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Reisen eines Schweizers nach Südrussland,
1822-1828,
zu den Nogayen, ein Tatarenvolk,
Nachbarn der Mennoniten

 

Folge 6

Mädchen- und Weiberhandel.

    Um ein Mädchen dient der Nogaye wie Jakob (1. Mose 29, 18.) und der Vater handelt um seine Tochter wie Laban, und verändert, wenn es ihm nur immer möglich ist, auch oft den Preis. Es werden bisweilen Mädchen sogar schon in der Wiege von ihren Aeltern verkauft. Zwei Tataren, von denen einer einen Knaben, der andere ein Mädchen hat, kommen überein, diese mit einander zu verbinden. Es geschieht dieses von dem Vater des Mädchens ökonomischen Vortheils wegen, nachgedrungen, oder auch aus Freundschaft. Ist die Uebereinkunft geschlossen, der Preis des Mädchens bestimmt und von Priestern verschrieben, so wird eine Vorhochzeit gehalten. Das Mädchen bleibt aber im älterlichen Hause.

    Der Vater des Knaben bezahlt nun in festgesetzten Terminen den Preis des Mädchens in Vieh oder Geld. — Ist alles bezahlt und das Mädchen so wie der Knabe haben das Alter von 14 bis 17 Jahren erreicht, so wird die rechte Hochzeit gefeiert. Der Jüngling hat selten etwas einzuwenden gegen das, was sein Vater ihm bestimmt und gekauft hat. Er ist froh, bei Zeiten ein bezahltes Weib zu haben.

   Von Seite des Mädchens kann in keinem Fall Einrede statt haben. Es hat sich immer ganz dem Willen des Vaters zu fügen und wird in der Regel, so wie die Mutter, darüber nicht befragt; nicht einmal, ob oder wann sie heirathen wolle. Es frägt auch nicht darnach, wer ihr künftiger Gatte sein werde und was für ein Aussehen er habe, eher etwa, in welchem Dorf er wohne und wie viel Vieh er habe.

   Welche Entferntheit von unsern, durch das Christenthum veredelten Begriffen, Forderungen und Regeln! Freilich giebt es auch hier etwa Vater, welche sich mit den Müttern und Kindern deßhalb unterreden und berathen. Dieser Fall mag aber selten sein, weil es beide Theile und zwar, in Betracht des hier bestehenden Verhältnisses des Weibes zum Manne, mit Recht eben nicht für nöthig halten. Freilich giebt der Weiber-, besonders der Kinderhandel viel Gelegenheit zu Streit unter den Tataren.

   In der langen Zahlungs- oder Erziehungszeit der Kinder werden sich die Aeltern, früher Freunde, zu Feinden; oder andere Umstände treten ein, daß den einen oder andern Theil der Handel reut und man Anlaß sucht, denselben rückgängig zu machen und das schon Bezahlte wieder zurück zu erhalten.

   Es bestehen zwar deßhalb gewisse Satzungen, die aber nicht genau genug bestimmt, nicht auf alle möglichen Fälle berechnet sind. So liegt z. B. ein sehr natürlicher Aufhebungsgrund eines solchen Vertrages darin, wenn das Kind auf diese oder jene Weise verunstaltet oder verstümmelt wird. Solcher Händel haben die Priester und die Aeltesten sehr viele zu schlichten, bei welchen der Reichere gewöhnlich Recht bekommt.

   Wirbt ein Nogaye um ein Mädchen, so darf er dies nicht unmittelbar selbst, sondern nur durch Freunde und Bekannte thun. Gewöhnlich geschieht es durch eine Brautwerberin, durch welche der Handel mir dem Vater des Mädchens eingekettet wird. Sie giebt Nachricht von dem Aussehen und Befinden des Mädchens. Hat der Werber dieses früher schon gesehen, so darf er doch von dem Tag an, da er um selbes wirbt, es nicht mehr sehen, noch das Haus desselben besuchen und wenn es Jahre dauern sollte, bis er das Mädchen abbezahlt hat und heirathen kann.

   Ehrenfester und gebräuchlicher aber ist, daß der Werber das Mädchen gar nicht kenne. Deßwegen heirathen sich selten zwei aus demselben Dorfe, sondern man nimmt sich Mädchen aus andern, entferntern Dörfern. Der Freier fragt weniger nach Gestalt und Schöne als nach dem Preis des Mädchens und nach dem, was ihre Aeltern ihr als Mitgift an Putz, Kleidern, Matratzen u. s. w. geben, nach welchem sich dann auch der Preis des Mädchens richtet und welches alles berechnet und bei'm Handel in Anschlag gebracht wird. Worauf noch etwa gesehen wird, ist die Familie, die Abstammung und Herkunft derselben.

   Die Nogayen theilen sich nicht nur in verschiedene Haupt-und einige Nebenstämme, sondern je eine Familie glaubt vor einer andern etwas voraus zu haben und steht in mehr oder weniger Ansehen. Ein aus rein nogayischem Geblüte entsprossenes Mädchen wird theurer bezahlt, als wenn es einer mit andern Tatarenstämmen vermischten Familie angehörte. Ein krimmisch-tatarisches Mädchen wird nur von ärmern Nogayen und wohlfeil gekauft.

   Der Mädchen und Weiberhandel geschieht in der Berechnung immer nach einer gewissen Anzahl Kühe. Der Marktpreis des Viehes mag sein, welcher er will, so wird in diesem Handel immer obiger Preis gerechnet. Zwei Kühe werden auf das Pferd und auf einen Ochsen, acht Schaafe auf die Kuh gerechnet. So kann man denn in Geld, in Kühen, in Ochsen, Pferden oder Schaafen bezahlen, je nachdem man übereinkommt. Der gewöhnliche Preis eines ächt nogayischen Mädchens ist 30  Kühe oder 600 Rubel Banco. Sie kommen aber auch wohl bis 1000 und mehr Rubel zu stehen. Ein krimmsches Mädchen kann für 5 bis 10 Kühe gekauft werden.

    Wittwen sind in jedem Falle wohlfeiler als Mädchen, doch je nach Alter und Abkunft und besonders ob mit oder ohne Kinder, im Preise verschieden. Das weibliche Geschlecht gehört ganz dem männlichen an. Der Vater verkauft die Tochter, der Bruder die Schwester. Bei dem Erbe unter Brüdern wird die Schwester als ein Gut, als Waare betrachtet, die zu einem gewissen Preis dem einen oder andern Bruder zufällt. Wer die Schwester erhält, bekommt demnach um so viel weniger Vieh auf seinen Theil, weil er sie verkaufen kann.

    Eine Wittwe fällt mit den Kindern den nächsten männlichen Verwandten zu, welche sie behalten oder verkaufen können. Der Mann darf seine Frau nicht verkaufen, wenn sie ihm nicht gefällt, wohl aber fortjagen. Er erhält jedoch, wenn er weiter keinen Grund der Unzufriedenheit gegen sie hat, das für sie Bezahlte nicht zurück. Sie geht zu ihren Ackern oder Verwandten, welche sie jedoch nur in dem Fall wieder verkaufen können, wenn der Mann sich förmlich von ihr trennen will, welches selten geschieht, da sie so theuer bezahlt werden müssen.

   Das Weglaufen einer Frau von dem Manne kann ihr wenig helfen; denn ohne Einwilligung des Mannes darf sie von Niemanden aufgenommen werden und sobald sie von jenem zurückverlangt wird, muß sie ausgeliefert werden. Hat eine Frau schlechte Streiche gespielt, den Mann bestohlen oder gar Ehebruch sich zu Schulden kommen lassen und der Mann will sich von ihr trennen, so erhält er in solchem Falle alles für sie Bezahlte zurück. Doch geht es selten ohne Verlust und ohne Zänkerei dabei zu.

   Ein geschändetes Mädchen fällt sehr im Preise und wird nur etwa von den Aermsten noch gekauft. Wer sich an einem Mädchen betrogen findet und sich darüber ausweisen kann, der rächt sich fürchterlich und erhält sein Geld zurück. Da der Reiche sich mehrere Weiber anschafft, so wird dadurch der Preis der Mädchen gesteigert und vielen Armen das Heirathen fast unmöglich gemacht. Ein armer Nogaye dient oft viele Jahre, um so viel zu ersparen, sich ein Mädchen kaufen zu können und hat dann noch nichts, sich und sein Weib ordentlich zu nähren.

    Er darf aber weder bei den Aeltern des Mädchens dienen, um das er wirbt, auch nur nicht, wie schon gesagt, während der ganzen langen Zeit es besuchen. Reiche strecken Armen etwa Geld und Vieh vor, besonders ihren Knechten, damit sie heirathen können und dann mit der Frau in ihr Haus ziehen. Diese dient dann als Magd im Hause, jener als Knecht, so lange, bis sie die Schuld gemeinsam abverdient und abbezahlt haben. Dieses kann vielen Reichen besser dienen, als wenn sie sich eine zweite Frau zur Hülfe der ersten anschaffen müssen.

   Da das weibliche Geschlecht unter Aufsicht des männlichen steht und als Waare betrachtet ist, die mehr oder weniger gelten kann, so giebt man eine Frauensperson nie als Dienstmagd in ein fremdes Haus. Sie muß entweder als Frau angekauft werden, oder es muß auf oben besagte Weise geschehen, so daß eine Familie, Mann und Weib in Dienst genommen wird. Die Nogayen waren anfangs begierig, von den teutschen Kolonisten Mädchen zu erhalten und würden noch jetzt gerne solche kaufen; einem Christen hingegen würden sie keines ihrer Mädchen abtreten, ausser wenn er Christ zu sein aufhören und Muselmann werden wollte.

 

Die Hochzeit.

    Die Hochzeit wird immer an einem Donnerstag, als dem Tag vor Freitag gehalten. Die Bewohner des ganzen Dorfes werden nach alter Sitte dazu eingeladen (man vergl. 1. Mose 29, 22.). Es werden große Gastmahle gegeben, an denen auch aus entfernten Dörfern Bekannte Theil nehmen. Es werden auch Kuchen und Fleischstücke in die Häuser der Nachbarn und Bekannten geschickt, damit selbst Kinder und Kranke mitgeniessen können.

   Gewöhnlich wird die Hochzeit zuerst in dem Dorfe gehalten, wo die Braut wohnt und dann, einige Tage später, in demjenigen wo der Bräutigam sich befindet. Die Unkosten einer Tataren Hochzeit sind sehr beträchtlich. — Von der Braut werden selbst verfertigte Tabacksbeutel, gestickte Handtücher und dergleichen Sachen an Freunde und Verwandte vertheilt. Die Braut und der Bräutigam erhalten hingegen Geschenke an Vieh, Fleisch, Getreibe, Kuchen u. s. w.

    Die Hochzeitfeier dauert oft mehrere Tage; aber auch am letzten derselben ist die Braut nicht in demselben Hause mit dem Bräutigam. Erst Abends nach Sonnenuntergang bekommen sie sich zu sehen. Priester, die von beiden Seiten gewählt werden, bestätigen durch Handbietung als Stellvertreter und Zeugen, den Eheband für die Verlobten. Am Abend wird der Braut die Mütze abgenommen, welche sie bisher getragen und der Schleier angezogen, worauf sie durch alte Weiber in das Haus ihres nunmehrigen Gebieters und Gatten geführt wird.

    Wie müßte nicht einem zartfühlenden Wesen das Herz klopfen vor hochgespannter Erwartung, wenn beide einander nun — und zwar schon als Eheleute — zum erstenmale sehen sollen! Ein zartgebautes Mädchen sah ich von einem Tataren zum Weibe erkauft, der ein wahres Karrikaturbild ist und selbst unter den Tataren wegen seiner Häßlichkeit, seiner brüllenden Stimme, seines viehischen Benehmens, seiner Gefräßigkeit und Dummheit allgemein zum Sprüchworte wurde. Sie sahen sich am Tage der Hochzeit das erstemal und wiewohl ich diese Familie lange zu beobachten Gelegenheit hatte, da sie einige Zeit im Hause meines Wirthes Ali wohnte, so konnte ich an dem jungen Weibe dennoch nie die geringste Unzufriedenheit über ihr Schicksal oder Abneigung gegen ihren Mann und Geringschätzung desselben bemerken.

   Am Tage nach der Hochzeit muß die Frau im Putze die Glückwünsche der Besuchenden annehmen. Steif wie eine Bildsäule, ohne eine Miene zu verziehen, steht sie da, sich sehen zu lassen. Die jüngste von mehrern Weibern eines Mannes oder die letztgenommene Frau wird Nachkommende genannt. Das junge Weib darf vom Tage der Hochzeit an, bis ein Jahr verflossen ist, kein lautes Wort mit einem Fremden reden, und vor einem Unbekannten spricht sie auch mit ihren Ackern, Geschwistern und nächsten Verwandten nur ganz leise.

   Kommt man in solche Häuser, so glaubt man stumme Weiber zu sehen, die nur durch Geberden sich ausdrücken können. Sobald man ein wenig bekannt ist oder diese Frau allein im Hause angetroffen wird, so wird laut gesprochen. Vor fremden Gästen jedoch wird die Sitte streng beobachtet. Ist ein Jahr um, so wird ein Fest gefeiert und ein Mahl gegeben und von dem Tage an ist die Zunge der Frau gelöst und frei. Bei der Hochzeit mit einer zweiten Frau oder mit einer Wittwe wird weniger Umständlichkeit und Aufwand gemacht als bei der ersten Verheirathung mit einem Mädchen.

 

Vielweiberei.

    Die Vielweiberei, welche im Morgenlande Sitte und dem Muselmann durch den Koran erlaubt ist, hat auch der Nogaye, als eine aus uralter Zeit abstammende Gewohnheit und als mit dem Islam verträglich, im Gebrauch.

   Der Koran erlaubt vier Weiber, nebst Beischläferinnen oder Kebsweibern, so viele man deren kaufen und unterhalten kann. Da die Nogayen unter Rußland keine Sklaven und Sklavinnen halten dürfen, nach ihrer Sitte auch keine Dienstmägde zu haben sind, so sieht sich Mancher genöthiget, neben seiner ersten Frau — wenn sie mehrere Kinder und viel Arbeit hat oder kränklich ist — sich eine zweite als Gehülfin anzuschaffen. Die erste Frau verrichtet dann gewöhnlich die leichtere Hausarbeit, die zweite die groben und schweren Geschäfte, das Wassertragen, Hirsestoßen, Mahlen u. s. w.

    Der wohlhabende Nogaye liebt sehr, mehrere Weiber zu haben. Die meisten können sich jedoch nur eine und sehr viele gar keine anschaffen. Zwei Weiber eines Mannes findet man häufig; drei sind schon selten. Jede der Frauen erhält ein eigenes Schlafgemach; des Tages aber sitzen sie beisammen. In der Regel wechselt der Mann jede Nacht regelmäßig; doch ist er, der Aga, keineswegs gebunden. Gefällt ihm eine nicht, so wohnt er ihr gar nicht bei; will er eine strafen, so übergeht er sie um eine Nacht.

    Die Erstgenommene, gewöhnlich auch die Aelteste, soll gewisse Vorrechte über die Andern haben und gleichsam deren Vorgesetzte oder Mutter sein; allein die Letztgenommene oder Jüngste, meistens vom Manne den Andern vorgezogen und von ihm begünstigt, weiß gewöhnlich den Meister im Hause zu spielen, und tirannisirt und plagt die Andern.

   Verbunden mit den übrigen Sitten und namentlich in Uebereinstimmung mit dem Verhältnisse zwischen Mann und Weib, also nach dortigen Begriffen vom ehlichen Leben, von Freiheit und Sklaverei, stiftet die Vielweiberei nicht so viel Unfrieden unter dem Volke der Nogayen, als man wohl unter uns davon halten möchte.

 

Beschäftigung der Frauen.

    Wo nur eine Frau im Hause ist und schon mehrere noch unerwachsene Kinder sind, da giebt's Arbeit genug. Es muß oft Tag und Nacht hindurch in einem fort gearbeitet werden. Man hat sich nicht zu wundern, daß Menschen, welche so einfach leben wie die Nogayen und so wenige Bedürfnisse haben, sich doch so viel zu schaffen machen. Es rührt dies vom Mangel an Ordnung her. Nichts wird recht eingetheilt, behandelt und geschont; Mühe und Arbeit nicht in Ehren gehalten, — kurz, es wird im Ganzen schlecht Haus gehalten und alles ist nur für den gegenwärtigen Augenblick, nicht mit Rücksicht auf die Zukunft gethan.

    Wenn aber auch bei gehöriger Ordnung und Einrichtung alles viel leichter gehen könnte, so bleibt doch immer dem Weibe sehr viel und weit mehr Arbeit als dem Manne. Es muß so vieles, was bei uns angekauft wird, von der Hausfrau selbst gemacht und verarbeitet werden und zwar, bei dem Mangel nöthiger Hülfsmittel und Werkzeuge, auf eine sehr mühsame und zeitfressende Weise.

   Die Weiber haben neben der Besorgung der Kinder — so will es die Sitte — neben der gewöhnlichen Essenszeit oft noch mehrmals an einem Tage für Gäste, wenn diese auch nicht weit her sind, zu kochen. Sie müssen den Mann bei Hause bedienen und wenn er abwesend und kein Knecht vorhanden ist, auch noch wohl das Vieh tränken.

   Das Wasser zum Waschen, Kochen und Trinken müssen sie in großen Kübeln täglich aus oft ziemlich entfernten Brunnen oder Cisternen herbeitragen. Die Weiber sammeln auch den Mist auf der Steppe und bereiten den am Hause von dem eignen Vieh zur Feuerung zu. Sie waschen oft und verfertigen sich selbst die Seife. Sie übertünchen jährlich von aussen und innen die Häuser. Sie nähen auch die Hemden und Kaftans und was von Leinwand und Nankin getragen wird. Sie melken die Kühe, verfertigen Butter und Käse. Sie bereiten das nogayische Bier, mahlen auf der Handmühle, stoßen in einem großen hölzernen Mörser die Hülse der Hirse ab, welches eine schwere Arbeit ist, die fast täglich vorkommt. Sie kratzen Schaafwolle, spinnen sie, weben Tücher verschiedener Art, wirken Schnüre, machen Stricke von Wolle und Pferdehaaren, verfertigen Siebe, Wollteppiche und Matten von Schilf.

    Vor einem Manne darf die Frau nie vom Schleier entblößt sich zeigen, wenigstens nicht vor Gästen und Fremden. Zur Winterszeit im Freien wird der Schleier um Mund und Nase gewunden und läßt nur die Augen frei. Bei armen Frauen vertritt ein lumpiger Lappen Zeuges die Stelle des Schleiers. Auch das Tragen der Schleier ist nicht von gestern oder ehegestern, sondern war schon bei den alten Hebräern gebräuchlich. (Jesajah 3, 22. Jeremia 2, 32. Hesekiel 16, 10.)

 

Während des dritten Aufenthalts bei den Nogayen

    Nur drei Monate hatte ich bei den Nogayen mein früheres Leben fortgesetzt und die gewöhnliche Arbeit verrichtet, als sich wieder ein Krankheitsanfall bei mir einstellte, bei welchem ich nur mit großer Anstrengung schwerere Arbeit verrichten konnte. Meine Kraft schwand mit jedem Tage; ich war nicht mehr im Stande, auch nur Wasser zu schöpfen, um das Vieh zu tränken. Ali that alles Mögliche für mich; aber ich hätte, wenn nicht ihm, doch der Frau zur Last fallen müssen, da ich mich legen und bedient werden mußte.

    Ali führte mich also, meinem Wunsche gemäß, in die teutschen Kolonien, wo ich nach allen Kräften und mit vieler Freundschaft verpflegt wurde. Nachdem ich mich hergestellt glaubte, versuchte ich, meine vorige Lebensart bei den Nogayen fortzusetzen, sah mich aber bald neuerdings genöthigt, abzustehen. Ein zu dreien Tagen sich wiederholendes Fieber, in welchem starker Frost mit großer Hitze abwechselte, hielt sechs Monate an. Krämpfe, starke Geschwulst am Leib und an den Füßen und große Schwäche waren im Gefolge; auch zeigten sich wieder Spuren meiner frühern Krankheit in Polen. Die Chinarinde mit Wein soll das einzige Mittel sein, welches von dem dreitägigen Fieber ohne Schaden befreien kann; doch werden von den Kolonisten noch viele andere, vielleicht eben nicht dienliche Mittel gebraucht.

    Manche halten dafür, daß man dies Fieber nicht vertreiben soll. Bei Vielen arten diese Fieber in Wassersucht und andere tödtliche Krankheiten aus. Ali besuchte mich oft und kam auch mehrmals mit den Kindern zu mir. Seine Familie hatte sich nun noch mit einem Knaben vermehrt, dem der Name Nuftla gegeben wurde.

    Einen ungewöhnlich harten Winter, in welchem die Kälte oft auf 15  bis 20, eines Tages bis auf 26 Grad Reaumur stieg, brachte ich bei den Teutschen zu, unter denen ich so viele wahrhaft aufrichtige und treue Freunde gefunden. Den Namen eines Freundes, der mir unausgesetzt Beweise seiner aufrichtigen und gastfreundlichen Liebe gegeben hat, hier zu nennen, sei mir vergönnt. Es ist Johann Cornies, in der Kolonie Ohrlof an der Molotschna.

Die ersten Folgen dieser Serie zum Nachlesen  - Hier

Fortsetzung folgt

 

 

Reisen eines Schweizers nach Südrussland,
1822-1828,
zu den Nogayen, ein Tatarenvolk,
Nachbarn der Mennoniten

 

Folge 5

 

Ackerbau. Ackergeräthschaften

    Das Sprüchwort des Nogayen ist: „Gott hat dem Russen einen Pflug gegeben, dem Tataren ein Rad!" Dem Nomaden ist der Ackerbau verächtlich, weil er den Menschen an sein Land bindet und er mehr Arbeit und Schweiß kostet als das Hirtenleben.

    Der angesiedelte Nogaye lernt jedoch den Feldbau, da er mehr Gewinn als die Viehzucht giebt, immer mehr schätzen. Als Nomade tauscht er Vieh gegen Getreide aus; jetzt, auf eine gewisse Strecke Landes beschränkt, muß er selbst pflanzen und sich auf seinem Stück und von seinem Stück Land zu nähren suchen.

    Jedem Wirthe ist selbst von der Behörde aus ein gewisses Quantum Getreide vorgeschrieben, das er aussäen muß, wenn er einen Paß ausser das Gebiet haben will, um mit seinem Vieh auch die Märkte besuchen zu können.

    Mit der Pflugzeit, die gewöhnlich in den März fällt, hebt sich das alte Jahr der Nogayen an. Seit mehrern Jahren wird, da Land zum Feldbau im Ueberfluß vorhanden ist, von den reichern Tataren, welche Ochsen genug haben und sich Arbeiter halten können, beträchtlich viel Land angepflanzt. Da der Pflug sehr plump und schwer ist und da sehr tief geackert wird, so werden 10 oder 12 Ochsen angespannt.

   Die Arbeiter bivouaquiren zur Pflug und Aerntezeit auf dem Felde, schlagen Zelten auf, kochen selbst und werden vom Dorf aus von Zeit zu Zeit mit dem Nöthigen, mit Wasser, Buttermilch, Hirse und Fleisch versehen. Die Ochsen läßt man auf der Steppe weiden. Das Dorf ist oft zu weit entfernt, als daß man den Weg hin und zurück jeden Tag machen konnte. Auch sucht man gerne Morgens und Abends die Kühle und schläft zur Zeit der größten Sonnenhitze.

    Oft wird schon im Monat Februar gepflügt. Die Aernte ist in den Monaten Juni und Juli. In der Zwischenzeit hat der Nogaye nicht auf dem Acker zu arbeiten, beschäftigt sich aber mit der Heuärnte. Den Acker von Unkraut zu reinigen oder ihn zu düngen, daran denkt er nicht.

     Der Feldbau ist ganz des Mannes Geschäft. Geschnitten wird mit der Sichel, da die benachbarten Teutschen hingegen mehr die Sense gebrauchen. An den Enden des Ackers wird, nach der Vorschrift, die Gott selbst dem Volk Israel gegeben (2. Mose 19, 9.),  ein Fleck Getreide stehen gelassen, welches die Tataren den Vögeln bestimmen. Von den, bei der Aernte abgefallenen Körnern und zurück, gebliebenen Aehren kommt das Jahr darauf ohne die geringste weitere Arbeit noch eine einträgliche, die Mühe einer zweiten Aernte lohnende Menge Getreides heraus.

  

Die Märkte

   Die gewöhnlichen russischen Märkte, und die jährlichen Märkte, von Russen und Tataren mit dem teutschen Wort Jahrmarkt benannt, werden sehr fleißig besucht. Die Sucht umherzustreifen ist bei dem Nogayen, als einem vormaligen Nomaden, stark. Jede Gelegenheit benutzt er, um einen Markt besuchen zu können. Ja selbst ohne die geringste Veranlassung zieht er auf Märkten herum, bloß um seinem Hange zu folgen. Man sieht zwar nicht, was ihm eigentlich dabei Freude machen kann, da er auf Märkten mehr der verachtete und unterdrückte Theil ist.

   Er nimmt an dem Saufen und Tanzen des Russen und Teutschen keinen Antheil, hat sich seine trockne geröstete Hirse von Hause mit auf den Weg genommen, und kocht sich sein frugales Mahl auf dem Markt und auf der Straße, schläft, in den Pelz gehüllt, auf der bloßen Erde und unter freiem Himmel und setzt sich schlechter Witterung, Kälte und Nässe und allen Beschwerlichkeiten aus.

   Seine Freude ist lediglich das Herumziehen an und für sich. Dabei liebt er, irgend einen, wenn auch eben nicht vortheilhaften Tausch zu treffen. Auch nur Zuschauer bei einem Handel zu sein, macht ihm schon viel Vergnügen und er berechnet nicht den Schaden, den ihm diese Zeitversäumniß bringt.

   Viele Tataren bringen einen beträchtlichen Theil des Jahres auf Märkten zu, von denen immer einer auf den andern in der Nähe folgt. Da sie nicht immer genau die Zeit des Anfangs eines auswärtigen Marktes kennen, so gehen sie oft viel zu frühe und müssen acht und mehr Tage vor den Dörfern sich lagern, wobei oft ihr Vieh, schlechter Weide wegen, an Schönheit und Kraft abnimmt. Will der Nogaye sein Vieh, besonders Rindvieh, verkaufen, so muß er die Märkte beziehen, da er es an seinem Wohnorte nicht absetzen kann; auch findet er mehrere seiner Haushaltung und seiner Wirthschaftnöthige Sachen nur auf russischen Märkten.

 

Die Jagd

    Er liebt die Jagd noch jetzt leidenschaftlich und es giebt immer noch der Jäger genug, welche eine kostbare Zeit versäumen, gute Pferde zu Grunde richten, um oft unverrichteter Sache nach Hause zu kommen oder ein paar Rubel für ein Wolfsfell zu erhalten.

   Da der Nogaye weder Schießgewehr noch irgend eine Waffe tragen darf, so verfolgt er das wilde Thier zu Pferde mit einer Keule oder mit einem an langem Stiel befindlichen eisernen Hammer und jagt ihm so lange nach, bis es, ermüdet, nur langsam noch laufen kann oder gar niedersinkt und vom Reiter mit der Keule vom Pferd herunter einen Streich auf den Kopf bekommt und todtgeschlagen wird. Die Pferde, wiewohl vortreffliche Läufer, leiden dabei ausserordentlich, indem ungeheure Strecken von mehrern Meilen ohne Rast im Galopp zurückgelegt werden.

   Oft reiten mehrere Tataren zugleich auf die Jagd aus und treiben von verschiedenen Seiten das Gewild zusammen. Sie bedienen sich dabei der Windhunde. Die Jagd beschränkt sich auf Hasen, Füchse und Wölfe, welch letztern besonders eifrig zu Leibe gegangen wird.

 

Persönliches. Kleidung der Männer.

   Der Nogaye kleidet sich im Ganzen gut, bequem zur Arbeit, zum Sitzen und zum Reiten; nicht so enge wie der Abendländer, aber auch nicht so weit wie der Türke. Vor der Kälte sucht sich der Nogaye wohl zu schützen. Seine gewöhnlichste Bekleidung ist diejenige, welche Gott der Herr selbst dem ersten Menschenpaare gemacht und angezogen hatte und welche einem Hirtenvolke die wohlfeilste Bedeckung ist, die Felle der Lämmer ihrer Heerde.

   Es werden diese von ihren Weibern gegerbt und genäht. Im Winter ist der Nogaye durchgehends in Pelze gehüllt. Viele tragen Pelzröcke auch im Sommer, und kehren dann die Wolle auswärts. Pelzmützen werden Sommers und Winters von jedem Tataren getragen. Der Nogaye, als Muselmann mit beschornem Haupte, trägt oft drei Mützen übereinander; zuerst eine kleine rothe Mütze oder Schlafmütze; über diese die Modemütze, und über beide noch eine große schwarzwollene Mütze oder auch eine von selbst verfertigtem Tuche, welche man Ohrenmütze nennt, weil sie stark die Ohren bedeckt.

   Um den Hals trägt der Tatar in der Regel nichts; an Festtagen aber werden von jungen Leuten bunte Halstücher getragen. Man trägt weisse leinene Hemden, welche so geschnitten und genäht sind, daß sie ganz und gar keine Falten haben, da in diese das Ungeziefer sich setzen könnte. Der Nogaye hat gewöhnlich nur ein Hemd. Drei Hemden werden schon für großen Vorrath gehalten.

An den Füßen trägt der Nogaye auf Reisen rothe oder schwarze Stiefeln. Das Baarfußgehen wird für eine Schande gehalten und man sieht dies bei Tataren nicht. Wer keine Schuhe zu kaufen vermag, der macht sich die in Rußland unter dem Landvolk allgemein gebräuchlichen Riemenschuhe. Junge Männer, besonders die Brautwerber und was Stutzer sind, tragen Fingerringe von Silber oder Mesfing, mir eingefaßtenrothen Steinen oder geschliffenem Glas.

 

Weibliches Geschlecht

   Der Zustand des weiblichen Geschlechts der Nogayen ist, wie fast allgemein im Morgenland und nach muselmännscher Weise, ein sklavischer. So erscheint er nämlich uns! Wer aber die Behandlung des eigentlichen Sklaven, unter Muselmännern überhaupt genommen, kennt, der wird finden, daß das weibliche Geschlecht der Muselmänner selbst seinen Zustand keineswegs auch nur von ferne mit dem eines Sklaven wird vergleichen wollen. Auch hierin herrscht die Allmacht der Gewohnheit.

   Die Behandlung, die die Weiber vom männlichen Geschlecht erfahren, erscheint ihnen gar nicht drückend, wenn nur der Mann keine Ausnahme von der allgemeinen Regel macht. Auf die Seite des Bessern sind die Ausnahmen höchst selten; derjenigen aber, wobei der Mann den eigentlichen Tirannen spielt, giebt es ja aller Orten. — Wenn die Nogayin in einem gänzlich passiven, untergebenen, gehorchenden Zustande gegen den Mann steht, so macht sie das nicht leiden.

   Sie finden es so in der Ordnung und lassen dem Ausspruche: Dein Wille soll deinem Manne unterworfen sein, und er soll dein Herr sein (1.Mose 3, 16.); und wie Sarah ihren Mann Abraham Herr nannte, so wird auch von der Nogayin der Mann Herr, genannt. Dies mag sein Gutes haben unter einem Volke, wo nicht christliche, oft nicht einmal rein menschliche Liebe, sondern mehr bloß die sinnliche Lust Mann und Weib verbindet.

   Wo nicht christliche Liebe im Ehestände herrscht, nicht beide Theile als ein Leib sich ansehen und gegenseitig zu erhalten, zu stärken, zu lieben bemüht sind, da mag gut sein, daß wenigstens der Mann Herr im Hause sei. Wenn freilich der Morgenländer darin oft zu weit geht und das weibliche Geschlecht zu wenig geachtet, eigentlich zurückgesetzt ist, zu wenig Freiheit genießt und deßwegen in hohem Grade zu bedauern ist, so wird doch im Ganzen weniger gelitten und findet man weniger Mißmuth, Traurigkeit und Kummer als im Abendlande, wo ein anderes, dem morgenländischen aber oft ganz entgegengesetztes eheliches Verhältniß statt hat.

   Wie glücklich aber und gesegnet ist die Ehe in christlicher Liebe.' O wie bedauernswerth erscheint gegen ein solches Band und solches Leben das morgenländische, wiewohl es auch da glückliche Ausnahmen giebt. Das weibliche Geschlecht, in den frühern Lebensjahren in Vielem verweichlicht, fast immer zu Hause gehalten, später zu sehr angestrengt und auf keine Weise vom Manne geschont, verwelkt und veraltet sehr frühe.

   Selten findet sich über 3O Jahren noch eine schöne blühende Gesichtsfarbe, mehr verrunzelte, magere und bleiche Gestalten, mit Spuren früherer Schönheit. Eine große Schuld daran mag das zu frühe Heirathen, im dreizehnten bis sechzehnten Jahre, sein.

    Die Bestimmung des Weibes nach morgenländischen und muselmännischen Ansichten ist: Dem Manne zur Befriedigung der Lust zu dienen und nebenbei auf jede andere Art ihm so viel möglich zu Willen zu leben; dafür zu sorgen, daß, wenn er bei Hause ist, von der Reise oder Arbeit kommt, es ihm weder an guter Speise noch andern Bedürfnissen des Leibes fehle; daß sie ihm aufwarte, diene und alle Bequemlichkeit zu verschaffen suche.

    Das Weib darf an keine Ruhe denken, bis dem Manne nichts mehr von ihr zu verlangen übrig bleibt. Nach den Aussprüchen des Korans hat das Weib auch jenseits die Bestimmung, dem Manne zu dienen, nur mit dem Unterschiede, daß sie dort wieder verjüngt und — ewig jung und schön bleibend — des edeln Berufes, dem Manne aufzuwarten und zu gefallen, nicht los wird.

    Es läßt sich denken, was von einem Geschlechte zu erwarten ist, das für diese Erde sowohl als für jenseits, im Paradiese, keine höhere Bestimmung kennt und keinen andern Begriff von dem Zwecke seines Daseins hat als diesen!

    Es ist begreiflich, daß das Weib nur so viel thut, als sie pflichtgemäß oder nachgedrungen thun muß, sich übrigens wenig um ihren Mann und ihre Kinder, um gute Besorgung und Förderung der Wirthschaft bekümmert. Das Weib hat auch keine Stimme bei der Leitung der Wirthschaft und der weitern Erziehung oder des Schicksals der Kinder und sie darf — wenigstens vor den Augen des Mannes — nichts aus eignem Willen oder eigenmächtig thun.

   Da keine Liebe weder zur Arbeit noch überhaupt zum Gehorsam antreibt, sondern nur Gewohnheit, Gebrauch und Furcht und etwa ein daraus nach und nach entstandenes dunkles Pflichtgefühl, so ist sich nicht zu wundern, daß die Pflicht und Sitte oft gebrochen wird, wenn der Mann oder die Furcht aus dem Hause ist; daß das Weib gerne, als Folge der Uebertretung, mit Lüge und Hinterlist umgeht und daß oft nur die Kantschu oder Peitsche die Sache wieder für eine kleine Zeit in Gang und Ordnung bringt.

   Am meisten regiert die Peitsche in Häusern, wo mehrere Weiber sind und jene ist diesen, was die Ruthe den Kindern. Sie glauben auch, daß der Mann weiter nichts als seine Pflicht erfülle und die Vorschriften des Korans und daß er nur sein Recht behaupte, wenn er peitscht.

Was die Vielweiberei betrifft, so ist die Tatarin weit entfernt, diese als eine üble Gewohnheit anzusehen; indessen ist es denn doch einem Weibe nicht immer gelegen, daß der Mann neben ihr noch ein Weib anschafft und wenn es ihr auch ganz gleichgültig wäre, so wird man sich doch nicht wundern, daß in einem solchen Verhältniß und bei solcher Gemeinschaft wenigstens zwischen den Weibern recht oft Uneinigkeit und Zank entsteht.

    Wenn die Nogayin auch eine natürliche Zuneigung zum Manne hat, was mitunter auch der Fall sein kann, so sieht sie sich doch ohne ihre eigene Wahl an ihn geknüpft, von ihm gekauft und in Gefahr, daß er sich bald eine jüngere Frau neben ihr anschafft und dieselbe ihr vorzieht. Was das Kaufen anbelangt, so macht das Reden davon vor der Frau keinen Übeln Eindruck auf diese.

    Ich mußte mich oft recht zwingen, mich deßhalb in ihre Begriffe hineinzudenken, besonders auch, wenn mein Hauswirth, neben mir sitzend, sich zu mir wendend alles im Detail aufzählte, was seine Frau ihn an Geld, Pferden und Rindern gekostet habe, was er mir oft vor der Frau wiederholte. "Ach, dachte ich, schweig doch einmal davon und beleidige nicht das Ehrgefühl deiner Frau!" Aber es war ganz anders. Dieser war solche Erzählung gar angenehm; sie wünschte, daß Jeder es wissen möchte, daß sie nicht zu wohlfeil verkauft worden, sondern ihren Preis gegolten habe. Es giebt Nogayen — und ich freute mich, mehrere kennen zu lernen — welche ihre Weiber mit Geduld und Sanftmuth behandeln.

    Das Weib ist auch keineswegs ganz der Willkühr eines bösen, schlechten Mannes preisgegeben, wie eine Sklavin, sondern hat ihre besondern Rechte, die sie vor den Aeltesten des Dorfes und vor den Priestern geltend zu machen sucht. Der Mann wird gewarnt und kann auch bestraft werden. Ohnedem stehen jetzt die Nogayen unter russischen Gesetzen, welche das Weib vor zu grausamer körperlicher Mißhandlung schützen; indessen ist es dann doch gewöhnlich schon zu arg und oft auch zu spät, wenn gleich dem Manne die Einrede: "Der Kaiser kann mir nichts befehlen! Ich habe mein Weib gekauft!" nicht abgenommen wird.

   So unrecht auch der Mann gegen das Weib handelt, so darf sie ihn dennoch nicht in's Gesicht schelten, oder gar, wenn sie an Körperkraft überlegen wäre, Schlag um Schlag, Zahn um Zahn, Aug um Aug vergelten. Wie auffallend und sonderbar, vielleicht lächerlich müßte es einer Tatarin erscheinen, ihr Geschlecht unter uns so hervorgehoben, ausgezeichnet, bedient und gelobt zu sehen; wie auffallend ihr, die gewohnt ist, nie mit dem Manne an einer Tafel zu speisen, gewöhnlich nur die Ueberbleibsel oder das vom Manne ihr gnädig Ausgesuchte und in die Küche Geschickte zu essen; ihr, die nie öffentlich an der Seite des Mannes sich zeigen darf; die nie wählen, selbst handeln oder gar befehlen darf, sondern nur gehorchen soll, nie vor einem Manne vorüber gehen darf; im Hause, wo der Mann sitzt, sich hinter seinem Rücken durchschmiegen und durchdrängen muß und nicht wagt, den weiten Raum vor ihm zum Durchpaß zu benutzen; die auf der Querstraße stehen bleibt, bis der Mann, der ihr von ferne entgegen kommt, vorübergegangen ist; die kein Wort reden darf, wenn ein Mann spricht; die dem Manne Knechtesdienste thun, seine Pfeife anzünden und anrauchen, auch wohl dessen Pferd satteln muß; die dem alten Tataren ehrerbietig die Hand küßt, nicht das öffentliche Versammlungs- oder Bethaus besuchen darf und nur in Gesellschaft ihres Geschlechts und gewöhnlich nur mit Ochsen spazieren fährt.

   Möchten sich doch Alle die  in christlichen Ländern geboren, nach christlichen Grundsätzen erzogen und behandelt sind — wenn auch unter Leiden und Sorgen lebend — dennoch glücklich schätzen und Gott danken. Bemerkenswerth ist der Unterschied, den die tatarische Frau zu machen hat, wenn sie vor Männern oder hingegen allein ist. Zurückhaltend, steif und schüchtern, still und schweigend oder doch nur halblaut und abgebrochen redend ist sie in der Gegenwart der Männer; hingegen laut und sehr gesprächig, in ihrer Art lebendig, oft recht lustig und ausgelassen, wenn sie nur allein mit ihres Gleichen ist.

   Ihr größtes Vergnügen ist, sich in vollem Putze zu zeigen, im Dorfe herum zu spazieren oder Freundinnen in benachbarten Dörfern zu besuchen, welches letztere aber nie allein, sondern immer in Gesellschaft Anderer ihres Geschlechtes geschehen darf. Fahren sie aus, so sieht man oft den großen Wagen ganz voll gepfropft von Weibern, welche alle nebeneinander auf ihren Füßen sitzen, so daß jede nur sehr wenig Raum einnimmt.

   Ihre von Ochsen gezogenen Bretterwagen sind höchstens etwa mit einem Teppich belegt. Auf Pferden oder Kameelen dürfen sie nie reiten. Eine Versündigung ist es der Nogayin, die Schuhe ihres Mannes vor seinen oder Anderer Augen verkehrt, d. h. mit dem Rücken nach unten, zu legen. Es bedeutet, daß sie ihn nicht achte und ihm den Gehorsam aufkünde. Ein solcher Fall wird den Aeltesten und Priestern angezeigt, und von ihnen richterlich beurtheilt.

    Der Mann seinerseits versündigt sich, wenn er dem Weibe Haare ausreißt. Stirbt ein Mann, so hat die Nogayin ihren Herrn Gemahl, der nun im Paradies unter der Menge auserlesener Schönen schwelgt, mit fürchterlichem Geheul Monate lang öffentlich zu beklagen und zu beweinen, während dem ihre Brüder oder andere männliche Verwandte vielleicht schon über ihr Schicksal verfügt und sie an einen andern Mann verkauft oder versprochen haben.

   Die Tataren-Weiber sind im Ganzen nicht besonders fruchtbar, gebären aber sehr leicht. Eine Freundin macht der andern die Hebamme entbehrlich. Die Frau arbeitet gewöhnlich bis auf die letzte Stunde und oft auch schon wieder am Tag nach ihrer Niederkunft.

   Als Tasche, die Frau meines Hauswirthes Ali, ihre Niederkunft nahe fühlte, und ganz allein im Hause war, gieng sie (im Monat Februar) hinter das Haus in den Hof, wo des Nachts die Kühe lagern, legte hier glücklich ein Mädchen ab, wickelte es in ihren Kaftan oder Rock ein und trug es in ein benachbartes Haus, um das Kind besorgen zu lassen und sich für einige Stunden hinlegen zu können.

   Die Weiber sind nicht mehr so sehr schüchtern vor wildfremden Menschen, als sie es früher waren; doch ziehen sich die meisten bei der Ankunft eines Fremden schnell in die Häuser und in's innere Zimmer zurück. Sonst lassen sie sich häufig und immer unverschleiert den Schleier rückwärts geschlagen, auf den Gassen des Dorfes und vor den Häusern sehen. Der Harem  des Nogayen ist das innere oder Schlafzimmer in welches aber jeder Fremde auch eingeführt wird; ja es wird dasselbe dem fremden Gast oft sogar eingeräumt und die Weiber gehen dann gewöhnlich in's Vorhaus oder in die Küche zu schlafen.

Mädchen- und Weiberhandel.

    Um ein Mädchen dient der Nogaye wie Jakob (1. Mose 29, 18.) und der Vater handelt um seine Tochter wie Laban, und verändert, wenn es ihm nur immer möglich ist, auch oft den Preis. Es werden bisweilen Mädchen sogar schon in der Wiege von ihren Aeltern verkauft. Zwei Tataren, von denen einer einen Knaben, der andere ein Mädchen hat, kommen überein, diese mit einander zu verbinden. Es geschieht dieses von dem Vater des Mädchens ökonomischen Vortheils wegen, nachgedrungen, oder auch aus Freundschaft. Ist die Uebereinkunft geschlossen, der Preis des Mädchens bestimmt und von Priestern verschrieben, so wird eine Vorhochzeit gehalten. Das Mädchen bleibt aber im älterlichen Hause.

    Der Vater des Knaben bezahlt nun in festgesetzten Terminen den Preis des Mädchens in Vieh oder Geld. — Ist alles bezahlt und das Mädchen so wie der Knabe haben das Alter von 14 bis 17 Jahren erreicht, so wird die rechte Hochzeit gefeiert. Der Jüngling hat selten etwas einzuwenden gegen das, was sein Vater ihm bestimmt und gekauft hat. Er ist froh, bei Zeiten ein bezahltes Weib zu haben.

   Von Seite des Mädchens kann in keinem Fall Einrede statt haben. Es hat sich immer ganz dem Willen des Vaters zu fügen und wird in der Regel, so wie die Mutter, darüber nicht befragt; nicht einmal, ob oder wann sie heirathen wolle. Es frägt auch nicht darnach, wer ihr künftiger Gatte sein werde und was für ein Aussehen er habe, eher etwa, in welchem Dorf er wohne und wie viel Vieh er habe.

   Welche Entferntheit von unsern, durch das Christenthum veredelten Begriffen, Forderungen und Regeln! Freilich giebt es auch hier etwa Vater, welche sich mit den Müttern und Kindern deßhalb unterreden und berathen. Dieser Fall mag aber selten sein, weil es beide Theile und zwar, in Betracht des hier bestehenden Verhältnisses des Weibes zum Manne, mit Recht eben nicht für nöthig halten. Freilich giebt der Weiber-, besonders der Kinderhandel viel Gelegenheit zu Streit unter den Tataren.

   In der langen Zahlungs- oder Erziehungszeit der Kinder werden sich die Aeltern, früher Freunde, zu Feinden; oder andere Umstände treten ein, daß den einen oder andern Theil der Handel reut und man Anlaß sucht, denselben rückgängig zu machen und das schon Bezahlte wieder zurück zu erhalten.

   Es bestehen zwar deßhalb gewisse Satzungen, die aber nicht genau genug bestimmt, nicht auf alle möglichen Fälle berechnet sind. So liegt z. B. ein sehr natürlicher Aufhebungsgrund eines solchen Vertrages darin, wenn das Kind auf diese oder jene Weise verunstaltet oder verstümmelt wird. Solcher Händel haben die Priester und die Aeltesten sehr viele zu schlichten, bei welchen der Reichere gewöhnlich Recht bekommt.

   Wirbt ein Nogaye um ein Mädchen, so darf er dies nicht unmittelbar selbst, sondern nur durch Freunde und Bekannte thun. Gewöhnlich geschieht es durch eine Brautwerberin, durch welche der Handel mir dem Vater des Mädchens eingekettet wird. Sie giebt Nachricht von dem Aussehen und Befinden des Mädchens. Hat der Werber dieses früher schon gesehen, so darf er doch von dem Tag an, da er um selbes wirbt, es nicht mehr sehen, noch das Haus desselben besuchen und wenn es Jahre dauern sollte, bis er das Mädchen abbezahlt hat und heirathen kann.

   Ehrenfester und gebräuchlicher aber ist, daß der Werber das Mädchen gar nicht kenne. Deßwegen heirathen sich selten zwei aus demselben Dorfe, sondern man nimmt sich Mädchen aus andern, entferntern Dörfern. Der Freier fragt weniger nach Gestalt und Schöne als nach dem Preis des Mädchens und nach dem, was ihre Aeltern ihr als Mitgift an Putz, Kleidern, Matratzen u. s. w. geben, nach welchem sich dann auch der Preis des Mädchens richtet und welches alles berechnet und bei'm Handel in Anschlag gebracht wird. Worauf noch etwa gesehen wird, ist die Familie, die Abstammung und Herkunft derselben.

   Die Nogayen theilen sich nicht nur in verschiedene Haupt-und einige Nebenstämme, sondern je eine Familie glaubt vor einer andern etwas voraus zu haben und steht in mehr oder weniger Ansehen. Ein aus rein nogayischem Geblüte entsprossenes Mädchen wird theurer bezahlt, als wenn es einer mit andern Tatarenstämmen vermischten Familie angehörte. Ein krimmisch-tatarisches Mädchen wird nur von ärmern Nogayen und wohlfeil gekauft.

   Der Mädchen und Weiberhandel geschieht in der Berechnung immer nach einer gewissen Anzahl Kühe. Der Marktpreis des Viehes mag sein, welcher er will, so wird in diesem Handel immer obiger Preis gerechnet. Zwei Kühe werden auf das Pferd und auf einen Ochsen, acht Schaafe auf die Kuh gerechnet. So kann man denn in Geld, in Kühen, in Ochsen, Pferden oder Schaafen bezahlen, je nachdem man übereinkommt. Der gewöhnliche Preis eines ächt nogayischen Mädchens ist 30  Kühe oder 600 Rubel Banco. Sie kommen aber auch wohl bis 1000 und mehr Rubel zu stehen. Ein krimmsches Mädchen kann für 5 bis 10 Kühe gekauft werden.

    Wittwen sind in jedem Falle wohlfeiler als Mädchen, doch je nach Alter und Abkunft und besonders ob mit oder ohne Kinder, im Preise verschieden. Das weibliche Geschlecht gehört ganz dem männlichen an. Der Vater verkauft die Tochter, der Bruder die Schwester. Bei dem Erbe unter Brüdern wird die Schwester als ein Gut, als Waare betrachtet, die zu einem gewissen Preis dem einen oder andern Bruder zufällt. Wer die Schwester erhält, bekommt demnach um so viel weniger Vieh auf seinen Theil, weil er sie verkaufen kann.

    Eine Wittwe fällt mit den Kindern den nächsten männlichen Verwandten zu, welche sie behalten oder verkaufen können. Der Mann darf seine Frau nicht verkaufen, wenn sie ihm nicht gefällt, wohl aber fortjagen. Er erhält jedoch, wenn er weiter keinen Grund der Unzufriedenheit gegen sie hat, das für sie Bezahlte nicht zurück. Sie geht zu ihren Ackern oder Verwandten, welche sie jedoch nur in dem Fall wieder verkaufen können, wenn der Mann sich förmlich von ihr trennen will, welches selten geschieht, da sie so theuer bezahlt werden müssen.

   Das Weglaufen einer Frau von dem Manne kann ihr wenig helfen; denn ohne Einwilligung des Mannes darf sie von Niemanden aufgenommen werden und sobald sie von jenem zurückverlangt wird, muß sie ausgeliefert werden. Hat eine Frau schlechte Streiche gespielt, den Mann bestohlen oder gar Ehebruch sich zu Schulden kommen lassen und der Mann will sich von ihr trennen, so erhält er in solchem Falle alles für sie Bezahlte zurück. Doch geht es selten ohne Verlust und ohne Zänkerei dabei zu.

   Ein geschändetes Mädchen fällt sehr im Preise und wird nur etwa von den Aermsten noch gekauft. Wer sich an einem Mädchen betrogen findet und sich darüber ausweisen kann, der rächt sich fürchterlich und erhält sein Geld zurück. Da der Reiche sich mehrere Weiber anschafft, so wird dadurch der Preis der Mädchen gesteigert und vielen Armen das Heirathen fast unmöglich gemacht. Ein armer Nogaye dient oft viele Jahre, um so viel zu ersparen, sich ein Mädchen kaufen zu können und hat dann noch nichts, sich und sein Weib ordentlich zu nähren.

    Er darf aber weder bei den Aeltern des Mädchens dienen, um das er wirbt, auch nur nicht, wie schon gesagt, während der ganzen langen Zeit es besuchen. Reiche strecken Armen etwa Geld und Vieh vor, besonders ihren Knechten, damit sie heirathen können und dann mit der Frau in ihr Haus ziehen. Diese dient dann als Magd im Hause, jener als Knecht, so lange, bis sie die Schuld gemeinsam abverdient und abbezahlt haben. Dieses kann vielen Reichen besser dienen, als wenn sie sich eine zweite Frau zur Hülfe der ersten anschaffen müssen.

   Da das weibliche Geschlecht unter Aufsicht des männlichen steht und als Waare betrachtet ist, die mehr oder weniger gelten kann, so giebt man eine Frauensperson nie als Dienstmagd in ein fremdes Haus. Sie muß entweder als Frau angekauft werden, oder es muß auf oben besagte Weise geschehen, so daß eine Familie, Mann und Weib in Dienst genommen wird. Die Nogayen waren anfangs begierig, von den teutschen Kolonisten Mädchen zu erhalten und würden noch jetzt gerne solche kaufen; einem Christen hingegen würden sie keines ihrer Mädchen abtreten, ausser wenn er Christ zu sein aufhören und Muselmann werden wollte.

 

Die Hochzeit.

    Die Hochzeit wird immer an einem Donnerstag, als dem Tag vor Freitag gehalten. Die Bewohner des ganzen Dorfes werden nach alter Sitte dazu eingeladen (man vergl. 1. Mose 29, 22.). Es werden große Gastmahle gegeben, an denen auch aus entfernten Dörfern Bekannte Theil nehmen. Es werden auch Kuchen und Fleischstücke in die Häuser der Nachbarn und Bekannten geschickt, damit selbst Kinder und Kranke mitgeniessen können.

   Gewöhnlich wird die Hochzeit zuerst in dem Dorfe gehalten, wo die Braut wohnt und dann, einige Tage später, in demjenigen wo der Bräutigam sich befindet. Die Unkosten einer Tataren Hochzeit sind sehr beträchtlich. — Von der Braut werden selbst verfertigte Tabacksbeutel, gestickte Handtücher und dergleichen Sachen an Freunde und Verwandte vertheilt. Die Braut und der Bräutigam erhalten hingegen Geschenke an Vieh, Fleisch, Getreibe, Kuchen u. s. w.

    Die Hochzeitfeier dauert oft mehrere Tage; aber auch am letzten derselben ist die Braut nicht in demselben Hause mit dem Bräutigam. Erst Abends nach Sonnenuntergang bekommen sie sich zu sehen. Priester, die von beiden Seiten gewählt werden, bestätigen durch Handbietung als Stellvertreter und Zeugen, den Eheband für die Verlobten. Am Abend wird der Braut die Mütze abgenommen, welche sie bisher getragen und der Schleier angezogen, worauf sie durch alte Weiber in das Haus ihres nunmehrigen Gebieters und Gatten geführt wird.

    Wie müßte nicht einem zartfühlenden Wesen das Herz klopfen vor hochgespannter Erwartung, wenn beide einander nun — und zwar schon als Eheleute — zum erstenmale sehen sollen! Ein zartgebautes Mädchen sah ich von einem Tataren zum Weibe erkauft, der ein wahres Karrikaturbild ist und selbst unter den Tataren wegen seiner Häßlichkeit, seiner brüllenden Stimme, seines viehischen Benehmens, seiner Gefräßigkeit und Dummheit allgemein zum Sprüchworte wurde. Sie sahen sich am Tage der Hochzeit das erstemal und wiewohl ich diese Familie lange zu beobachten Gelegenheit hatte, da sie einige Zeit im Hause meines Wirthes Ali wohnte, so konnte ich an dem jungen Weibe dennoch nie die geringste Unzufriedenheit über ihr Schicksal oder Abneigung gegen ihren Mann und Geringschätzung desselben bemerken.

   Am Tage nach der Hochzeit muß die Frau im Putze die Glückwünsche der Besuchenden annehmen. Steif wie eine Bildsäule, ohne eine Miene zu verziehen, steht sie da, sich sehen zu lassen. Die jüngste von mehrern Weibern eines Mannes oder die letztgenommene Frau wird Nachkommende genannt. Das junge Weib darf vom Tage der Hochzeit an, bis ein Jahr verflossen ist, kein lautes Wort mit einem Fremden reden, und vor einem Unbekannten spricht sie auch mit ihren Ackern, Geschwistern und nächsten Verwandten nur ganz leise.

   Kommt man in solche Häuser, so glaubt man stumme Weiber zu sehen, die nur durch Geberden sich ausdrücken können. Sobald man ein wenig bekannt ist oder diese Frau allein im Hause angetroffen wird, so wird laut gesprochen. Vor fremden Gästen jedoch wird die Sitte streng beobachtet. Ist ein Jahr um, so wird ein Fest gefeiert und ein Mahl gegeben und von dem Tage an ist die Zunge der Frau gelöst und frei. Bei der Hochzeit mit einer zweiten Frau oder mit einer Wittwe wird weniger Umständlichkeit und Aufwand gemacht als bei der ersten Verheirathung mit einem Mädchen.

 

Vielweiberei.

    Die Vielweiberei, welche im Morgenlande Sitte und dem Muselmann durch den Koran erlaubt ist, hat auch der Nogaye, als eine aus uralter Zeit abstammende Gewohnheit und als mit dem Islam verträglich, im Gebrauch.

   Der Koran erlaubt vier Weiber, nebst Beischläferinnen oder Kebsweibern, so viele man deren kaufen und unterhalten kann. Da die Nogayen unter Rußland keine Sklaven und Sklavinnen halten dürfen, nach ihrer Sitte auch keine Dienstmägde zu haben sind, so sieht sich Mancher genöthiget, neben seiner ersten Frau — wenn sie mehrere Kinder und viel Arbeit hat oder kränklich ist — sich eine zweite als Gehülfin anzuschaffen. Die erste Frau verrichtet dann gewöhnlich die leichtere Hausarbeit, die zweite die groben und schweren Geschäfte, das Wassertragen, Hirsestoßen, Mahlen u. s. w.

    Der wohlhabende Nogaye liebt sehr, mehrere Weiber zu haben. Die meisten können sich jedoch nur eine und sehr viele gar keine anschaffen. Zwei Weiber eines Mannes findet man häufig; drei sind schon selten. Jede der Frauen erhält ein eigenes Schlafgemach; des Tages aber sitzen sie beisammen. In der Regel wechselt der Mann jede Nacht regelmäßig; doch ist er, der Aga, keineswegs gebunden. Gefällt ihm eine nicht, so wohnt er ihr gar nicht bei; will er eine strafen, so übergeht er sie um eine Nacht.

    Die Erstgenommene, gewöhnlich auch die Aelteste, soll gewisse Vorrechte über die Andern haben und gleichsam deren Vorgesetzte oder Mutter sein; allein die Letztgenommene oder Jüngste, meistens vom Manne den Andern vorgezogen und von ihm begünstigt, weiß gewöhnlich den Meister im Hause zu spielen, und tirannisirt und plagt die Andern.

   Verbunden mit den übrigen Sitten und namentlich in Uebereinstimmung mit dem Verhältnisse zwischen Mann und Weib, also nach dortigen Begriffen vom ehlichen Leben, von Freiheit und Sklaverei, stiftet die Vielweiberei nicht so viel Unfrieden unter dem Volke der Nogayen, als man wohl unter uns davon halten möchte.

 

Beschäftigung der Frauen.

    Wo nur eine Frau im Hause ist und schon mehrere noch unerwachsene Kinder sind, da giebt's Arbeit genug. Es muß oft Tag und Nacht hindurch in einem fort gearbeitet werden. Man hat sich nicht zu wundern, daß Menschen, welche so einfach leben wie die Nogayen und so wenige Bedürfnisse haben, sich doch so viel zu schaffen machen. Es rührt dies vom Mangel an Ordnung her. Nichts wird recht eingetheilt, behandelt und geschont; Mühe und Arbeit nicht in Ehren gehalten, — kurz, es wird im Ganzen schlecht Haus gehalten und alles ist nur für den gegenwärtigen Augenblick, nicht mit Rücksicht auf die Zukunft gethan.

    Wenn aber auch bei gehöriger Ordnung und Einrichtung alles viel leichter gehen könnte, so bleibt doch immer dem Weibe sehr viel und weit mehr Arbeit als dem Manne. Es muß so vieles, was bei uns angekauft wird, von der Hausfrau selbst gemacht und verarbeitet werden und zwar, bei dem Mangel nöthiger Hülfsmittel und Werkzeuge, auf eine sehr mühsame und zeitfressende Weise.

   Die Weiber haben neben der Besorgung der Kinder — so will es die Sitte — neben der gewöhnlichen Essenszeit oft noch mehrmals an einem Tage für Gäste, wenn diese auch nicht weit her sind, zu kochen. Sie müssen den Mann bei Hause bedienen und wenn er abwesend und kein Knecht vorhanden ist, auch noch wohl das Vieh tränken.

   Das Wasser zum Waschen, Kochen und Trinken müssen sie in großen Kübeln täglich aus oft ziemlich entfernten Brunnen oder Cisternen herbeitragen. Die Weiber sammeln auch den Mist auf der Steppe und bereiten den am Hause von dem eignen Vieh zur Feuerung zu. Sie waschen oft und verfertigen sich selbst die Seife. Sie übertünchen jährlich von aussen und innen die Häuser. Sie nähen auch die Hemden und Kaftans und was von Leinwand und Nankin getragen wird. Sie melken die Kühe, verfertigen Butter und Käse. Sie bereiten das nogayische Bier, mahlen auf der Handmühle, stoßen in einem großen hölzernen Mörser die Hülse der Hirse ab, welches eine schwere Arbeit ist, die fast täglich vorkommt. Sie kratzen Schaafwolle, spinnen sie, weben Tücher verschiedener Art, wirken Schnüre, machen Stricke von Wolle und Pferdehaaren, verfertigen Siebe, Wollteppiche und Matten von Schilf.

    Vor einem Manne darf die Frau nie vom Schleier entblößt sich zeigen, wenigstens nicht vor Gästen und Fremden. Zur Winterszeit im Freien wird der Schleier um Mund und Nase gewunden und läßt nur die Augen frei. Bei armen Frauen vertritt ein lumpiger Lappen Zeuges die Stelle des Schleiers. Auch das Tragen der Schleier ist nicht von gestern oder ehegestern, sondern war schon bei den alten Hebräern gebräuchlich. (Jesajah 3, 22. Jeremia 2, 32. Hesekiel 16, 10.)

 

Während des dritten Aufenthalts bei den Nogayen

    Nur drei Monate hatte ich bei den Nogayen mein früheres Leben fortgesetzt und die gewöhnliche Arbeit verrichtet, als sich wieder ein Krankheitsanfall bei mir einstellte, bei welchem ich nur mit großer Anstrengung schwerere Arbeit verrichten konnte. Meine Kraft schwand mit jedem Tage; ich war nicht mehr im Stande, auch nur Wasser zu schöpfen, um das Vieh zu tränken. Ali that alles Mögliche für mich; aber ich hätte, wenn nicht ihm, doch der Frau zur Last fallen müssen, da ich mich legen und bedient werden mußte.

    Ali führte mich also, meinem Wunsche gemäß, in die teutschen Kolonien, wo ich nach allen Kräften und mit vieler Freundschaft verpflegt wurde. Nachdem ich mich hergestellt glaubte, versuchte ich, meine vorige Lebensart bei den Nogayen fortzusetzen, sah mich aber bald neuerdings genöthigt, abzustehen. Ein zu dreien Tagen sich wiederholendes Fieber, in welchem starker Frost mit großer Hitze abwechselte, hielt sechs Monate an. Krämpfe, starke Geschwulst am Leib und an den Füßen und große Schwäche waren im Gefolge; auch zeigten sich wieder Spuren meiner frühern Krankheit in Polen. Die Chinarinde mit Wein soll das einzige Mittel sein, welches von dem dreitägigen Fieber ohne Schaden befreien kann; doch werden von den Kolonisten noch viele andere, vielleicht eben nicht dienliche Mittel gebraucht.

    Manche halten dafür, daß man dies Fieber nicht vertreiben soll. Bei Vielen arten diese Fieber in Wassersucht und andere tödtliche Krankheiten aus. Ali besuchte mich oft und kam auch mehrmals mit den Kindern zu mir. Seine Familie hatte sich nun noch mit einem Knaben vermehrt, dem der Name Nuftla gegeben wurde.

    Einen ungewöhnlich harten Winter, in welchem die Kälte oft auf 15  bis 20, eines Tages bis auf 26 Grad Reaumur stieg, brachte ich bei den Teutschen zu, unter denen ich so viele wahrhaft aufrichtige und treue Freunde gefunden. Den Namen eines Freundes, der mir unausgesetzt Beweise seiner aufrichtigen und gastfreundlichen Liebe gegeben hat, hier zu nennen, sei mir vergönnt. Es ist Johann Cornies, in der Kolonie Ohrlof an der Molotschna.

Chiromantie. Beschwörer.

    Wenn in christlichen und kultivirten Ländern noch da und dort mit Zauberformeln und Geisterbeschwörern die Menschen sich hintergehen und bethören lassen, so wird man sich nicht wundern, daß solche Dinge auch unter Muselmännern und Tataren angetroffen werden.

     Zigeunerinnen weissagen den Nogayen, besonders den Weibern, ihr künftiges unabänderliches Schicksal aus den Falten der Hände, finden guten Glauben und lassen sich dafür gut bezahlen. Amulete spielen unter den mancherlei Bannungsmitteln eine Hauptrolle und tragen den Mollah'S bedeutenden Gewinn ein.

    Auf einen Fetzen Papier schreibt der Priester Beschwörungsformeln oder arabische Gebete; diese Zettelchen werden bei gewissen Krankheiten in ein Becken mit Wasser gelegt und es wird zur Gesundheit von diesem Wasser getrunken; oder man legt solche Papierchen auch unter das Dach des Hauses, um den Teufel zu bannen, das Haus vor Feuerschaden, die Bewohner vor Krankheit und allem Unheil zu schützen.

    Fast jeder Nogaye trägt solche Zettelchen als Talismann, in Gestalt eines Dreiecks oder Vierecks in buntes Zeug eingenäht, angeheftet an seiner Mütze oder auf dem Rücken aussen am Kaptan oder an einer Schnur um den Hals gebunden. Auch dem Vieh werden solche angehängt, entweder an die Hörner oder an den Hals.

    In jedem Dorfe finden sich alte Männer und Weiber, welche mit der Kraft begabt sein sollen, Geister und Teufel zu bannen, oder die man mit letzterm vertraut oder gar von ihm besessen glaubt. Diese werden zu Kranken geholt, um allerlei mit diesen vorzunehmen, das durchaus helfen soll, es mag sein, was es will.

    Dazu gehört auch das Anspucken des Kranken unter gewissen Worten. Es werden auch Hennen geschlachtet, deren Blut von der Beschwörern: ausgesogen und dann im Hause herum ausgespuckt wird. Kleine Stücke Felle mit der Wolle oder den Haaren werden am Feuer gesengt und dann mit solchen verschiedene Theile des kranken Körpers berührt. Den Kindern wird von dem Opferblut an Stirne und Wangen geschmiert.

     Sehr oft speien Priester den Kindern geradezu in das Angesicht, welches von den Aeltern sehr gerne gesehen wird. Dies alles hält man als den Kindern Glück und Gesundheit bringend.

    Wird ein Priester zu einer Kranken gerufen, so setzt er sich neben sie und verrichtet ein Gebet, während dem er in abgemessenen Pausen mit der Hand leicht das Knie der Patientin berührt und jedesmal ein Gezisch oder Pfeifen, wie das eines Vogels, von sich giebt.

    Auch auf Träume hält der Nogaye sehr viel und man ist bemüht, solche sich zu deuten und deuten zu lassen. Der Zaubereien und Beschwörungsstücke sind überhaupt sehr viel bei diesem Volk und es mag nun sein was es will, Zufall oder Vertrauen auf die Sache, kurz, es hilft gewöhnlich oder man hält sich darauf für gesund.

    Was ihnen an ärztlicher Hülfe und an uns bekannten Mitteln zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit abgeht, das ersetzt bei ihnen die Stärke ihrer Natur, die Einfachheit ihrer Lebensweise und unstreitig, das Zutrauen, welches sie in die wenigen ihnen bekannten Mittel setzen.

Tod, Begräbniß, Trauer, Fest für Verstorbene.               

    Der Tod kommt dem Nogayen nicht sehr spät und ihm, nach eignem Urtheile, immer viel zu frühe, wiewohl er sich dieses nicht merken läßt, um sich ergeben in das Geschick zu zeigen.

    Es wird hier im Ganzen kein hohes Alter erreicht. Besonders sterben eine verhältnißmäßig sehr große Anzahl Kinder im ersten bis in's dritte Jahr. Die Bevölkerung wächst nicht oder doch nur unbedeutend. Man findet im Durchschnitt sehr wenige starke und zahlreiche Familien.

    Auffallend ist das Mißverhältniß zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht. Jenes ist weit zahlreicher, was man aber freilich nicht auf der Straße beurtheilen kann, da das weibliche Geschlecht mehr zu Hause gehalten wird und weniger öffentlich sich zeigt.

    Der Muselmann, der die Vorschriften des Korans erfüllt zu haben glaubt (worunter er jedoch nicht den moralischen Inhalt desselben, sondern nur die äussern ceremoniellen Gebräuche versteht), hofft sogleich nach dem Tode in's Paradies versetzt zu werden. Hat er sich Vorwürfe zu machen, so hofft er auf die Barmherzigkeit Gottes und einige gute Werke, die er geübt zu haben glaubt. Dem größten Theil genügt es, Muselmann gewesen zu sein oder geheißen zu haben, um in dieser Welt zu den Gläubigen und in jener zu den Seligen gezählt zu werden und das Paradies ererben zu können.

    Der Tatar als Muselmann stirbt gewöhnlich mit äusserlicher Ergebung. Er sieht den Tod als den letzten Akt der bestimmen Beschlüsse Gottes über den Menschen für diese Erde an. Doch wer will wissen, was in der Todesstunde im Menschen vorgeht!? Genug, Gott ist nicht ein harter Mann, der ärnten will, wo nicht gesäet worden ist oder viel fordert von dem, der wenig hat.

    Die Weiber haben ebenfalls die Hoffnung auf's Paradies, um dort in den schönen Gärten den Genuß der Männer zu erhöhen. Die alten Weiber wissen, daß ihnen dort Verjüngung, ewige Jugend und Jungfrauschaft bei den Männern wartet, die sich ihrer bedienen mögen.

    Kranke Tataren beschäftigen sich aber, wie dies auch bei uns der gewöhnlichere Fall ist, lieber mit dem Gedanken des Wiederaufkommens als des Todes und dieser muß ihnen noch um so unerwarteter als uns kommen, weil sie die Gefahr der Krankheit weniger kennen, sich nicht so bald krank glauben und nicht durch so vielerlei Umstände an den Tod erinnert werden.

    Liegt der Nogaye krank darnieder, so wird doch wenig von der Krankheit gesprochen; er sieht nicht so bald Verwandte und Freunde um sich herumziehen. Man macht überhaupt wenig Umstände; viele Kranke, die bei uns gewiß zu Bette lägen und von denen man schon das Testament haben möchte, arbeiten noch oder sitzen ruhig am Feuer, bis ihre letzte Stunde kommt.

    Ist der Tatar gestorben, so wird er gewaschen, in ein Hemd oder in Leintücher gewickelt und nach Vorschrift des Korans sehr eilig, gewöhnlich in Zeit von acht, spätestens zwölf Stunden beerdigt. Der Leichnam wird ohne Sarg auf der Bahre getragen und von Verwandten, Freunden und dem Priester begleitet.

    An der Medsched wird angehalten, ein Gebet verrichtet, dann weiter gezogen. Der Todte wird aufrecht sitzend in's Grab gelegt, das Angesicht nach Mekka gerichtet. Der Priester thut ein lautes Gebet, ruft den Namen des Verstorbenen und spricht: "Unser Herr ist Allah, unsere Religion der Islam, unser Buch der Koran, unser Prophet Muhammed, der Auserwählte!"

    Das Grab wird zugedeckt und die Stelle durch aufgeworfene Erde oder, wenn es zu haben ist, durch einen Steinhaufen bezeichnet. Der Begräbnißplatz ist nahe am Dorfe auf der Steppe und wird besucht, um auf den Gräbern zu beten.

    In dem Hause des Verstorbenen versammeln sich am Begräbnißtage sehr viele Weiber, die den Todten oder ihren Verlust beweinen. Eine Frau, die ihren Mann verloren hat, muß diesen mehrere Monate hindurch jeden Tag Abends bei Sonnenuntergang mit ihren Gespielen und Verwandtinnen vor dem Hause beklagen und betrauern.

    Das Geheul und Wehklagen dieser Weiber ist nicht zu beschreiben; hört man es zum erstenmal, ohne die Sitte zu kennen, so wähnt man, es sei das Schrecklichste begegnet. Auch wenn die Weiber sich über den Tod eines Mannes freuen, so wissen sie die Tragödie doch so gut zu spielen, daß man sich wundern muß. Thränen fliessen die Menge; der Schmerz wird auf mancherlei Art mimisch ausgedrückt und die Hände unter beständigem Rufe: „Kai! Kai!! o weh! o weh!" gen Himmel gehoben.

    Dieses Geheul dauert jeden Abend etwa eine halbe Stunde lang und war und ist zum Theil noch jetzt auch bei den Juden gebräuchlich. Zum Andenken an Verstorbene wird jährlich ein Fest gefeiert und ein Opfer gebracht, zu welchem die Dorfbewohner eingeladen werden.

Verschiedene Gebräuche.

Das Alter.

    Das Alter wird geehrt und selbst dem sonst weniger geachteten weiblichen Geschlecht wird im Alter von Männern Achtung bewiesen. Eine alte Matrone darf sich schon mehr Freiheit herausnehmen und kommt sie wo zu Gaste, so wird ihr im innern Zimmer von dem Hauswirth auch wohl oft der oberste und beste Platz angewiesen.

    Bei allen Gelegenheiten wird zwischen den jungen Männern und den alten ein wesentlicher Unterschied gemacht. Diese haben in allem den Vorrang und Vorzug. Die Alten sitzen oben an, die Jungen weichen, und treten ihnen den besten Platz ab. Bei'm Reiten wird der Aelteste in die Mitte genommen. Bei Gesprächen redet der Alte zuerst; die Jüngern horchen mit Achtung und unterbrechen ihn nicht in der Rede.

   Der Alte wird auch bei dem heftigsten Streite nicht von dem Jüngern geschlagen, höchstens beschimpft. Man hält es für eine Ehre, den Alten zu bedienen, dessen Pfeife anzuzünden und wenn er sich waschen will, Wasser auf seine Hände zu gießen; das Pferd beim Aufsitzen desselben am Zaum zu halten u. s. w.

    Die Aeltesten des Dorfes geniessen vielen Vorzug. Sie werden von dem Dorfschulzen und von vielen Dorfbewohnern in mancherlei Vorfallenheiten zu Rathe gezogen und ihr Ausspruch gilt viel, gilt manchmal fast als Richterspruch. Die meisten Händel werden durch sie geschlichtet und kommen nicht vor öffentliche Richter und Vorgesetzte.

    Die Alten, welche den Bart haben wachsen lassen, tragen, wenn sie zu Fuße gehen, einen Stock; der jüngere Mann in der Regel nicht; nur etwa im Dorfe, der Hunde wegen. So findet man auch im Ganzen noch Achtung der Kinder gegen den Vater. So lange dieser lebt, haben sie zu gehorchen und handeln selbst erwachsen nach dem Willen desselben. Der erstgeborne Sohn ist und bleibt das Haupt seiner Brüder und hat auch den größten Antheil am Erbgut der Aeltern.

Gastfreundschaft.

    Wenn von großer Gastfreundschaft der Nogayen von Reisenden erzählt wird, so gehört dieses, so viel mir bekannt ist, noch in die Zeit ihres Nomadenlebens, oder es waren Reisende, welche das Gebiet der angesiedelten Nogayen nur schnell durchzogen und ihre Bedürfnisse gut bezahlten, oder durch ihre Art zu reisen und durch ihr Aeusseres dem Nogayen Hoffnung gaben bezahlt zu werden und wenn sie nicht bezahlt hatten, auch nicht mehr wieder kamen und nicht wissen können, wie sie ein zweitesmal würden aufgenommen worden sein.

    Ein Reisender oder Fremder, der keine Aussicht zu irgend einem Erwerb oder zu Bezahlung giebt, wird, wenn er auch Muselmann ist, in den wenigsten Häusern der Nogayen eigentlich gastfreundlich aufgenommen. Kann der Tatar aber auf ein Geschenk hoffen, hat der Reisende ein gutes Aussehen, so wird er fast überall sehr gut aufgenommen, wer er auch sei; ebenso auch ein Tatar selbst oder jemand anders, mit dem man in näherer oder in Geschäftsverbindung ist.

   Der Nogaye vergißt nicht, was er gethan hat und weiß es zu seiner Zeit wieder einzuziehen. Es wird aber auch viel Mißbrauch von der Gastfreundschaft gemacht.

   Freilich darf man Hiebei nicht an Engländer oder andere Ausländer denken — diese werden aus vorgenannten Gründen gewöhnlich gut aufgenommen und sind den Nogayen leider nur zu seltene Gäste — sondern an russische Beamte, Kaufleute, herumreisende Armenier und an Tataren selbst.

    Die Gastfreundschaft wird oft zu sehr in Anspruch genommen und der Geduldigste, Freigebigste und Gastlichste wird oft ermüdet und sucht sein Herz wie sein Haus zu verschließen.

   In dem Hause, wo noch Freigebigkeit herrscht, finden sich aus dem Dorfe selbst, besonders wenn eben ein Stück Vieh geschlachtet worden, zur Essenszeit Tataren sehr häufig ein, so daß der Familie, die doch beim Kochen wirklich schon auf einen oder zwei Gäste gerechnet hat, sehr wenig für sich zu essen übrig bleibt.

    Dieses zu verhüten, wird oft, wenn man Gäste auf das Haus zukommen hört, eine Portion der Speise bei Seite geschafft; der Wirth ißt dann mit den Gästen und wenn diese fort sind, holt man das Zurückbehaltene hervor und die Familie ißt sich noch satt.

   Tataren bedienen sich auch der Lüge, um Gäste los zu werden, indem im Vorzimmer durch die Frau die Abwesenheit des Mannes vorgeschützt wird, während dieser doch im innern Zimmer sitzt. Die Sitte will, daß kein Fremder bei einer Strohwittwe übernachten oder förmlich Abendbrot essen darf, und man entschuldigt sich also damit.

    Da in den Tatarendörfern keine eigentlichen Wirthshäuser sind, so ist der Fremde oft in Verlegenheit. Viele ziehen vor, auf der Steppe, vom Dorfe entfernt, ihr Nachtlager zu nehmen, da sie hier nur Gott zu danken haben und nicht abgewiesen werden. Man bleibt besonders auch deßwegen gerne auf der Steppe, damit die Pferde im Grase weiden können, indem der Nogaye im Dorfe noch oft lieber Speise und Nachtlager dem Menschen als Futter für die Pferde hergiebt, da er dessen für sein Vieh selten genug hat.

   Auch läuft der Reisende Gefahr, daß die Pferde in der Nähe des Dorfes (an den Füßen gespannt) weidend oder vor einem Hause angebunden, ihm gestohlen werden und ist im Ganzen sicherer auf der freien Steppe.

    Wer an einem Tatarenhaus um Nachtlager oder Speise anfrägt, der darf nie nach einem Preis fragen oder Geld zum voraus anbieten, es sey denn, daß man damit die Bereitwilligkeit zu bezahlen andeuten will. Ein Preis würde nie zum voraus bestimmt und Geld vor der Hand nicht angenommen werden, so gerne dies auch nachher geschieht.

    Man will alte Sitte der Gastfreundschaft beobachten, aber doch bezahlt sein. Es ist nicht selten, daß der Nogaye von dem Fremden, der keine Miene macht, bezahlen zu wollen, vor seiner Abreise noch unverschämt große Forderungen macht, wiewohl er gegen den Fremden sehr zuvorkommend war und sich stellte, als wolle er durchaus nichts annehmen.

    Die Meisten jedoch lassen den Fremden auch ohne Bezahlung weiter ziehen und fordern, wenn auch unzufrieden, nichts von ihm. Wer bezahlen will, der giebt gewöhnlich, nach Sitte, nicht dem Hauswirthe Geld als Bezahlung, sondern der Hausfrau oder den Kindern etwas als Geschenk. Wenn der Wirth auch etwas mit eigener Hand annimmt, so übergiebt er das Empfangene vor den Augen des Fremden seiner Frau oder den Kindern, scheinbar zum Beweise, daß er nichts haben wolle.

   Der Nogaye ist geldgierig. Viele erwarten für Bemühung und etwas Speise bedeutende Geschenke, da sie den Reisenden, besonders den Ausländer, für reich halten, weil er reisen könne und weil er einige Sachen mit sich führt, die bei'm Nogayen Aufsehen machen: eine Taschenuhr, Spiegel, schöne Messer und Gabeln u. dgl.

    Ein gewiß noch immer beträchtlicher Theil der Nogayen rechnet es sich jedoch zur Ehre an, einen Fremden zu beherbergen, und es wird oft alles aufgeboten, ihn gut zu bewirthen. Es giebt solche, die einen Fremden nöthigen, einzukehren, wie Abraham, der ihr Vorbild ist.

    Wo man einmal aufgenommen ist, da wohnt man sehr gut und man darf seine Effekten mit Ruhe dem Hauswirth überlassen, der über alles wacht. Von den Hausleuten wird der Fremde gewiß nicht bestohlen; eher etwa von fremden Tataren, die bald nach der Ankunft eines Reisenden das Haus anfüllen. Der Gast wird selbst gegen Feinde geschützt und Niemand darf ihm etwas zu Leide thun.

    Gewöhnlich wird dem Fremden das innere Zimmer eingeräumt und Frau und Kinder schlafen dann im Vorhause. Es wird ihm warmes Wasser zum Waschen gegeben. Einem lieben und vornehmen Gaste wird sogleich ein Schaaf geschlachtet, um ihm nicht nur übrig gebliebene Stücke Fleisch aufwarten zu müssen. Der Gast setzt sich ohne Umstände an den obersten Platz und spielt gewissermaßen den Herrn im Hause, der Wirth den Untergeordneten.

    Der Fremde sagt gewöhnlich, was er essen wolle, und wenn aufgetragen ist, so ladet er den Hauswirth ein, mit ihm an der Mahlzeit Theil zu nehmen; auch andern Anwesenden und Kindern theilt er von der Speise aus. Es werden keine Komplimente gemacht und nur wenn der Gast abreist, dankt er für Alles.

    Der Nogaye liebt sehr, mit einem Fremden sich zu unterhalten und will dabei auch seine Kenntnisse von Ländern und Völkern an den Tag legen, was auf eine Art geschieht, die den Reisenden staunen und lachen macht. So gern auch einige Tataren Gastfreundschaft üben, so ziehen doch viele Reisende, wegen des vielen Ungeziefers in den Häusern, vor, in ihren Reisewagen vor dem Hause zu schlafen und wegen der Unreinlichkeit der Nogayen, seinen eignen mit sich genommenen Proviant zu verzehren.

Die Rache.

   Nach alttestamentlichem Brauch hat auch Muhammed die Rache erlaubt, die Barmherzigkeit jedoch anempfohlen, weswegen der Nogaye denn auch ein verdienstlich Werk gethan zu haben glaubt, wenn er am Feinde keine Rache übt. Zahn um Zahn wird noch recht oft vergolten; das „Aug um Aug" hingegen oder Todtschlag selbst mit Blut zu rächen, sehen sie sich jetzt gehindert, müssen Strafen und Richten den russischen Vorgesetzten an gehörigem Ort überlassen.

    Haben Nogayen unter sich Streit, hat man sich durchgeprügelt, so wird für löblich und gut geachtet, daß sich die Gegner noch vor Sonnenuntergang mit einander aussöhnen und sich vergebend die Hände bieten. An einem Gaste, wenn er als Feind erkannt wird, übt der Hauswirth keine Rache.

Das Fest der Erstlingsfrucht.

    Ist die Frucht auf dem Felde reif, so reitet der Nogaye auf dasselbe hinaus oder fährt mit seinen Kindern und schneidet sich eine Garbe, welche bei Hause sogleich ausgedroschen wird. Man röstet hierauf die Hirse, stößt die Hülsen ab und kocht sie. Der Waizen wird hingegen auf der Handmühle gemahlen und es werden Kuchen gebacken. Dies alles ist in kurzer Zeit geschehen; man ißt und freut sich und feiert das Fest der Aernte oder des Segens. Ein Theil der frisch gebackenen Kuchen wird in die Nachbarshäuser vertheilt, aus welchen man hingegen andere zurück erhält. Jedem, der in's Haus kommt, wird von dieser neuen Speise vorgelegt.

Rein und unrein.

Das Waschen.

    Unrein ist dem Muselmann und Nogayen jeder Unbeschnittene, hauptsächlich aber der, welcher Schweinefleisch ißt. Dieses ist ihm wie dem Juden ein Gräuel. Ferner sind dem Nogayen auch Hunde, Wölfe, Füchse, Adler, Mäuse und alle Thiere, welche Mist oder Aas fressen, unrein Katzen, Pferde, Kameele und, wie es scheint, auch Läuse sind ihm reine Thiere.

   Das Waschen ist eine Vorschrift des Islam und soll vor und nach dem Essen, vor dem Gebet u. s. w. verrichtet werden; aber auch der Nogaye bestätigt den Erfahrungssatz, daß die Völker, bei denen das öftere Waschen Religionsgesetz ist, gerade die unreinlichern sind.

    Es geschieht nämlich dieses so nothwendige Geschäft, selbst wo es nur Befolgung der Vorschrift, nur Ceremonie ist, sehr oberflächlich und ungenau. Mit ungewaschenen Händen essen gilt hier, wie bei dem Juden, als ein Vergehen und doch wird das Waschen meist nur dann beobachtet, wenn Speisen vorkommen, die mit der Hand berührt und nicht mit Löffeln gegessen werden. Junge Leute haben das Waschen weniger zu beobachten.

    Alte Männer und Weiber sieht man, ehe sie das Gebet verrichten, im Hause Hände und Gesicht waschen, dann mit der Kumgan hinter das Haus gehen, um sich die Schamtheile zu waschen. Dieses geschieht auch von den meisten, wenn ein Bedürfniß befriedigt worden ist.

   Die Weiber waschen sehr oft, aber der herrschenden Unordnung wegen mit wenig Nutzen, die Kleider, selbst auch Wollkleider und Teppiche. Das Gewaschene wird zum Trocknen auf die Mistmauern oder auf den bloßen Erdboden ausgebreitet. Es wird zum Waschen des Sommers Regenwasser, im Winter, wenn möglich, Schnee genommen. Vor den großen Feiertagen werden alle Kleider gewaschen, um ganz gereinigt zu erscheinen.

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