Der Tatar, der sich Kleinigkeiten zu stehlen erlaubt, wird eine ihm anvertraute größere Summe mit Sorgfalt und Treue verwahren und zurückstellen. Beispiele dafür sind viele vorhanden. In dem Hause, wo ein Fremder einmal aufgenommen worden, darf er dem Wirthe mit völliger Ruhe seine Habseligkeiten anvertrauen.

 

Der Nogaye bei seinen russischen und teutschen Nachbarn.

     Kommen Nogayen als Gäste, eingeladen oder uneingeladen, zu Teutschen und Russen, so lobt er deren Klugheit und Geschicklichkeit, die schöne Einrichtung und Leitung der Wirthschaft, und zählt sich und sein Volk zu den Ochsen und Eseln. Hat er ihnen aber den Rücken gekehrt, so lacht er und spricht ganz anders. „Der Teutsche versteht nichts", sagt er, „er weiß nicht mit Pferden umzugehen; er kann keine rechte Butter, er kann keine Djughrt machen. Wohl sind's eben nur — Christen, keine Muselmänner."

    Milch ist das, was der Nogaye bei Teutschen am liebsten genießt. Brod nimmt er auch an, wenn es nicht mit Fett oder Butter gebacken und nicht mit einem Messer zerschnitten wurde, mit dem man auch Schweinfleisch zerschnitten hat. Kuchen und Fleisch ißt er in der Regel nicht; erstere, weil sie mit Schweinfett könnten bereitet sein; letzteres, weil es nicht von einem nach ihrer Weise geschlachteten Thiere kommt.

    Es giebt aber junge Tataren, welche sich über alles wegsetzen und, wenn es ihnen nur nicht gesagt wird, selbst Schweinfleisch essen, sich stellend als kennten sie es nicht. Die Neugierde und Zudringlichkeit des besuchenden Nogayen ist sehr groß, besonders aber der Weiber, denen die einfachen Bauernhäuser wie Paläste vorkommen. Sie wollen alles betasten und alles haben. Ihre besondere Aufmerksamkeit erregen Spiegel und Wanduhren, und sie bitten sich auch wohl solche ohne Bedenken zum Präsent aus.

 

Wenn Nogayen auf Mennonitenhöfe kommen

     Die Lebensart der Teutschen und Russen, namentlich den Gebrauch der Tische und Stühle, finden sie sehr unbequem. Da bei den Teutschen Einige sich mit Heilung von Krankheiten befassen, so kommen Nogayen mit Weibern und Kindern als Patienten; doch gewöhnlich erst dann, wenn das Uebel zu weit gegriffen hat oder zu tief gewurzelt ist, und alle ihre Hausmittel und Zauberkünste nicht anschlagen wollten.

    Zudem bezahlen sie nicht gerne, und brauchen die gegebenen Mittel selten nach Vorschrift. Hinderlich ist Hiebei auch ihre geringe Bekanntschaft mit der russischen und die Unkunde der Teutschen in der tatarischen Sprache. Demnach ist von solchen Kuren wenig zu erwarten.

    Als Arbeiter sind die Nogayen von Teutschen und Russen gesucht. Sie arbeiten schneller und besser als der Russe, und werden deßhalb von den Teutschen vorgezogen. Sie werden hauptsächlich zur Heuernte, zum Dreschen mit ihren Pferden und zur Reinigung des Waizens gemiethet. In der Erntezeit werden sie täglich nebst Kost mit 60 Kopeken bis ein Rubel Banco, d. h. mit 20 bis 30 Kreuzer rhein bezahlt, was immer nicht wenig ist, aber gegeben werden muß, weil des Landes viel, der Hände wenig sind, und fast Keiner ohne eigene Wirthschaft und Beschäftigung ist.

    Als Schaaf und Pferdehirten sind die Nogayen ebenfalls gesucht, da sie nicht träge und sehr aufmerksam sind, und mit Pferden sehr gut umzugehen wissen. Als Bettler kommen sie ziemlich häufig in benachbarte Dörfer, und werden selten leer abgewiesen, obgleich sie nicht mit allem zufrieden sind. Am liebsten empfangen oder nehmen sie Geld, dann Mehl oder Waizen, weniger gerne Brot oder Fleisch.

     Kommen sie als Gäste auf Besuch, als Bettler oder Arbeiter in die teutschen oder russischen Dörfer, so ist sehr selten, daß etwas gestohlen wird. Hiezu kommen sie eigens, und zwar um Vieh, besonders Pferde, zu stehlen. Einbruch in die Wohnhäuser kommt, so wie Straßenraub, nur selten vor. Die Nachbarn sind im Ganzen mit den Nogayen sehr zufrieden, und wünschen nur, daß die Stelle eines Chefs dieser Tataren immer mit einem uneigennützigen und für´s Allgemeine wohl bedachten Manne besetzt sein möchte.

Erziehung und Kinderzucht.

    Kinder, besonders Knaben, werden für einen Segen Gottes gehalten. Bei Geburt eines Knäbleins ist größere Freudenfeier, als bei der eines Mädchens. Doch werden diese von Vielen vorgezogen, weil sie Geld und Gut einbringen. Hier gilt der Spruch: Viel Mädchen geben Reichthum. Bei den Geburten wird von Verwandten und Bekannten gratulirt, und bei einem erstgebornen Sohne ein überaus großes Fest gefeiert.

    In der Namengebung bindet die Aeltern keine Sitte; doch wird etwa ein Priester zu Rathe gezogen. Wer die Freude der Geburt eines Kindes einem Bekannten zuerst auf der Straße anzeigt, erhält von diesem ein kleines Geschenk. Es wird vom Vater ein Schaaf geopfert und ein Gastmahl gegeben.

    Viele Umstände werden übrigens mit dem Kinde nicht gemacht. Es wird, auch bei vermögenden Aeltern, nur dürftig eingewickelt. Diesfalls mehr zu thun, hält man nicht für nöthig. Im Ganzen findet man den Vater mehr für das physische Wohl des Kindes besorgt, als die Mutter, oft überhaupt bei ihm mehr zärtliche Liebe. Mit einigen Ausnahmen sind die Mütter als solche im Ganzen ziemlich gleichgültig.

    Die Mutter weiß, daß sie das Kind nur säugen und aufziehen kann, aber weiter keine Stimme in Hinsicht seines künftigen Lebensschicksals und seiner Bestimmung hat. Die morgenländische Sitte bringt es also mit, daß die Mutter das Kind nicht in dem Sinn, wie bei uns, auch als ihr Kind betrachten kann. Es fehlt jedoch nicht ganz an vernünftigen Männern, welche in gewissen Fällen ihre Frau zu Rathe ziehen.

    Die Wiege wird vom Vater verfertigt, und hat auf ihrem Boden ein rundes Loch, welches auch durch das Unterbettchen ausgenäht ist. In dieses wird ein kleiner irdener Topf gestellt, in welchen das Kind bei Tag und Nacht die Bedürfnisse befriedigt. Das Kind liegt auf diese Weise beständig trocken.

   Die Mütter säugen ihre Kinder sehr lange. Ein zwei oder dreijähriges Kind nährt sich noch wohl nebst dem Kleinern an der Mutter Brust. Ist das Kind größer, so wird ihm ein Brei von zerriebenen, gerösteten Hirsen, mit Milch vermischt, gereicht. Da die Mutter nicht wenig Arbeit hat, so sehen sich die Kinder bald sich selbst überlassen. Sie können sehr schnell kriechen und sitzen, weniger schnell gehen, da man sich deßhalb mit ihnen wenig Mühe giebt. Ganz besonders schnell lernen sie selbst essen.

    Dem kleinen Kinde, das noch kaum sitzen kann, giebt man schon eine hölzerne große Schüssel mit Hirsengrütze nebst hölzernem Löffel hin, und läßt es damit spielen oder davon essen. Es gießt begreiflich oft die Milch aus, und zerstreut mit den Händen die Grütze im ganzen Zimmer. Man giebt ihm auch wohl Stücke Fleisch und Fett, die es jedoch noch nicht essen kann, sondern meist auf dem nackten Erdboden des Hauses herumschmiert, mitunter daran leckt und saugt, wodurch es sich also gewöhnt, mit dem Fette Koth und Erde zu essen, so daß man sich nicht wundern muß, sie in spätern Jahren ganze Stücke Erde wie Brod essen zu sehen, und daß der Erwachsene sich nichts daraus macht, wenn die Speise mir Erde oder Unreinigkeiten gemischt ist.

    Der Gesundheit des Kindes, welches alles ergreift und ißt, was nur zu schlingen möglich ist, muß dies sehr nachteilig sein, und ist gewiß eine Hauptursache, daß nach Verhältniß so viele Kinder in den ersten drei Jahren sterben, und daß so wenige Tataren eine ganz frische, gesunde Gesichtsfarbe haben. Dazu kommt noch schlechte Bedeckung der Kinder bei Nässe und Kälte, die ungesunde Luft in allzustark geheiztem Zimmer, oder das zu nahe Sitzen um das große Feuer im Vorhause.

   Sobald das Kind selbst essen kann, so erhält es keine andere als die Speise, welche auch von Erwachsenen gegessen wird, und die gewöhnlich für die kleinen Magen so wenig verdaulich ist, daß das Kind sie oft bald wieder von sich geben muß. In der Wiege läßt man das Kind nicht lange, sondern die Eltern nehmen es sobald möglich zu ihnen auf die Matraze.

   Ein leinenes rothes Hemde ist die gewöhnliche Bedeckung des Sommers; doch gehen auch wohl Mädchen bis in's fünfte Jahr ganz nackend, Knaben oft bis in's zehnte. So sieht man sie sich im Kothe wälzen oder den brennenden Sonnenstrahlen ausgesetzt.

   Im Winter ist die Kleidung ein Pelzrock und eine Pelzmütze. Für die Füße wird selten mit ein Paar rothen Schuhen gesorgt; Strümpfe werden nicht getragen.

   Mädchen sind im Ganzen mehr beaufsichtigt und geschont, als Knaben. Im Hause machen die Kinder viel Unordnung. Weil sie kein eigenes Spielzeug haben, so verunreinigen sie alles, was sie im Hause finden. — Mit dem Messer oder einem Hammer machen sie Löcher in den Ofen, der dann wieder ausgebessert werden muß. Sie graben tief, wie Hamster, die Erde im Zimmer auf, zerschneiden die Kleider, verderben und zerstreuen die Speisen, schleppen, was sie können, auf die Steppe hinaus, und bringen es nicht mehr nach Hause zurück.

   Ein brennendes Licht, vom Kinde ergriffen, darf ihm nicht bald genommen werden. Es soll Glück dem Hause geben oder bedeuten. Kurz die Kinder treiben viel Unfug. Den Aeltern kommt dies aber nicht so vor, und man wehrt dem Kinde nicht oft etwas, sondern läßt ihm so viel möglich den Lauf und die Freiheit.

   Mädchen werden zum Nähen, Wirken, Spinnen und Kleidermachen angeleitet und im Ganzen gut gehalten, damit sie Ansehen bekommen und gut angebracht oder verkauft werden können. Sie gehen nicht sehr oft aus den Häusern und dann meistens mit Gespielinnen.

    Die Knaben helfen frühzeitig beim Vieh, und lernen sehr bald reiten. Ein kleiner Knabe schwingt sich aufs Pferd, indem er das Halshaar zu erreichen sucht, dann an den Knieknöcheln des Pferdes sich anstemmt, und so, als in einem Steigbügel, mit Schnelligkeit auf den Rücken steigt.

   Der erstgeborne Knabe hat, nach alter Sitte, große Vorrechte, und bleibt das Haupt der übrigen Brüder. So wenig ängstlich man für das Physische des Kindes sorgt, so geschieht noch weit weniger für sein psychisches Wohl. Man läßt es so dahin leben und aufwachsen, wie es eben die Natur mitbringt. Die Aeltern fordern weiter nichts, als daß das Kind in den nöthigsten Dingen ihnen Folge leiste.

    Künstliche Bildungsmethoden oder systematische Erziehungsweisen kennt begreiflich der Tatar nicht. Er ist nie verlegen, wie er denn wohl seine Kinder zu behandeln habe. Dessen ungeachtet findet man, in Vergleich mit Kindern gebildeter Aeltern, wenig Unarten und Launen bei den Tatarenkindern, und man muß sich wundern, sie, so aufgewachsen, in ältern Jahren nicht viel wilder, unartiger und unsittlicher zu sehen. Aber bei wenigen Geboten und Verboten hat ja das Kind auch um so viel weniger Reiz zur Uebertretung.

    Die Kinder werden nie angehalten, den Aeltern für Speise, Kleidung u. dgl. zu danken. Es scheint dies weder den einen noch den andern je in den Sinn zu kommen. Die Mütter sind gewöhnlich weniger nachsichtig gegen die Kinder als die Väter. Diese nehmen auch immer das Kind gegen die Mutter in Schutz, wenn diese etwas verweigern oder bestrafen will.

    Der Tatar sieht gerne, wenn die Kinder frühzeitig sich balzen und oft mit einander ringen, und zeigt ihnen dabei alle Vortheile. Feines sittliches Gefühl wird bei ihrer Erziehungsweise und der Art, wie Alt und Jung beider Geschlechter unter und neben einander lebt, nicht erweckt.

    Der Geschlechtstrieb wird frühe wach; die Schamtheile werden durch Ziehen, Reissen und Reizen geschwächt und gefühlloser. Die Kinder treiben allerlei Unfug; doch vielleicht weniger als es unter gebildetem Völkern geschieht, und von weniger schlimmen Folgen begleitet.

    Von einem Religionsunterricht ist keine Rede. Die Aeltern unterweisen jedoch in dem, was ihnen nöthig scheint,und dieses besteht darin, daß man das Kind frühe die Worte: Bir Allah! (Ein Gott), lehrt und sie ihm vorsagt; oder auch das muselmannsche Glaubensbekenntniß (Es ist nur ein Gott, und Mahomed ist Gesandter Gottes.) — Sie werden gefragt: Wer bist du? oder wessen Knecht bist du? worauf geantwortet werden muß: (Ich bin Gottes Knecht). Wer hat dich erschaffen? (Ich bin von Gott erschaffen), und dergleichen mehr.

 

Die Schulen bei den tatarischen Nogayen.

    Schulen sind Pflanzstätten des Guten oder auch des Bösen, je nach ihrer Beschaffenheit. Soll auf den religiösen, moralischen, intellektuellen und physischen Zustand eines Volkes tief eingewirkt werden, so muß der Einfluß hauptsächlich auf die neue Generation, auf die Jugend, in den Schulen geschehen; es muß bei'm Keim und bei der Wurzel des neuen Geschlechts angefangen werden!

    Mit diesem Gemeinplatz soll hier nur der Behauptung eine Unterlage gegeben sein, daß man Schulen als das eingreifendste Mittel der Civilisation unkultivirter und wilder Völker anzuerkennen habe, was bisher an den verschiedensten Völkern der Erde sich bestätiget hat.

    Bei den Nogayen aber steht es in dieser Hinsicht noch übel, da die Schulen in den Händen der Mollah's oder muhammedanischen Priester sind, denen es nur daran gelegen ist, das Volk in Unwissenheit, Aberglaube und Fanatismus zu erhalten, und von selbem Geld zu beziehen, um in Unthätigkeit leben zu können. Die Mollah's oder Priester und Schullehrer sind selbst sehr unwissend, indem sie weder die türkische noch arabische Sprache, in welcher ihre Religionsbücher abgefaßt sind, recht verstehen und lehren können.

    Der ganze Unterricht beschränkt sich darauf, die vorhandenen Schriften, den Koran und Auszüge aus demselben oder Erklärungen desselben zu lesen. Wenige Schüler bringen es so weit, diese Schriften auch übersetzen und verstehen zu lernen. Bei den Meisten bleibt es bei'm Auswendiglernen einiger der gewöhnlichsten und nöthigsten Gebete, ohne deren Sinn zu verstehen.

    Als Strafe werden den Schülern Schläge auf die Fußsohlen gegeben — die türkische Bastonnade. — Am Abend wird vor der Schule von allen Zöglingen ein Gebet mit lautem Geschrei in singendem Tone hergesagt. Sie schreien dabei so viel die Kehle vermag. Dieser deklamatorische Gesang ist das Ziel, wonach besonders die Mollah's streben, und in welchem man sich sehr übt. Am Freitag wird kein Unterricht ertheilt, denn es ist der Sabbat der Muselmänner.

 

Die Sprache der Nogayen.

    Die tatarische Sprache hat viel Aehnlichkeit mit der türkischen, welche auch tatarischer Abkunft, nur ausgebildeter und weicher ist. Die Morgenländer haben verschiedene Sprichwörter, wodurch sie den Charakter der arabischen, persischen und türkischen Sprache, zu welch letzterer auch die tatarische gezählt werden kann, bezeichnen. Die arabische, heißt es, überrede, die persische schmeichle, die türkische strafe; arabisch habe im Paradiese die Schlange unsere Stammmutter angeredet, persisch haben Adam und Eva sich von Liebe und Gegenliebe unterhalten, türkisch habe der Engel gesprochen, als er den ersten Aeltern das Paradies versagen müssen.

    Die Nogayen bekümmern sich wenig über die Größe ihrer Länder wenig, da sie kein Land kaufen, und Pachtgelder für Weide auf Kronsboden nicht nach der Größe des Landes sondern nach dem Stück Vieh bezahlen, welches die Weide benutzt.

 

Musik, Spiele, Vergnügungen.

    Wiewohl der Nogaye kein feines musikalisches Gehör hat, so liebt er doch sehr die Musik; er ist zufrieden, wenn es nur recht grell und laut tönt.

   Zigeuner ziehen mit Dudelsäcken, Pfeifen und Cymbeln in den Dörfern herum, wobei Zigeunerinnen Tänze aufführen, bei welchen man sich nicht von der Stelle bewegt, sondern nur durch verschiedene Stellungen und Bewegungen des Kopfes, der Arme und Füße die Zuschauer unterhält.

    Von den Nogayen selbst oder ihren Weibern werden keine Tänze aufgeführt, wenigstens nicht von letztern, die man auch nie singen oder Instrumente spielen hört. Das weibliche Geschlecht hat überhaupt nur wenige Vergnügungen und Genüsse.

   Vergnügen der Männer sind das Spazierenreiten, der Besuch fremder Märkte, die Wolfs und Haasenjagd, das Beisammensitzen und Erzählen alter Geschichten aus ihrem frühern Nomadenleben oder auch der Tagesgeschichten, verbunden mit dem herrlichen Genuß des Tabackrauchs.

    Einziges Spiel zur Verstandesübung ist das überall im Orient bekannte Schach. Es wird wie bei uns gespielt; die Figuren sind aber so elend aus Holz oder Knochen geformt und so schmutzig, daß die zwei Partheien oder auch selbst die verschiedenen Figuren (ausgenommen etwa der König) kaum von einander zu unterscheiden sind.

    Die kleinen Knaben haben einen kleinen Knochen, mit welchem sie verschiedene Spiele treiben, und auch den Kreisel. Man macht sich auch eine Art Pfeil, der an einem Ende einen Knochen, am andern eine Vogelfeder hat, und in die Höhe geworfen wird.

   Großes Vergnügen macht man den Tatarinnen mit Spiegeln, Scheeren, mit Moschus, Näh, und Stecknadeln, Bändern, Muscheln, türkischen Silbermünzen, Fingerringen, Fingerhüten, mit Schwämmen, welche sie statt der Bürste gebrauchen, mit Seife. Kommt ein Tatar vom Markt, so bringt er gewöhnlich etwa ein Geschenk mit für Frau und Kinder: Leinwand, Haselnüsse u. dgl.

  

Die Religion der Tataren.

    Die Nogayen, als Heiden mit den Mongolen-Horden aus dem mittlern Asien an die Ufer des Asowschen und schwarzen Meeres gekommen, traten erst da um's Jahr 1260 vom Heidenthum zum Muhammedanismus über, und gehören, so wie die Türken, zur Sekte der Sunniten. Sie verachten die Schiiten,  zu denen vornämlich die Perser gehören. Die Nogayen sind jedoch im Ganzen weniger strenge und fanatisch als die Türken.

    Die Muhammedaner sind Monotheisten, das heißt: sie glauben an einen Gott. Weit entfernt, irgend einem Menschen göttliche Verehrung zu schenken, schätzen und ehren sie Muhammed als den größten Propheten; nach ihm auch Christus, die alten jüdischen Propheten, Moses und die Erzväter. So Vielen die Lehre Muhammeds aus Schriften bekannt sein mag, so findet man doch im Ganzen noch große Unkenntniß dieser Lehre und der muhammedamschen Religion überhaupt.

 

Das Opferwesen.

    Die Tataren bringen viele Opfer, die freilich, wie jene der alten Parsen, weit eigentlicher Opfermahle, gottesdienstliche Mahlzeiten genannt werden können. Opferthier ist eine Kuh, gewöhnlicher aber ein Schaaf. Es darf aber nicht fehlerhaft oder krank sein. Opfer werden gebracht bei Geburt eines Kindes; bei Hochzeiten, vor einer Reise oder nach glücklicher Zurückkunft, in Folge eines Gelübdes, zum Andenken Verstorbener, an Festtagen.

    Es sind entweder Schuld oder Dankopfer. Die Familie versammelt sich vor dem Hause, umgeben von eingeladenen Freunden oder Nachbarn, besonders aber von Armen. Ein Mollah oder Priester ist gegenwärtig und verrichtet mit Allen ein stilles Gebet mit vorgehaltenen Händen. Das Schaaf darf nur an drei Füßen gebunden sein. Der Kopf des Thieres wird nach Mekka gerichtet, und unter Anrufung des Namens Gottes wird die Gurgel schnell durchschnitten. Nie darf gestochen werden.

    Das Blut läßt man auf die Erde laufen, und das am Fleische noch anklebende wird sorgfältig abgewaschen. Wenn es abgeledert und zertheilt ist, was in sehr kurzer Zeit geschieht, so waschen die Anwesenden die Hände; es wird wieder gebetet, und das unterdeß gesottene Fleisch wird gemeinschaftlich im Freien verzehrt. Je mehr Theilnehmer an der Mahlzeit sind und je mehr Menschen dabei Gott loben, um so größer hält man den Segen, um desto mehr freut sich der Opfernde.

     Durch einen Ausrufer wird im Dorfe dazu eingeladen, und Jung und Alt, Männlich und Weiblich kann Theil nehmen. Alten und Kranken wird noch eigens in die Häuser Fleisch vom Opferthiere geschickt. Pferde dienen nie als Opfer. Zum Andenken für Verstorbene wird oft mehrere Jahre hindurch um die nämliche Zeit wieder ein Opfer gebracht.

  

Der Ramasan oder Fastenmonat.

    Dieser Monat des arabischen Kalenders dauert, wie alle Monate der Muselmänner, von einem Neumond bis zum andern, oder 29  bis 30 Tage. Diese 30 Tage hindurch wird gefastet, doch nur des Tages, nämlich Morgens von der Zeit an, daß ein Faden unterschieden werden kann, bis nach Sonnenuntergang. Statt daß, wie unter Christen, nur gewisse Speisen verboten sind, und man sich mit andern vollstopfen kann, darf der Muselmann während dieses Monats den Tag über gar nichts gemessen, auch nicht trinken, nicht Taback rauchen. Des Abends und in der Nacht hingegen ist ihm vergönnt, das Versäumte nachzunehmen.

    Da nach Monden-Monaten gerechnet wird, so fällt der Ramasan, wie alle stehende Feste der Muhammedaner, bald in den Sommer, bald in den Winter. Fällt er in den Sommer, so ist er sehr beschwerlich, da bei der großen Hitze die Feldarbeit, ohne Getränke zu geniessen, verrichtet werden muß. Der wichtigste Tag in diesem Fastenmonat ist der sechsundzwanzigste; denn die ihm vorhergehende Nacht ist diejenige, in welcher der Koran vom Himmel gekommen sein soll. Niemand schläft in derselben.

    Kranke und Wöchnerinnen sind von den Fasten frei, nehmen aber das Versäumte nach. Kinder bis in's zwölfte Jahr machen ebenfalls Ausnahme, und da nicht gekocht wird, so essen sie Djugiirt (dicke Milch) und geröstete Hirse. Das ausgewachsene jüngere Volk der Tataren nimmt es auch noch nicht so strenge als die Alten, besonders wenn sie sich auf Reisen befinden. Alte beobachten die Fasten strenge. Das Entbehren des Tabackrauchs kommt sie am schwersten an.

    In diesen 30  Tagen wird nur das Allernothwendigste gearbeitet, sonst möglichst viel geruht und geschlafen, um den Hunger weniger zu spüren, des Nachts wachbar zu sein und tüchtig essen zu können. Die Weiber fangen schon gleich nach Mittag an zu kochen und bereiten gute Gerichte in starken Portionen. Man kann sagen, daß in diesem Monat vor allen übrigen am meisten gegessen wird.

    Ist die Sonne untergegangen und der Mann hat sein Gebet in der Medschet verrichtet, so fängt das Essen und Trinken an. Die Weiber haben auch in diesem Monate wenig Ruhe, da sie am Tage wachen, arbeiten und die Kinder pflegen müssen und des Nachts zu kochen und den größten Theil derselben durchzumachen haben.

     Nachdem der Mann sich satt gegessen, legt er sich schlafen und läßt sich in der Nacht von der Frau wecken, um ein frisch von ihr bereitetes Mahl einzunehmen. Man schmauset alsdann, bis der Tag und mit ihm die Fastenzeit wieder angeht. Das heißt dann wie bei uns: die Fasten halten.

    Bei Festtagen küßt der jüngere Theil beider Geschlechter den ältern Theil, nie aber der Aeltere den Jüngern. Dadurch unterscheidet sich diese Sitte von jener der Russen am Ostertage, an welchem dieselben Freiheit haben, jedes Frauenzimmer auf der Straße zu umarmen und auf die Wange oder Stirn zu küssen.

  

Verschiedene religiöse Gebräuche dieser Nachbarn der Mennoniten

Die Beschneidung

    Wiewohl im Koran nichts über die Beschneidung vorgeschrieben ist, so ist sie doch, als schon unter den vor Muhammed noch heidnischen Arabern von ältester Zeit her gebräuchlich gewesen, und zugleich mit dem Islam auf die Tataren übergegangen. Das männliche Geschlecht wird aber nicht, wie bei den Juden, am achten Tage, sondern nach dem Gebrauche einiger anderer Völkerschaften, erst im Alter von 10  bis 15 Jahren beschnitten. Auch an Ismael, für dessen Abkömmlinge sich diese Morgenländer halten, wurde (nach I. Mose 17,25) diese Handlung erst im 13. Jahre vollzogen.

    Zu gewissen Zeiten reist in einem bestimmten Distrikte der Babasi (Vater), wie der Beschneider genannt wird, herum und verrichtet die Operation, die, wie mir die Tataren versicherten, nicht sehr schmerzhaft sein soll.

    Am Tage der Beschneidung eines Knaben ist in dem Hause der Aeltern ein großes Fest. In besonderer Bekanntschaft mit den Nogayen ist es auch Christen erlaubt, Zuschauer bei der Beschneidung zu sein. Ich selbst jedoch konnte nie einem solchen Feste beiwohnen, da der Babasi sich in der Zeit meines Aufenthalts unter den Nogayen nie thätig zeigte. Ein Unbeschnittener wird bei ihnen mit dem Namen Brunkoi betitelt und für unrein gehalten, als ein Mensch, mit dem man eigentlich nicht essen sollte.

 

Warum Freitag der heiligste Tag der Woche ist

    Die Eintheilung der Zeit und der Feste der Muselmänner richtet sich immer nach dem Neumond. Das erstemal, daß der Muselmann die schmalste Sichel des Neumondes am Himmel erblickt, wirft er sich auf die Erde nieder und betet an. Die Mondsichel oder der Halbmond ist das Panier der Moslems oder Gläubigen, wie sie sich nennen; vielleicht im Gegensatz gegen Juden sowohl als Christen, bei welchen sich die Festtage und Zeiten nach dem Vollmond richten. Derselbe Grund mag obgewaltet haben, da Muhammed weder den Sonnabend, den Feiertag der Juden, noch den Sonntag der Christen, sondern den Freitag  als den siebenten Tag der Ruhe wählte, um auch dadurch seine Abneigung gegen Juden und Christen zu zeigen und sich ihnen nicht gleichzustellen.

    Reisen werden in der Regel nicht am Freitage angetreten. Ein Verbot des Korans ist der Genuß des Weines. Da aber nur von diesem die Rede ist, so glaubt der Muselmann damit nicht jedes starke Getränk verboten. Nur der gute Moslem und alte Nogaye enthält sich des Brannteweins, der sehr geliebt wird. Das jüngere Volk trinkt ihn auf Reisen bei Russen und Teutschen, und besucht letztere hauptsächlich ihrer Branntweinschenken wegen. In den Tatarendörfern selbst wird keiner ausgeschenkt.

     Im Ganzen ist jedoch der Nogaye lange nicht so leidenschaftlich und unmäßig im Genuß starker Getränke als der Russe. Die Ausleger des Korans behaupten, daß nur mit Füßen getretener, nicht aber gekelterter oder gepreßter Wein verboten sei, weßwegen besonders in der Türkei dieser sehr häufig und als solcher auch der andere getrunken wird. Dem Nogayen ist der Wein in jedem Falle zu kostbar, als daß er viel trinken könnte oder wollte.

 

Die Mollah's oder Priester

     Unter den Nogayen-Tataren finden sich in jedem Dorfe eine Menge Priester von verschiedenem Range. Der höchste ist der Mufti, eigentlich ein Unter-Mufti, da er unter dem Mufti in der Krimm steht, der wahrscheinlich mit dem Ober-Mufti in Konstantinopel Verbindung hat.

    Die Mollah's oder Priester stehen den Gebeten der Versammlungen in der Moschee vor; rufen laut zu diesen Gebeten auf, entweder vor der Moschee oder auf dem Minaret. Der Aufruf besteht selbst in einem Gebete, welches langsam in einem klagenden Tone erschallt.

    Die Priester sind verheirathet, können auch mehrere Weiber nehmen und haben ihr Land und Antheil an allem, wie der Laye; jedoch bearbeiten die wenigsten aus ihnen ihr Land selbst. Sie zeichnen sich in ihrem ganzen Betragen eben nicht vortheilhaft aus. Das Volk suchen sie in Unwissenheit und Fanatismus zu erhalten, und sie sind jeden guten Neuerungen und jedem Fortschritte der Bildung des Volkes entgegen.

    Ihr Einfluß auf das Volk, so groß er noch ist, nimmt jedoch immer mehr ab. Einige aus ihnen, die nach Mekka gereist sind, sprechen etwas türkisch und arabisch; die Meisten aber können nur auswendig gelernte arabische Gebete hersagen, so wie ein Theil des Volkes, das von ihnen unterrichtet wird. Vielleicht nicht einer aus ihnen kann richtig schreiben, wiewohl sie auch darin wieder Unterricht geben. Bei festlichen Anlässen tragen sie einen weiten weißen Talar von sehr leicht gewobenem Wollenzeuge.

Die Viehzucht

    Viehzucht ist noch immer die Hauptbeschäftigung des Nogayen und wird als Lieblingssache — nach Maßgabe ihrer gegenwärtigen Lage, da sie nicht mehr nomadisirend, sondern angesiedelt sind — im Verhältniß gegen den Feldbau noch viel zu stark betrieben. Indessen nimmt dieser immer mehr zu, die Viehzucht ab.

    So viel Land auch jedes der angesiedelten Tatarendörfer hat, so ist doch hie und da die Anzahl des Viehes für die demselben bestimmte Weide noch zu groß. Die Viehzucht überhaupt, besonders in der Art, wie sie vom Nogayen betrieben wird, ist weniger einträglich als der Feldbau. Es wird wenig oder fast gar nichts für Veredlung der Racen gethan; der Preis des Viehes ist sehr gering; die Milch wird größtentheils im Gebiete der Nogayen selbst verzehrt; die Butter ist zu schlecht, um vielen Absatz zu finden; Käse zum Verkaufe werden gar nicht gemacht.

    Ueberdies nimmt das Suchen von verlaufenem Vieh auf den weiten Steppen, so wie das Herumziehen und Liegen auf entfernten Märkten viel Zeit weg und entzieht dem Ackerbau und andern Beschäftigungen viele Hände. Die Viehzucht giebt auch, da nirgend keine Einzäunung ist, sondern die Gränzen nur mit einer Pflugschar bezeichnet werden, viel Anlaß zu Streit und Zank unter den Tataren selbst sowohl, als auch mit den benachbarten Russen und Teutschen, indem das Vieh, selten bewacht und gehütet, auf fremden Boden übergeht und weidet, auch manchmal in Getreidefeldern großen Schaden anrichtet, worauf es von den Nachbarn eingezogen und gepfändet wird.

    Große Heerden Viehes von den Nogayen stehen oft Tage lang eingeschlossen auf einem Platze bei Dörfern der Russen und Teutschen, von welchen es nur gegen ein starkes Lösegeld zurückgestellt wird. Die Nogayen wollen nicht bezahlen, markten um den Preis; man zankt sich, und das arme Vieh kommt fast zum Verhungern und manchmal so weit, daß es den eigenen Mist frißt. Erst wenn es aufs höchste gekommen, bezahlt der Nogaye und erhält so sein Vieh zurück. Würde das eingezogene Vieh von den Nachbarn gefüttert, so dürfte man wohl nicht leicht zu Schadenersatz gelangen. Zudem wo sollte man auch Futter hernehmen, da man Heu und Gras für eigene Fütterung auf den Winter bedarf?!

    Ein jedes Dorf treibt das Vieh in zwei oder drei getrennten Heerden aus auf die Steppe, und je ein Wirth um den andern hat abwechselnd dieses Austreiben zu besorgen, kommt aber gewöhnlich nachher wieder in's Dorf zurück und holt die Heerde Abends wieder ab. Der Hirte ist immer zu Pferde, wenn er die Heerde treibt, und läßt dann, wenn er bleiben will, sein Pferd mitweiden.

   Die Tataren ziehen Rindvieh, Schaafe und Pferde; Kameelzucht hingegen geht ganz ab. Die Besorgung und Erhaltung des Viehes erfordert, auf den unermeßlichen Steppen, besonders zur Winterszeit, ausserordentlich viele Mühe. Die Heerden zerstreuen sich sehr weit und man muß Tage lang mit Suchen und Zusammentreiben zubringen.

   Das Vieh überhaupt nennt der Tatar mal, wörtlich: das Gut, Vermögen, — eine Benennung, die besonders früher sehr bezeichnend war, es aber auch jetzt noch ist, da des Nogayen Besitz eben meist in Vieh besteht.

Die K a m e e l e

Die Tataren essen Kameelfleisch. Der Preis eines Kameels, das aber wie bekannt sehr alt wird, ist hoch. Sie sind sehr böse, schlagen und beißen gerne und lassen oft nur ihren Führer nahe kommen. Die Nogayen haben die bei allen mongolischen Völkern gänzlich unbekannte Gewohnheit, die Kameele nicht zum Reiten und Lasttragen, sondern zum Ziehen und zwar an Jochen zu gewöhnen.

Sie ziehen sehr große Lasten und man sieht sie auf fast allen Märkten des südlichen und innern Rußlands, wohin sie Getreide, Salz oder Früchte aus der Krimm führen. Die Tatarinnen verfertigen aus Kameelhaaren ein sehr festes, dichtes Zeug, das allem Regen widersteht und von den Männern über ihre Kleidung in Form eines Mantelkragens getragen wird.

Rindviehzucht

    Rindviehzucht der Nogayen ist von Belang. Dabei wird jedoch nur auf Vermehrung der Heerden, nicht auf Veredlung der Race gesehen. Die Kühe geben im Durchschnitt wenig Milch, wenn auch die Steppe grasreich und die Kräuter kräftig sind. Die Hauptursache mag in der Entferntheit des Weideplatzes vom Dorfe liegen. Das Vieh hat oft sieben bis zehn Werste oder über eine Meile zu gehen, also um so viel weniger Zeit zum Grasen, kommt oft schon durstig auf der Steppe an, zeigt dann keine Lust mehr zum Fressen, sondern legt sich nieder.

   Bei Sonnenuntergang den weiten Weg zurückgetrieben, läuft es, um bald getränkt zu werden, meist sehr schnell, wodurch es ermattet und sich schadet. Zudem wird auch ein guter Theil der Milch durch die Kälber abgezapft, ehe die Kuh gemolken werden kann. Alle südrussischen und tatarischen Kühe haben die Eigenheit, daß sie sich nur in der Gegenwart des Kalbes, und wenn selbes zuerst angesaugt hat, melken lassen.

   Stirbt das Kalb, so genügt es jedoch auch, daß das bloße oder besser das ausgestopfte Fell desselben der Mutter bei'm Melken vorgehalten werde und sie den Geruch vom Felle habe. Ohne diese Vorkehrung würde sie freilich keinen Tropfen Milch lassen, vielmehr erkranken und wohl gar selbst hinsterben.

   Teutsche, welche alle möglichen Mittel angewandt hatten, diese Kühe anders zu gewöhnen, haben es dennoch nie dazu gebracht und mußten immer von ihren Versuchen abstehen. Das Kalb, welches ansaugen muß, kommt hungrig an das Euter und zieht in wenigen Zügen eine ziemliche Portion Milch ab.

   Alles junge Vieh wird groß gezogen, um die Heerde zu mehren, oder auf Märkten durch Verkauf oder als Tauschmittel die Anschaffung alles dessen, was dem Nogayen Bedürfniß ist, möglich zu machen. Nur was Krankheits oder anderer Unfälle wegen geschlachtet werden muß, wird verzehrt.

   Kühe ohne Makel werden jedoch etwa als Opfer bei festlichen Gelegenheiten geschlachtet und gegessen. Ist das Rindvieh des Morgens getränkt, so wird das große auf die eine, das kleine Vieh oder die Kälber auf die entgegengesetzte Seite der Steppe auf die Weide getrieben.

Abrichten der wilden Ochsen

   Die jungen Ochsen, frei auf der Steppe aufgewachsen, sind gemeiniglich unbändig wild; und doch bedarf man ihrer viele zum Ziehen an Pflug und Wagen, da die Pferde mehr zum Reiten als Ziehen gebraucht werden. Heu und Getreide wird mit Ochsen eingeführt. Der Pflug erfordert wenigstens 8, gewöhnlicher 10 oder 12 Ochsen.

   Um die wilden Ochsen an das Joch zu gewöhnen, wird ein Paar derselben von der Heerde in den Hof neben dem Hause getrieben, mit Schlingen an den Hörnern gefangen und ganz nahe an einen Pfahl angezogen, worauf ihnen das Joch an den Nacken eingelegt wird. So mit einander verbunden treibt man sie nun wieder zur großen Heerde auf die Steppe und läßt sie weiden. Alles Streben, sich des Joches zu entledigen, hilft nicht. Sie gewöhnen sich endlich daran und die zwei Ochsen selbst werden so anhänglich an einander, daß wenn sie einmal gezähmt und frei vom Joche mit der Heerde auf der Weide sind, sie sich beständig zu einander halten, so daß man sie dann immer zu zwei und zwei weiden und wo der eine hingeht oder hingetrieben wird, auch den andern gehen sieht.

   Haben sich die zwei Ochsen in einigen Tagen an das Joch gewöhnt, so werden sie wieder in's Dorf getrieben und man befestiget nun das Joch an die Deichsel des Wagens. Auf diesen setzt sich ein Tatar, mit einem guten Stocke versehen, und es wird auf die Steppe gejagt. Den Ochsen wird alle Freiheit gelassen, zu rennen, wohin sie nur wollen. Gewöhnlich laufen sie sehr lange herum, bis sie, ermüdet, sich nach und nach etwas lenken lassen, welches so geschieht, daß, wenn der Tatar rechts fahren will, auf den linken, wenn er links fahren will, auf den rechten Ochsen zugeschlagen wird. Diese Arbeit scheint halsbrechender zu sein, als sie es bei der Beschaffenheit der Steppe und der Wagen ist.

Die Schaafzucht

   Bei der Lebensart des Nogayen und der Beschaffenheit der Steppe ist die Schaafzucht immer von sehr bedeutendem Nutzen. Die Schaafe erfordern im Verhältniß gegen Rinder und Pferde nicht viel Weide und nehmen mit kurzem und schlechtem Futter vorlieb. Der Tatar wird des Winters eben so leicht zehn Schaafe als ein Stück Rindvieh nähren.

   Der Nogaye benutzt das Fleisch, die Wolle, das Fell des Schaafes. Des Sommers werden viele Schaafe geschlachtet. Ziegen sind nicht sehr häufig. Ihre Felle geben aber dauerhaftere und schönere Pelzkleider als die der Schaafe. Die Schaafe vermehren sich sehr schnell und werfen mehrentheils zwei Junge zugleich.

   Die Schaafe weiden meistens Sommers und Winters auf der Steppe und werden nur bei tiefem Schnee im Dorfe gefüttert. Diese Thiere werden hauptsächlich auch als Opfer gebraucht. Von Zeit zu Zeit wird ihnen von einigen Tataren auch etwas Salz gegeben.

   Die Schaafschur ist, wie bei den uralten Hirtenvölkern, ein Fest. Der Schäfer der kleinen vereinzelten Dorfheerden ist meistens ein Knabe; bei den großen Nomadenheerden, ein Erwachsener. Schäferhunde werden nur bei den ganz großen Heerden gehalten, um den häufigen Angriffen der Wölfe begegnen zu können.

   Ein teutscher Freund (Johann Cornies) der Nogayen hat seit einigen Jahren in mehrere Tataren-Dörfer Merinos-Schaafe zur Pflege und Weide gegeben, um die Nogayen den Vortheil der veredelten Schaafzucht kennen zu lehren und sie überhaupt an Ordnung und Aufsicht zu gewöhnen. Er überläßt ihnen für Weide und Pflege die Hälfte des Wollertrags und der jungen Schaafe. So wird man bald unter den Nogayen auch weiße und Merinos in bedeutender Anzahl finden.

Die Pferdezucht

    Diese ist noch immer Lieblings- und Hauptbeschäftigung des Nogayen und er zieht sie der Rindvieh und Schaafzucht aus Neigung vor, ohne daß sie ihm einen größern Nutzen schaffte. Die Menge der Pferde nimmt aber doch von Jahr zu Jahr ab, und der Nogaye sieht wohl ein, daß ihm der Feldbau größern Vortheil bringt, da er sich nun einmal auf einen Fleck gebannt sieht und nicht mehr überall weit und breit herum das Land nach Willkühr benutzen kann, wie ehemals.

   Es giebt wohl noch große Ländereien, die der Krone gehören, auf welchen Tataren und Armenier gegen Pacht und Weidegeld noch große Pferdeheerden halten; aber im Ganzen mußte bei immer größerer Beschränktheit des Bodens, der an (mennonitischen und anderen deutschen) Einwanderer oder Käufer von der Krone abgelassen wird, die Pferde und Viehzucht ab-, der Ackerbau zunehmen.

    Die Pferde erfordern überdies eine im Verhältniß größere Weide als die wiederkäuenden Rinder und Schaafe, und da so wenig auf Verbesserung und Veredlung der Race gesehen wird, so findet man unter den nogayischen Pferden wenige, die von benachbarten Völkern stark bezahlt würden oder zur Kavallerie tauglich sind. Die Käufer müssen immer eine sehr große Auswahl haben. Die tatarischen Pferde sind von mittelmäßigem Wuchs.

   Das Pferd ist das Lieblingsthier des Nogayen, dem er sehr oft mehr Sorgfalt und Liebe erweist als seinem Weibe. Man bedient sich im Ganzen des Pferdes mehr zum Reiten als Ziehen, wozu es etwas schwach ist, doch wird es auch oft in den zweiräderigen Wagen gespannt.

   Das Fleisch der Pferde ist dem Nogayen die liebste Speise, die Milch der Stuten das angenehmste Getränk. Aus den Fellen schneidet er sich Riemen zu Zaum und Sattelzeug, die Felle der Füllen benutzt er zu Beinkleidern für sich und zu Pelzröcken für seine Kinder, den Schwanz und das Halshaar zu Stricken und zur Verfertigung von Sieben.

   Das Tatarenpferd ist vortrefflich zum Reiten, denn es ist leicht und schnell, außerordentlich ausdauernd und genügsam und — einmal zugeritten — fromm. Die Reitpferde weiden, wenn sie nicht gebraucht werden, mit der großen Heerde wilder Pferde auf der Steppe. Die nöthigen werden zu Hause behalten und mit Heu und Gerste gefüttert.

   Die großen Heerden bleiben auch des Winters auf der Steppe und suchen unter dem Schnee ihr Futter. Diese wilden Pferde, die noch nie sich gebunden sahen, nie gebändigt wurden, werden zum Theil, so wie sie sind, verkauft, zum Theil aber vorher von den Nogayen zugeritten.

   Ausser den großen Pferdeheerden giebt es doch auch Haufen von mehrern hundert Pferden, die wirklicher Besitz reicher Nogayen sind; ja der ärmste sucht sich wenigstens ein Reitpferd zu verschaffen; nicht nur, weil ihm das Reisen Lieblingssache ist, sondern weil es ihm bei der Weitläufigkeit der Steppen, den großen Entfernungen der Dörfer, Weideplätze und Märkte zum Bedürfniß wird.

   Man hat es mit wildem Vieh zu thun, das nicht zu Fuß gesucht und herbeigetrieben werden kann. Es muß sehr Vieles durchaus zu Pferde verrichtet werden. Ohne dieses nützliche Thier würde der Steppbewohner sehr übel daran sein und kaum das Leben durchbringen können.

    Der Nogaye sitzt nicht schön noch schulgerecht zu Pferde, aber in seinem kurzen Steigbügel sehr ungezwungen und fest. Er ist ein vortrefflicher Reiter, von Kindheit an geübt und würde vielleicht den besten unserer Reiter aus dem Sattel bringen.

   Krankes Vieh weiß der Nogaye sehr gut zu behandeln. Im Kastrieren hat er große Uebung. Auch ist er ein geschickter Geburtshelfer. Einen interessanten Anblick gewähren die großen Pferdeheerden auf der Steppe. Man sieht oft zwischen tausend und zweitausend Pferde beisammen, alle wild (doch mit Eigenthümern), in stolzer, freier Haltung, fett und stark, noch nie von einem Menschen gedemüthigt und gebändigt.

   Bei Ungewitter, bei Schneegestöber und Orkanen zerstreuen sich diese Heerden oft weit und breit und müssen tagelang aufgesucht werden. Der Tatar weiß jedoch, daß die Pferde immer gegen den Wind gehen, da das Rind hingegen sich von dem Winde forttreiben läßt und mit demselben geht, so daß er wenigstens die Gegend weiß, wo er das Vieh zu suchen hat.

   Die Pferde sind selten von Hirten geweidet; gewöhnlich holt man sie nur alle 24 Stunden einmal zur Tränke in's Dorf, wo dann auch die Stuten gemolken werden. Ein kleiner Knabe ist im Stande, die größte Heerde zu treiben, da sich die Pferde bei guter Witterung und wenn sie merken, daß es zur Tränke geht, zusammenhalten wie die Schaafe.

   Während der größten Hitze des Tages fressen sie nicht, sondern stehen im Kreise zusammen, stecken die Köpfe einwärts dicht aneinander, um sich Schatten und Kühlung zu verschaffen und schlagen mit den langen Schweifen um sich. Wird etwas Wind gespürt, so stellen sie sich zerstreut auf der Steppe gegen denselben und strecken den Kopf stark aufwärts und vorwärts in die Höhe, um so den Zug der Luft möglichst zu gemessen.

Das Melken der Stuten

   Die Sommers und Winters auf der Steppe weidenden wilden Stuten lassen sich dennoch gerne melken, wenn sie nur, so wie die Kühe, ihr Junges vor sich haben. Ist die Pferdeheerde in's Dorf zur Tränke gekommen, so werden die Füllen mit einer langen Ruthe oder Stange, an welcher eine Schlinge befestigt ist, aus der Heerde gefangen; denn diese jungen Thiere leben mit der Mutter auf der Steppe und nähren sich bald von der Milch, bald von zartem Grase. Es ist nun darum zu thun, daß die Milch sich bei der Mutter sammle und der Nogaye auch seinen Theil dieses guten Getränkes bekomme.

   Nach dem Melken werden die Füllen losgemacht und die Heerden wieder auf die Steppe getrieben. — Zu einer ordentlichen Quantität Milch bedarf es schon mehrerer Stuten.

Zureiten der wilden Pferde

    Es kann bei dem Nogayen nur vom Zureiten, nicht von einer eigentlichen Dressur der Pferde die Rede sein. Der Tatar verlangt vom Pferde keine besondere Stellung und Haltung des Kopfes und der Füße, noch sonst irgend ein Kunststück; genug, wenn es sich reiten und lenken läßt.

   Sehr frühe, oft schon im achten Monat, werden Füllen von Knaben geritten und an Halftern von einem andern Tataren geführt, also, noch ehe sie größer, stärker und wilder werden, an Menschen gewöhnt. Was aber die Pferde der großen Heerden anbelangt, so werden diese erst im dritten oder vierten Jahre zugeritten.

    Will der Nogaye ein solches Pferd zum Reiten abrichten, so wird es mit der langen Schlinge aus der Heerde gefangen. Wird das Pferd verfehlt und läuft es von der Heerde weg aus die freie Steppe, so bedarf es schon eines guten Reitpferdes, um es einzuholen und nochmals mit der Schlinge im gestreckten Gallop zu fangen. Der Tatar wirft sie zu Pferde im größten Gallop sehr weit, gewöhnlich ohne zu fehlen.

   Ein Tatar auf einem guten Reitpferde fängt in dem Augenblick an auf das wilde Pferd loszuschlagen, damit es keine weitern Sprünge mache, sondern sogleich aussetze und in Gallop komme. Der Reiter läßt dem wilden Pferde gänzlich den Zügel und hat vorerst nichts zu thun, als sich auf demselben zu halten. Der Nachreitende verhindert durch Hiebe das Stillestehen oder die Nebensprünge des wilden Pferdes und treibt es im schnellsten Lauf immer vorwärts, gleichviel, wo es auch herumrennen mag.

   Ist das Pferd endlich etwas ermattet und ergiebt es sich, so sucht der Reiter es nun auch zu lenken und wieder mit ihm in weiten Kreisen in's Dorf zurück zu kommen. Es rennt aber gewöhnlich ungeheure Strecken durch, bis es, ganz von Schweiß triefend und ermattet, an Ort und Stelle ankommt, wo man ihm ohne Mühe den Spannriemen anlegt und den Zaum stark an den Gurt anzieht und anbindet, so daß es zwar kleine Schritte machen, aber den Kopf nicht zur Erde beugen und also daselbst nichts abfressen kann; höchstens werden ihm ein paar Hände voll Heu gegeben.

   Dann läßt man es so die Nacht durch stehen, tränkt es und wiederholt am Morgen die gestrige Geschichte, wobei es aber schon mit vollständigem Sattelzeug belegt wird. In ein paar Tagen ist das Pferd durch Hunger und Anstrengung gebändigt und gewöhnlich so fromm wie ein Lamm geworden.

   Junge Pferde werden auch aus der Heerde gefangen, um zum Ausdreschen des Getreides gebraucht zu werden, wodurch sie schon etwas gebändigt, an Arbeit und Menschen gewöhnt werden.

   Die Behandlung der wilden Pferde erfordert viele Mühe, große Gewandtheit und ausserordentliche Körperstärke, ist auch mit viel Gefahr verbunden und viele Tataren tragen für ihr ganzes Leben kenntliche Spuren des gefährlichen Geschäftes des Pferdezähmens an sich.

   Die Tatarenpferde haben einen sehr leichten Trab. Beliebt sind diejenigen, welche den Pas gehen. Wie dauerhaft diese Thiere sein müssen, erhellt daraus, daß man mit ihnen acht bis neun teutsche Meilen sehr oft ohne zu füttern zurücklegt.

   Die großen Herden, wenn sie weit vom Wasser entfernt auf der Steppe weiden, werden oft nur jeden zweiten Tag einmal getränkt. Auf der Reise werden sie auch, selbst von Schweiß triefend, zur Tränke gelassen, dann aber schnell weiter getrieben, damit es nicht schade.

   Die Nogayen machen oft sehr große Reisen, während welcher das Pferd weiter nichts als das Steppengras hat. Andere geben ihnen täglich in dem Futtersack etwas Gerste oder Hafer. Man fährt oder reitet auch wohl den ganzen Tag über, und läßt die Pferde nur des Nachts weiden.

   Die Pferde in der Gegend der Nogayen werden nicht beschlagen. Die noch wilden Pferde werden nicht gesäubert, da sie sich nie in Mist legen müssen, sondern immer auf reinen Plätzen im Grase lagern und in diesem und unter Regen sich selbst waschen, reiben und reinigen.

    Reitpferde werden von Einigen gestriegelt und überhaupt sehr gut gehalten, doch von den Meisten zu stark gebraucht und werden bald auf den Vordersüßen schwach. Sie leiden auch sehr viel an geschwollenen und aufgebrochenen Rücken, welches der Sattel verursacht.

   Die Geschwulst wird mit einem Messer geöffnet und in die Wunde mit den Fingern viel Salz eingestopft, was meistens hilft. Ist der Rücken schon offen und eiternd, so werden oft sehr große Stücke Fleisch weggeschnitten, die Wunde mit Salzwasser gerieben und mit Theer oder Wagenschmiere, welche man von Teutschen oder Russen zu erhalten sucht, bestrichen.

   Die Reitpferde werden des Winters bei Hause gefüttert; des Sommers läßt man sie vor dem Dorfe weiden oder treibt sie zur Heerde.

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