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Teil 4
Wir lesen heute Mitteilungen und Briefe, die an die Zeitschrift “Der Bote” geschrieben wurden, die uns die Lage der Mennoniten in Moskau schildern und die Bemühungen der Mennoniten in Kanada, um das Kommen von tausenden Mennoniten aus Russland zu ermöglichen.
In der Ausgabe vom 13.11. lesen wir:
Über Auswanderung
“In Moskau sollen schon über 300 Familien liegen und täglich kommen immer neue Scharen an aus allen Himmelsgegenden. Im Orenburgischen finden täglich Ausrufe statt. Man hat daselbst schon 18 Mann arretiert nur deshalb, dass man liquidiert und nach Amerika will. Aber das spornt die Leute nur immer mehr an, und man lässt Häuser stehen und geht davon.
Auch auf unserer Ansiedlung fängt's damit an. J. N.-D. hat kürzlich außer der Wirtschaft alles verkauft und ist nach Moskau gegangen. Zwei Männer aus Krassikow wollen ebenfalls liquidieren und nach Moskau gehen, und viele, viele sprechen davon, wenn es sein muss, lassen sie alles stehen und liegen und gehen davon.
Wahrscheinlich wird sich dann auch hier die G.P.U. einmischen. Wir fürchten diese Einmischung nicht, vielleicht wird dadurch die Aufmerksamkeit der Regierung auf uns gelenkt. Wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse sich hier nun einmal anders gestalten sollten, so würde die Emigration ins Stocken geraten.
Kann es eine Änderung geben?! Sie werden wahrscheinlich gelesen haben, dass in den höchsten Parteikreisen Spaltungen entstanden sind, denn Bucharin ist auf Holzwege geraten, man beschuldigt ihn, dass er den Kulaken mehr Freiheit geben will, — also auf Trotzkys Wege geraten ist. In den Schulen soll jetzt Antireligion getrieben werden, und sind etliche Schulbücher so verfasst, dass das ganze Buch davon spricht, und das Kind immer wieder davon lesen muss. Ein Orenburger Lehrer hatte 3 Blätter aus einem Buche, welche so sehr Antireligiöses enthalten hatte, rausgeschnitten, — und hat man ihn seines Amtes als Lehrer enthoben und eingesteckt.
Alles dieses treibt den Menschen von der heimatlichen Scholle.
T. B.
Bericht von Ohrloff, Molotschna.
(Auszug aus einem Privatbriefe vom 18. November 1929.)
Ihr werdet gewiss schon von dem Fieber, welches die Kolonien erfasst hatte, gehört haben. Viele haben ihr Hab und Gut für ein Butterbrot ausgestoßen, die Wirtschaften stehen gelassen und sind losgefahren. Aber von der Regierung wurden immer mehr Hindernisse in den Weg gelegt. Die Männer wurden arretiert, der Verkauf des Inventars verboten, und in letzter Zeit sind sogar Männer auf der Reise vom Zuge genommen und zurückgeschickt worden.
In den Dörfern werden Versammlungen abgehalten, auf welchen von Regierungsbeamten die Menschen überredet werden, sich zu beruhigen und bis zum Frühling ruhig sitzen zu bleiben. Im Frühling(ab März 1930), denke ich, wird es aber wieder umso ärger losgehen, schafft dort nur sehr, dass wir alle aus diesem Lande des Elends hinauskommen, denn es wird auf die Länge unerträglich. Der sogenannte Fünf-Jahres-Plan enthält viel Schauerliches. — Die Zuchthäuser sind überfüllt, und es werden noch immer mehr hineingeschleppt.
Das Wintergetreide haben wir sehr spät gesät, aber da solange gute Witterung herrscht, geht es ja alles auf. Heute soll das Wintergetreide auf 100% kontrahiert werden, das ist so viel — wir müssen es nächsten Herbst alles an die Regierung abgeben und können dann wieder auf dem Daumen saugen. Es wird Unmögliches ausgeübt, darum helft, helft!
Der Bote", Mittwoch, den 1.Januar 1930
Im folgenden will der Briefschreiber eine Bitte an die Gläubigen im Ausland richten. Darum versucht er einleitend ihnen die schaurige Lage der Christen in Russland zu veranschaulichen:
„Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche", das war einst die Parole des jüdischen Volkes mit seinen Führern. Der böse Wille aber, der diesem Gedanken zugrunde liegt, fand seinen krassesten Ausdruck in der Kreuzigung Jesu auf Golgatha. Und immer wieder in der Geschichte der christlichen Kirche, in den tausend Verfolgungen, in den Hinrichtungen und Scheiterhaufen tritt uns dieser böse Wille entgegen: „Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche!"
In Russland ist es heute der Atheistenverband, der diesen bösen Willen zum Ausdruck bringt. Wer weiß die Zahl derer, die heute in Gefängnissen um ihres Glaubens willen verschmachten? Drei russische Brüder am Wort wurden vor drei Monaten arretiert, und seitdem ist keine Spur von ihnen. Wir mutmaßen, sie sind zu Tode gequält. In Moskau ist der Führer der evangelischen Christen jetzt arretiert. Zwei Brüder wurden auf etliche Stunden zum Verhör genommen, und als sie herauskamen, waren ihre Sinne verwirrt. Wie das zugehen mag, fragt ihr? Nun denkt euch: Man wird auf eine Nacht oder mehr mit einem tobsüchtigen Wahnsinnigen eingesperrt, oder in einer Zelle mit 8—10 Verbrechern, die wohl auch vorher Instruktionen bekommen haben, und da gibt’s: Papierfetzen werden zwischen die Zehen gesteckt und angezündet, oder brennende Zigaretten werden an den bloßen Leib gehalten. Wie viele Kirchen und Bethäuser werden ohne Grund geschlossen, und die Leiter werden nach Sibirien verschickt. Mit solchem müssen wir allezeit rechnen. — Eine förmliche, teuflische Christenverfolgung im 20. Jahrhundert in dem „freien sozialistischen Russland."
Nun kommt der Schreiber auf das Eigentliche:
— Aber das ist ja nicht das Schlimmste, sondern das, dass ein sich christlich nennendes Europa und Amerika dem allem kalt gegenübersteht. Noch mehr, dass christliche Kongresse und Weltkonferenzen abgehalten werden und sie nicht Wege finden, diesem Christenhass und dieser Christenverfolgung entgegenzutreten. Oder noch mehr: Dass eine europäische Diplomatie, die doch noch nicht Mitglied einer Atheistenzelle ist, mit Russland über Weizen, Leder usw. verhandeln kann, während sie weiß, dass der russische Bauer das alles behungern muss.
Wie viele Schmeichelworte hat Deutschland nicht schon dem Deutschtum im Auslande gesagt, wie um die Auslanddeutschen geworben und ist scheinbar um ihr Schicksal besorgt gewesen! Und heute? Keiner rührt den Finger in Deutschland, um die Tausende Deutschen aus diesem Hexenkessel herauszuhelfen. Hinaus aber möchten doch alle. Ja — „alles stehen und liegen lassen und hinaus, und wenn auch auf den Mond", sagen heut viele.
Aber es muss vielleicht so kommen, und die Gläubigen sollen ja auch so gesichtet und geläutert werden. Wir wollen auch, ja wollen ernstlich uns an den Glauben halten: „Herr Gott, du bist unsere Zuversicht für und für." Ganz auf den Glauben gestellt, erfahren wir auch immer wieder seine wunderbare Hilfe und sein Nahesein. „Durch Stillesein und Hoffen werdet ihr stark sein," das soll uns Trost und Hilfe sein in allen schweren Stunden. — Ihr aber, liebe Brüder, vergesst nicht, betende Arme gen Himmel zu heben und unser fürbittend zu gedenken!
(Eingesandt ohne Unterschrift.)
„Der Bote", Mittwoch, den 23. Oktober 1929
Verzweifelnde Anklage gegen das Ausland, dass es nichts tut. Dem ist nicht so. Aber der Briefschreiber sieht seine immense Not, er sieht keine Hilfe kommen.
In Kanada tun die Mennoniten ihr Bestes um Möglichkeiten für die Einreise zu erreichen. B.H.Unruh kämpft in Berlin, indem er sich in Verbindung gesetzt hat mit den verschiedensten Politiker und in einem Monat wird der Bundestag eine unglaublich hohe Summe Geld dafür zur Verfügung stellen, obwohl Deutschland selbst am Rande des Bankrotts steht.
Das alles aber weiß der Schreiber nicht. Er sieht eben nur das unendliche Leid.
Im Folgenden meldet sich David Töws, einer der größten Gestalten unter den in Kanada eingewanderten Mennoniten. Er versucht hiermit die kanadischen Mennoniten aufzurütteln und bereit zu stellen, viele Tausend russische Mennoniten in nächster Zeit aufzunehmen:
Dringender Aufruf u. Bitte.
Wir haben zuverlässige Nachricht, dass in Moskau etwa 5000 mennonitische Flüchtlinge, meistens aus Sibirien, dann aber auch aus der Krim, vom Kuban, Orenburg und anderen Teilen Russlands, weilen. Nur die reinste Verzweiflung kann sie zu diesem Schritt bewogen haben. Die Nachrichten über die Behandlung in den Kolonien sind erschütternd. Wir können auf die Einzelheiten hier nicht eingehen, vielleicht geht das später einmal.
Durch Vermittlung der Deutschen Regierung und wohl der Not gehorchend, gestattet die Russische Regierung die Ausreise dieser Leute. Ob sie in Canada einreisen können, ist bis jetzt noch nicht ganz sicher, da die Canadier Immigrationsbehörde vor kurzem neue Bestimmungen getroffen hat, welche die Einwanderung mittelloser Leute bedeutend erschweren, doch hoffen wir die Erlaubnis zu erlangen. 400 Personen sollen schon auf dem Wege nach Canada sein, trotzdem die Einreiseerlaubnis hier noch nicht geregelt ist. Wir werden natürlich alles irgend Mögliche tun, um diesen Leuten zu helfen, doch wissen wir, dass die Sache nur unter dem Beistand Gottes gelingen kann.
1. November 1929. David Töws.
„Der Bote", Mittwoch, den 6. November 1929
Premier Anderson, Bundesland Saskatchevan,
spricht über die projektierte Einführung von Mennoniten (“Star” 6.11).
“Um zu verhüten, dass mehr solche nicht wünschenswerte Verhältnisse sich wiederholen könnten, wie sie in Verbindung mit den mennonitischen Ansiedlungen in der Provinz unlängst geschehen sind, hat Premier J. T. M. Anderson die Meinung ausgesprochen, dass man mit der Regierung von Saskatchewan erst beraten solle, ehe man die 5000 mennonitische Flüchtlinge, die gegenwärtig aus Moskau ausgewiesen werden, herüberbringt. In einem Interview am Dienstag sagte er:
„Bezugnehmend auf die vorgenommene Herüberbringung von 5000 Mennoniten nach dem westlichen Canada stellt die Regierung von Saskatchewan sich auf den Standpunkt, dass man sich mit ihr beraten solle, ehe man all diese, oder einen Teil der Flüchtlinge in der Provinz von Saskatchewan ansiedelt oder sie zeitweise unterbringt.
Wir haben viele sehr gute Bürger, die zu verschiedenen Abzweigungen der Mennoniten-Kirche gehören, jedoch haben wir eine bestimmte Klasse in der Provinz, die unser Volksschulsystem nicht anerkennen und die dagegen sind, dass ihre Kinder die englische Sprache gebrauchen.
Unlängst wurde mir gemeldet, dass in einem mennonitischen Distrikt 60 Kinder herumlaufen, die absolut keine Schulbildung erhalten. Wenn sich solche Verhältnisse vermehren sollen, so bin ich vollständig dagegen.
Die Arbeitslosigkeit im westlichen Canada, einschließlich Saskatchewan, wird während der Wintermonate ziemlich stark sein. Wir sind sogar mit einer gewissen Situation diesbezüglich belastet, und irgendein Versuch, dieselbe zu steigern, wird einen starken Widerstand von der Regierung von Saskatchewan erhalten."
Der Premierminister erinnert alle daran, dass manche Mennoniten widerspentisch sind und sich schwer integrieren lassen, es nicht erlauben, dass ihre Kinder die Schulen des Landes besuchen. Manche sind sogar deswegen nach Mexiko und nach Paraguay ausgewandert.
Das Zeugnis, das diese Mennoniten hinterlassen haben, führt nun dazu, dass die Autoritäten vorsichtig damit sind, weitere Mennoniten nach Kanada einwandern zu lassen.
Die Einwanderung der Mennoniten.
„Star" vom 7. Nov.
“Die kanadische Regierung ist um die Einlassgenehmigung für 1000 mennonitische Familien (5000 Seelen) ersucht worden, denen in Sibirien die Wirtschaften von der Regierung enteignet wurden und die Kanada als ihren Zufluchtsort erwählt haben. Es ist anzunehmen, dass die Einwanderer bei mennonitischen Familien hierzulande Aufnahme und Arbeit finden würden. Wahrscheinlich würden wenigstens 2000 Personen nach Saskatchewan kommen, weil 40 % aller Mennoniten Kanadas in dieser Provinz leben.
Im Westen ist gegenwärtig eine gewisse Feindseligkeit einer Masseneinwanderung gegenüber zu merken, besonders stark ist sie gegen solche aus Osteuropa. Es ist klar, dass ein Teil der Bevölkerung es für selbstverständlich finden würde, wenn die Regierung das Bittgesuch um Einlass abschlägig beantworten sollte, um den Einfluss solcher Einwanderer auszuschalten, welche sich weigern, die Landessprache und die Sitten des Landes zu lernen, und die Städte nach „Jobs" absuchen.
Oben angeführte Befürchtungen treffen aber in diesem Falle nicht zu. Es ist von großem Wert, dass die genannten 5000 nicht einzelstehende Personen, sondern Familien präsentieren. Ein anderer sehr wertvoller Punkt ist, dass sie ihrem Wesen nach Landwirte sind, die mit gutem Erfolg in Russland Landwirtschaft getrieben haben, bis ihnen die Wirtschaften enteignet wurden. Sie gehören auch nicht zu den „Altkoloniern", die im vorigen Jahrhundert nach Kanada kamen und denen es aber misslang, sich dem kanadischen Gesetz und den Sitten des Landes anzupassen, und die vor einigen Jahren nach Mexiko auswanderten. Die um Einlass Bittenden sind nicht nur fleißig, sondern auch anpassungsfähig. In den letzten fünf Jahren sind recht viele Mennoniten in Kanada eingewandert. Sie haben Arbeit gefunden und sind nun zum größten Teil auf erworbenen Farmen tätig, ohne irgendwelche Störung hervorzurufen. Die Mennoniten sind holländischer und deutscher Abstammung und sind nicht mit der sonderbaren russischen Sekte der Duchoborzen zu verwechseln.
Auf Grund angeführter Fakte erscheint es recht und billig, dass den Mennoniten der Einlass gewährt wird. Und dieses nicht nur aus humanitären Gründen einem unterdrückten Volke gegenüber, sondern aus Eigennutz. Fünftausend ist eine große Zahl, und es ist fast unmöglich alle in einer Zeit aufzunehmen, aber das Problem ist es wert, mit großer Sorgfalt studiert zu werden. Die Regierung kann sicher sein, dass die Neuankömmlinge bei ihren Landsleuten Unterkunft und Arbeit finden werden.
„Der Bote", Mittwoch, den 13. November 1929
Es müssten also solche ausgeschlossen werden, die sich weigern “die Landessprache und die Sitten des Landes” zu erlernen. Man will keine Leute, die sich als Fremdkörper verhalten werden. Ich kann das heute verstehen, glaube aber kaum, dass mein Großvater zu diesem Versprechen fähig gewesen wäre.
In Brasilien haben die Mennoniten wenigstens 30 Jahre gebraucht, um erste Schritte der Integration zu tun. Als ganz integriert kann man uns erst nach 50 Jahren betrachten, als wir anfingen, in unseren Gemeinden Gottesdienste auf Portugiesisch zu gestalten und Mischehen akzeptabel wurden. Das mag aber bei einigen Gruppen in Brasilien länger gedauert haben. Ich glaube, Stadtgemeinden gingen darin schneller voran als Landgemeinden.
Die kanadische Regierung und das mennonitische Problem.
Die „Free Press"-Winnipeg bringt unter dem 8. November folgende Meldung aus Ottawa:
6000 Mennoniten und 1000 Lutheraner aus den Steppen Russlands sind heute bei Moskau im Zentralen Russland gestrandet. Ihnen ist von der Sowjetregierung ein Ultimatum gestellt worden, entweder gleich das Land zu verlassen oder sie werden nach Sibirien deportiert, wo sie dem Hungertode preisgegeben sein würden. Die Geschichte dieser Mitleid erregenden Leute, die seinerzeit wohlhabende Farmer in Russland waren, wurde dem Immigrationsdepartement in Ottawa auf diplomatischem Wege zugesandt. Jede Einzelheit wird bekräftigt, und die Staatsmänner Europas sind gegenwärtig mit der Frage beschäftigt, wie diese 6000 Menschen gerettet werden können, und wie man ihnen die Möglichkeit geben kann, ein neues Leben in einem neuen Lande zu beginnen. Die Canadische Regierung ist gebeten worden, diesen Leuten die Einreiseerlaubnis in die Dominion zu geben. Zwischen den gestrandeten Leuten bei Moskau und den mennonitischen Gemeinden im westlichen Canada werden stetig Telegramme gewechselt.
„Das Immigrationsdepartment, das als Vertreter der Canadischen Regierung die Verhandlungen führt, hat noch keinen offiziellen Bericht in betreff dieser Angelegenheit veröffentlicht; man glaubt, dass die verschiedenen Schritte besprochen werden, die notwendig sind, um einen endgültigen Entschluss fassen zu können. Nächsten Dienstag soll Ält. David Töws nach Ottawa kommen, wo er mit einem hochrangigen Politiker, über diese Angelegenheit konferieren wird.
Sollten diese Mennoniten die Erlaubnis zur Einwanderung erhalten, so wird Premier Anderson über die Stellung der Provinz befragt werden, falls die Mennoniten dorthin gesandt werden sollten. Ebenso würde auch Premier Bracken für Manitoba befragt werden, und auch mit Alberta wird man so verfahren, falls man etliche Leute dorthin senden sollte.
Es wird also keine Entscheidung auf nationaler Ebene stattfinden. Jedes kanadische Bundesland wird darüber entscheiden, ob es bereit ist, Mennonitenflüchtlinge aufzunehmen.
Die Leute haben kein Geld und kein Vermögen, das sich in Geld umsetzen ließe. Sie besitzen nichts als die Kleider auf dem Leibe. Alles andere ist ihnen genommen worden. Man gibt ihnen keinen freien Transport zum Verlassen des Landes. Verschiedene Regierungen Europas nehmen Anteil an dem Unglück dieser Leute. Besonders interessiert sich Deutschland für die Lage dieser Unglücklichen. Man glaubt, dass die Deutsche Regierung der Canadischen den Vorschlag gemacht habe, dass sie bereit sei, den Leuten Obdach und Kleidung ohne jegliche Entschädigung zu geben, wenn die Canadische Regierung bereit sei, sie aufzunehmen, und wenn sich ein Weg anbahnen ließe, dass die Transportation aus Russland bewerkstelligt und die Leute bis Deutschland gebracht werden könnten. Deutschland sei weiter bereit, jedem der Leute einen Pass zu geben und zugleich die Verantwortung zu übernehmen, die eine Regierung ihren Bürgern gegenüber trägt. Sollten also diese Leute mit deutschen Pässen nach Canada kommen und sollten sich unter ihnen solche finden, die unerwünschte sind, so dürften diese nach Deutschland deportiert werden, und die deutsche Republik würde sie dann aufnehmen. Es ist dies wohl in der modernen Geschichte der erste Fall, dass eine Nation solch ein Anerbieten macht.
„Die Deutsche Regierung ist an diesen Leuten interessiert, weil sie deutscher Abstammung sind, obzwar sie schon seit geraumer Zeit in Russland weilen.
„Die Stellungnahme der Canadischen Regierung in dieser Angelegenheit ist durchaus nicht unfreundlich. Natürlich würde sie keinen Dollar ausgeben, um diese Leute von Moskau nach Deutschland zu transportieren. Sie würde auch keinen Dollar spenden, um die Leute zu unterstützen, wenn sie nach Canada kommen.
„Wenn aber die Mennoniten im westlichen Canada bereit sind, die notwendigen Gelder aufzubringen, um die Leute herüberzuholen und sie hier zu unterhalten, sie unterzubringen und ihnen behilflich zu sein, nachdem sie hier gelandet sind, dann würde die Canadische Regierung ihre Kooperation nicht versagen. Unter keinen Umständen aber würde diesen Leuten erlaubt werden, in eine Provinz zu kommen, wenn die betreffende Regierung ihre Erlaubnis dazu verweigert. Es würde auch nicht erlaubt werden, dass alle 6000 Leute auf einmal herüberkommen. Das beste, was Ottawa versprechen könnte, wäre, dass sie zu etlichen Hunderten auf einmal herüberkommen.
„Der Bote", Mittwoch, den 13. November 1929
Deutschland übernimmt die immense Kosten der Reise von Moskau nach Deutschland, die Kosten der Bewirtung der Flüchtlinge in Deutschland, ist sogar bereit, ihnen Pässe auszuhändigen, obwohl es keine gebürtigen Deutsche sind.
Die Regierung Kanadas möchte keinen Pfennig ausgeben. Die Flüchtlinge sind bitterarm und ihre kanadischen Glaubensbrüder - die meisten haben sich in ihrer kurzen Anwesenheit im Lande noch nicht finanziell stabilisieren können - müssten die Kosten der Aufnahme übernehmen.
Außerdem dürften nicht alle 6 Tausend auf einmal rüberkommen, sondern nur ein paar hunderte.
Ein Mennonit in Russland hat von der Weigerung Kanadas gehört und reagiert in einem Brief, der in der Ausgabe vom 12.03.1930 veröffentlicht wird. Er schreibt an einen Verwandten in Kanada folgendes:
“Am 3. Januar erhielten wir Deinen Brief. Ich danke bestens für Deinen Bericht über Sachen, die uns interessieren, die unser Gemüt beständig einnehmen. Sonderbar genug mutet es uns an, daß Canada, das schon ein jeder als seines betrachtet, nun die Einreise verweigern will. Jedoch hierüber lassen wir uns noch keine Traurigkeit merken; denn wir glauben fest, so es Gottes Wille ist und wir nur erst hinaus dürfen (dieses bekümmert uns vielmehr), so wird sich schon mit Hilfe der amerikanischen Brüder ein Ort finden lassen, wo wir, unser Volk, in Frieden unser täglich Brot genießen dürfen. Am liebsten möchten wir aber doch Bürger Canadas werden.
Du schreibst, das planlose Laufen der Masse nach Moskau hältst Du für verkehrt. Ich mußte unwillkürlich lächeln, denn Euch ist gut klug reden, die Ihr nicht in unserer Haut steckt. Ich glaube bestimmt sagen zu können, daß wenn zum Frühjahr die Paßfrage nicht geregelt ist, zum zweiten Mal Sturm gelaufen werden wird, aber womöglich noch "verkehrter", denn die im Herbst sitzen blieben, sagen sich, im Winter reisen wir nicht, aber im Frühling, dann kommen wir per Achse über die Grenze.
Hier wird es immer bunter. Die Kommunisten wollen mit ihrem sozialistischen Aufbau die Wand einrennen. Sie bauen fieberhaft, verwenden Milliarden Rubel, viel Schweiß und Blut und merken nicht, daß der Wohlstand des Volkes rapid zusammenschmilzt. Bald gibt es hier riesige Fabrikanlagen, doch keine Konsumenten für die produzierten Waren.
G. T.
Heute wissen wir, dass nach der Massenauswanderung Ende November, Anfang Dezember, kaum jemand noch aus Russland rausgekommen ist. In diesem Brief aber stellen wir fest, wie vorerst noch viele Mennoniten in Russland glaubten im Frühling 1930 nach Moskau stürmen zu können, um irgendwohin in die Welt zu siedeln, nur weg aus der Hölle Russlands.
Im folgenden Text werden in Kanada Zweifel über die Gründe der Flucht der Mennoniten Russlands zum Ausdruck gebracht:
Die Flucht der Mennoniten aus Russland und ihre Einwanderung in Kanada.
In den letzten Tagen ist das Augenmerk der Welt auf die Flucht der Mennoniten aus Russland gelenkt worden. Verschiedene Organisationen in Kanada glauben, berechtigt zu sein, an der Aufrichtigkeit der Gründe der Flucht zu zweifeln, wie z.B. die Farmer Vereinigung von Saskatchewan, die laut den Zeitungsnachrichten vom 10. November bezweifelt, dass irgendein Grund vorliege, dass Mennoniten aus Russland auswandern, da die russische Regierung ja eine ganze Anzahl von modernen Farmmaschinen aufgekauft hat, um 30 Millionen Acker Land bearbeiten zu können.
Die Herren dieser Vereinigung wissen scheinbar nicht, dass diese Maschinen den einzelnen Bauern in Russland nicht zur Nutznießung gegeben werden, da die Sowjetregierung bestrebt ist, größere Staatsfarmen zu organisieren, die genügend Getreide produzieren können, damit Russland in der Lage wäre, Getreide ins Ausland zu liefern. Man weiß scheinbar nicht, dass die Sowjetregierung größere Landkomplexe zu diesem Zwecke reserviert hat, z.B. 160.000 Desjatinen im Nordkaukasus.
Diese Staatswirtschaft nennt man Gigant, und sie haben scheinbar auch Erfolg mit derselben gehabt. Der einzelne Bauer aber hat keinen Nutzen daraus, denn das Ziel der Sowjetregierung ist, die Wirtschaft so viel wie möglich zu verstaatlichen, und es kommt ihr auf das Wohl und Wehe der einzelnen Bauern nicht an.
Ich habe Nachrichten aus einem Dorf in der Ukraine, in welchem 40 Landwirte waren, dass man 13 derselben vertrieben hat, weil sie der Sowjetregierung unpassend waren. Diese Wirte hatten vor der Revolution gute Wirtschaften, und war es der Energie der einzelnen Wirte zu verdanken, dass sie besser wirtschaften konnten, als die anderen. Dieses wird ihnen heute zur Last gelegt, und man hat ihnen alles Hab und Gut abgenommen und sie von ihrer Scholle vertrieben.
Wenn nun eine größere Anzahl Mennoniten und Leute anderer Konfessionen sich in Moskau zusammentun, um dort Auslandspässe zu erhalten, so geschieht dieses nicht deshalb, weil man die Gesetze der Regierung nicht respektiert, sondern weil es unmöglich ist, sie anzunehmen, und es ist eine Ehre für den deutschen Bauern, wenn er die Sklavenpolitik der Sowjetregierung nicht anerkennt.
Ich lasse hier einige Zeitungsnachrichten aus Saskatchewan folgen, welche die Stellung der Regierung und die Stimmung eines Teiles der Bevölkerung kennzeichnen.
G. Sawatzky.
„Der Bote", Mittwoch, den 20. November 1929
Das Ausland hat noch nicht begriffen, wie die Sowjets eigentlich vorgehen. Man schenkt den Berichten der sowjetischen Zeitungen Glauben und kann es nicht verstehen, warum die Mennoniten solch ein herrliches Land mit einer so wunderbaren Regierung verlassen will!
Premier Andersons, 10. November:
Betrifft die vorgeschlagene Mennoniten-Immigration.
Ich erkenne an, dass in dieser Provinz unter den Mennoniten viele gute Bürger sind. Ich glaube aber, dass die Zeit sehr unpassend ist, entblößte Immigranten hereinzulassen. Saskatchewan glaubt, in Anbetracht der Hilfeleistung, die gegenwärtig an Bürgern schon getan werden muss, genügend Sicherstellungen haben zu müssen.
Ist die Föderale Regierung bereit, in Hilfsmaßnahmen, die gegenwärtig ausgeführt werden unter Neuankömmlingen, einschließlich Mennoniten, mitzuhelfen? Die Saskatchewaner Regierung besteht darauf, dass eine Delegation von Vertretern der canadischen Mennoniten sich mit uns bespricht und Garantien gibt, für die Zugelassenen zu sorgen, wenn die Erlaubnis dazu gegeben wird.
Die Regierung ist bereit, die Zulassung von Verwandten von Mennoniten, die gegenwärtig schon in Saskatchewan wohnen, in Betracht zu ziehen, wenn die Verwandten eine schriftliche Versicherung geben, für die Neuangekommenen, dass diese der Provinz oder den Munizipalitäten für zwei Jahre nicht zur Last fallen werden."
„Der Bote", Mittwoch, den 20. November 1929
Also, von höchster Stelle steht fest: Nur Verwandte, mit der Bedingung, dass die Verwandten in Kanada für die Unkosten aufkommen.
Ein hoher Beamter Kanadas stellt fest:
„Die Sowjetregierung hat längst eine Bestellung von modernen Farmmaschinen gemacht in der Höhe von fünfhundert Millionen Dollar, um 30 Millionen Acre des besten Landes in der Welt zu bearbeiten, und da sollte kein Grund sein, dass irgendein Landmann Russland in der gegenwärtigen Zeit verlassen müsste, um nach Saskatchewan zu kommen, wo die landwirtschaftlichen Gelegenheiten immer seltener werden.
„Der Bote", Mittwoch, den 20. November 1929
Unter anderem stellt ein kanadischer Mennonit die berechtigte Frage:
Sind wir Neueingewanderte nicht auch schuld daran, dass einige unserer Provinzialregierungen dagegen sind, viele unserer Brüder aufzunehmen?
Wird Br. Töws versprechen können, dass diese Flüchtlinge aus Russland alle Landwirtschaft treiben werden, was hier wohl verlangt werden wird, und was wir, so viel ich weiß, versprochen haben?
Mit Gruß A. J. Willms.
„Der Bote", Mittwoch, den 27. November 1929
Eine kanadische Zeitung, die “Star” befasst sich mit dem Thema in einer Ausgabe vom 21.11.
Das mennonitische Problem.
Die Völkerliga will für 100.000 heimatlose Mennoniten bis zum nächsten Frühling sorgen.
„Star“ vom 21. Nov. Ottawa, Nov. 20. — Laut Kabeldepeschen aus Genf, Berlin und Warschau mehrt sich die Zahl der mennonitischen Flüchtlinge in Moskau rapide. Bei der kanadischen Regierung ist eine Eingabe um die Einreiseerlaubnis für 6.000 Mennoniten gemacht worden, aber jedenfalls wird wenigstens für 100.000 ein Platz für eine neue Heimat gefunden werden müssen. Laut Nachrichten aus Warschau sind die ersten 5.000 Mennoniten, für die sich das deutsche Auslandsamt bei der kanadischen Regierung verwendet hat, der Anstoß zu einem immer mehr anschwellenden Strom mennonitischer Flüchtlinge geworden. Es verlautet, dass alle Mennoniten Russlands, die sich in 150 Jahren, seit Kaiserin Katharina die Große diese Sekte ins Land rief, sehr vermehrt haben, Russland verlassen werden. In einigen Monaten werden mehr als 100.000 Mennoniten Russland verlassen haben und dem Hunger anheimgefallen sein, wenn die Völkerliga oder die Regierungen der europäischen Länder sich ihrer nicht annehmen werden.
Fridtjof Nansen, der berühmte Nordpolfahrer, der Vorsitzende der Flüchtlingskommission in der Völkerliga, hat sich telegraphisch mit der kanadischen Regierung in Verbindung gesetzt. Er versichert, dass die Liga für die mennonitischen Flüchtlinge eintreten wird, und hofft bis zum nächsten Frühling für sie Obdach und Nahrung in den europäischen Ländern auf Kosten der Liga zu finden. Dieser Umstand scheint die Befürchtung, dass die Flüchtlinge Hungers sterben werden müssen, unmittelbar aus dem Wege zu räumen.
Die Mennoniten wandern nicht aus, weil sie in ihrer Religion verfolgt werden, sondern weil sie durch die Maßnahmen der Sowjetregierung aller Güter beraubt, ganz verarmt sind und durch das Steuersystem dem Hunger anheimfallen. Vor der Revolution bildeten die Mennoniten Russlands eine vermögende, sparsame Gemeinschaft. Bei gegenwärtigen Verhältnissen blieb den Leuten nichts übrig, als sich dem Erbarmen europäischer Länder anzuvertrauen, oder in Russlands Hungers zu sterben.
Wenn die Völkerliga die Verpflegung der Flüchtlinge bis zum Frühling übernimmt, dann verfügen wir über viel Zeit, die Frage der Herüberbringung der Flüchtlinge gründlich zu erörtern.
„Der Bote", Mittwoch, den 27. November 1929
Der nächste Briefschreiber schafft es, seine dramatische Lage in Russland mit Worten zu fassen:
Es scheint, als ob alle Höllengeister sich auf Russlands Fluren niedergelassen haben und hier ihr Unwesen treiben. Wann wird das einmal ein Ende nehmen? Und wer wird uns von dem Übel erlösen? Wissen die Kanadier keinen Ausweg, damit wir nur hinauskommen? O, wie gerne würden wir Hab und Gut stehen und liegen lassen, wenn wir nur weg könnten! Bei vielen ist das Verlangen zum Auswandern so groß, dass sie ihr Vermögen verkaufen und sich aufs Geratewohl nach Moskau begeben. Helft uns, Brüder, aus dem Elend heraus; denn hier geht Hab und Gut, Seele und Leib verloren!
„Der Bote", Mittwoch, den 18. September 1929
Es kommt soweit, dass die Leitung der kanadischen Mennoniten einen Brief an den Präsidenten Russland schreibt, in dem man höfflichst bittet die Mennoniten ziehen zu lassen:
Geehrter Herr Präsident:
Die Konferenz der Vertreter der Mennonitengemeinden von Canada hat sich auch auf ihrer diesjährigen Tagung mit der Lage unserer mennonitischen Glaubensbrüder in Russland beschäftigt. Wir möchten aber gleich zu Anfang betonen, dass wir weit davon entfernt sind – und tun dies auch nur in Form eines Protestes – uns in die internen Angelegenheiten des Sowjetstaates einzumischen. Wir überlassen es auch dem Gerichte der Zukunft, darüber zu entscheiden, ob das sozialistische Wirtschaftssystem, das im großen russischen Reich gemacht wird und das, wie es uns scheint, große Opfer kostet, – der Menschheit den erhofften wirtschaftlichen und geistigen Aufschwung geben wird.
Wir wissen, dass unsere Brüder in Russland bis zur Revolution eine große Kulturarbeit getan haben. Wir wissen, dass sie durch ihren Fortschritt und ihre Ausdauer in der Arbeit ganze Distrikte der russischen Landwirtschaft erschlossen haben. Wir wissen weiter, dass sie auch nach der Revolution auf dem Gebiete der Landwirtschaft, speziell der Reinsaat- und Viehzucht, verhältnismäßig große Erfolge erzielten, Erfolge, die von bekannten Politikern und Wirtschaftlern der Sowjets rühmlichst hervorgehoben wurden.
Weiter ist uns aber auch bekannt, dass im Laufe des letzten Wirtschaftsjahres die Losung der Partei von der Regierung der S.S.S.N. zum Gesetz erhoben worden ist, welches die stärkeren Bauern als Klasse endgültig vernichten soll. Dieses Gesetz wird durchgeführt. Es hat mit vielen anderen auch einige Tausende unserer Glaubensbrüder betroffen, die kurzer Hand aus ihren Wirtschaften ausgesiedelt und aller Mittel bar in den hohen Norden Russlands übergesiedelt wurden, wo nun alle diejenigen, die den furchtbaren Strapazen noch nicht erlegen sind, unter den schrecklichsten Verhältnissen weiter leben sollen.
Wir erinnern uns noch sehr gut an (das Jahr 1921 und die darauf folgenden zwei Jahre, wo Millionen von Menschen in Rußland hungerten und verhungerten. Wir erinnern uns auch daran, wie dank dem entgegenkommen der Sowjets es unter anderen ausländischen Hilfsorganisationen auch unserer mennonitischen Organisation erlaubt wurde, nicht nur die Hungrigen zu speisen, sondern auch im Aufbau der Landwirtschaft mit Saatgut und Traktoren zu helfen. Bei dieser Gelegenheit möchten wir auch betonen, daß - soviel uns bekannt - von unsern Hilfsarbeitern in Rußland auch nicht einer sich mit Politik beschäftigt und dadurch den Unwillen der Sowjets auf sich gezogen hat.
Heute befinden sich wieder Tausende unserer Brüder in großer Not. Wir bemühen uns zu verstehen, daß das oben erwähnte bestehende Gesetz über Liquidierung der stärkeren Individualwirtschaften es den Lokalbehörden nicht erlaubt, mit unseren Mennonitenbrüdern dort eine Ausnahme zu machen. Dieses ändert aber nichts an der Tatsache, daß diese sich in großer Not befinden.
Daß wir nun wiederum helfen möchten, wird Ihnen, geehrter Herr Präsident, sofern Sie die Geschichte unserer mennonitischen Gemeinschaft kennen, ganz verständlich sein. Dieser unser Wunsch zu helfen dürfte wohl auch dieses mal von Seiten der Sowjetregierung kaum auf Hindernisse stoßen.
Weil wir aber wissen, daß es sich heute um Menschen handelt, die laut Gesetz als Schädlinge in der sozialistischen Wirtschaft anerkannt sind, und weil wir andrerseits wissen, daß Moskau eine ausländische Hilfsaktion innerhalb Sowjetrußland heute nicht wünscht, so möchte die Konferenz Ihnen, geehrter Herr Präsident, folgende Bitten unterbreiten:
1) bitten wir Sie, allen Mennoniten und deren Familien, die aus ihren Wirtschaften ausgesiedelt und deren Vermögen laut Gesetz konfisziert wurde, wie auch denen, die noch ausgesiedelt werden sollen, die Erlaubnis zu geben, Rußland verlassen zu können. Da diesen Leuten aber alles, was sie befassen, genommen ist, ersuchen wir Sie, ihnen unentgeltlich regelrechte Auslandspässe auszustellen und ihnen freie Fahrt bis zur Grenze zu gewähren.
2) bitten wir Sie, Herr Präsident, es veranlassen zu wollen, damit die Gerichtsorgane eine objektive Untersuchung all der Fälle aufnehmen und beschleunigen möchten, wo mennonitische Prediger oder Vertreter von einzelnen Gruppen im Zusammenhang mit der Flucht nach Moskau im Herbst vorigen Jahres in die Gefängnisse geworfen wurden.
Falls die Gewährung dieser unserer Bitten weitere Verhandlungen erfordern sollte, sind wir gern bereit, zu diesem Zweck eine Delegation zu einem der Gesandten der S.S.S.R. in Europa zu entsenden.
Wir bitten, Sie, Herr Präsident, um baldige Antwort auf dieses unser Bittgesuch und zeichnen im Namen der Konferenz der Mennonitengemeinden von Canada
D. Töws, Vorsitzender
Benj. Ewert, Vicevorsitzender, Joh. G. Rempel, Schriftführer
"Der Bote", Mittwoch, den 27. August 1930
Anhand der bestehenden Dokumente kann man mit Sicherheit feststellen, dass unsere kanadischen Brüder ihr Bestes getan haben, um den Einzug unserer Vorfahren zu ermöglichen.
Im Augenblick der größten Not unserer Eltern und Grosseltern in Moskau schlossen sich die Türen Kanadas. Die sowjetische Führung war bisher dazu geneigt, die Mennoniten ziehen zu lassen. Nun blieb den Kommunisten kein anderer Ausweg, als all die Mennoniten in Moskau zu zwingen die Rückreise anzutreten.