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Teil 3

  

 

    In der vorigen Ausgabe haben wir uns die Nachrichten aus dem Boten von den ersten Monaten des Jahres 1929 angesehen.

    Der Bote ist ein Blatt, das wöchentlich von den kanadischen Mennoniten herausgegeben wurde, die vor 7 Jahren ausgewandert waren und darum noch große Verbundenheit mit den in Russland zurückgebliebenen Mennoniten empfand. Die meisten hatten noch Verwandte und Bekannte in Russland und waren um die zurückgebliebenen Mennoniten besorgt.

    Obwohl es den meisten in Kanada finanziell noch nicht gut ging, waren sie bereit, Opfer zu bringen, um den Mennoniten in Russland zu helfen.

    Wir wissen, dass in der Mitte des Jahres 1929 Mennoniten beginnen nach Moskau zu ziehen. Wie verläuft das Leben in den Kolonien und die ersten Züge nach Moskau?

  

Ein Abschnitt aus dem kommunistischen Blatte „Das Neue Dorf"

 Unsere antireligiöse Front.

    Am lebhaftesten verlief das Thema über die Erschaffung der Welt nach Jaroslawskis „Bibel für Gläubige und Ungläubige." Die wichtigsten Aufgaben des Zirkels für die nächste Zeit sind:

    1) rege Propaganda unter der Dorfbevölkerung und Gründung eines zweiten Zirkels beim Bauernheim;

    2) allseitige Vorbereitung zur Durchführung der Anti-Osterfeier;

    3) sorgfältiges Studium der örtlichen religiösen Bewegung.

    Am 24. April abends (Ostern) wurde angeordnet: Tag und Nacht zu pflügen, keine Feiertage berücksichtigen, nötigenfalls die Kühe als Zugkraft benutzen!

„Der Bote", Mittwoch, den 22. Mai 1929

 

    Durchgehend im Jahr 1929 schreiben Mennoniten aus Russland an den Boten:

    “Die Auswanderungsbewegung wird in den Kolonien immer größer. Mit den Pässen wird's aber immer noch nicht besser, sondern schlechter. Dieses zwingt die Leute, andere Wege zu suchen. Da unternehmen sie denn ganz verzweifelte und unverantwortliche Schritte. Besonders die Slawgoroder, Sibirien. Mehr als zehn Familien von dort haben alles liquidiert und liegen jetzt in Moskau. Unter ihnen auch der viel bekannte Peter Bor. Epp-Markowka.

    Die Familien befinden sich in Moskau in einer durchaus schweren, ja fast aussichtslosen Lage; denn dort die Pässe zu bekommen ist auch fast aussichtslos. Dazu kommt noch der Produktenmangel in Moskau, wo die Bedarfsartikel nur aus Karten herausgegeben werden.

 

    Diese Nachricht erschien im Mai. Es betraf also Mennoniten, die schon zu Beginn des Frühlings nach Moskau gegangen waren. Und gerade darum höchstwahrscheinlich auch ausgewandert sind. Den anderen aber schien ihr Schritt "unverantwortlich".

    4. Ein Lehrer schreibt: “Endlich ist es eingetroffen: ich bin meines Amtes (als Lehrer) enthoben. ...... weil ich u.a.. kein Mitglied des „Gottlosen Zirkels"wurde. Lieber Freund, ich bin reif für Canada. Wie komme ich hinüber?!

„Der Bote", Mittwoch, den 22. Mai 1929

    Schulleiter verlangen von den Lehrern eine gottlose Erziehung der Kinder. Was tun mennonitische Lehrer?

   “Die Kinder werden in den gottlosen Schulen nach allen Seiten hin im Gegenteil von früher erzogen. Unsere bedauernswerten Lehrer kommen scheinbar ihren Pflichten, die ihnen von den Behörden durch Zuschriften, Instruktionen und Inspektionen aufgedrängt werden, nach. Die Perspektive, arbeits- und somit brotlos zu werden, zwingt manchen, gegen seine Überzeugung zu handeln und hin und wieder sie auch zu ändern.

    Der 1. Mai soll wohl drei Tage gefeiert werden, während große Anstrengungen gemacht werden, die Christen in der Feier des Osterfestes zu stören. Die Schulen sollen Ostern arbeiten, sogar Sonntag, am 1. Feiertag.”

    Wie viele Gewissensbisse müssen diese Lehrer erduldet haben!

 

    “Sollte es Euch schwer werden für uns fürbittend bei Gott und dann auch bei guten Menschen einzutreten, wenn Ihr von unseren Leiden hört und lest, so denkt an Euer Gelübde, Ihr vielleicht seinerzeit getan, und überwindet, was zu überwinden ist, damit uns in unserm Elende geholfen und der Welt bewiesen werde, dass christliche Nächstenliebe kein leerer Wahn ist, sondern reelle Tugend, aus der Werke der Liebe sprießen zum Heil und Wohl notleidender Menschen! — Wisst andererseits, dass die Gabe nicht so klein sein kann, dass sie uns nicht eine Mithilfe wäre, denn bei Berufslosigkeit und Erwerbsunmöglichkeit ist nichts zu gering!

    Soweit Bruchstücke aus seinem Schreiben. Kann eine Bitte noch dringender sein? Ist es nicht fast steinerweichend? Und das von einem Lehrer, der 25 Jahre gearbeitet hat und das Bitten früher nicht nötig hatte.”

 

     Ein schon alter Mann beklagt sich in der Ausgabe vom 29. Mai:

    “Arbeiten wie früher können wir auch nicht in unserm Alter von 74 und 60 Jahren. Es sind auch keine Verdienstmöglichkeiten. Wo nehmen wir Brot her? Die Zukunft scheint uns dunkel. Wir möchten um Hilfe bitten, aber wir schämen uns. Wir nehmen in unserer Not unsere Zuflucht zu unserm Herrn und Heilande und finden Trost bei ihm. Grüßt alle Bekannten und auch ihr seid herzlich gegrüßt von

Dietrich und Helene Wieler.”

    Wer leblangs selbstverantwortlich gearbeitet hat, hatte auch genug für die notwendigen Ausgaben. Nun aber muss der alte Mann betteln. Und schämt sich.

 

Der Bote, 5. Juni:

    “Fleisch gibt es nur auf Karten, und es wird im nächsten Jahre noch viel schlimmer sein, als es jetzt ist, da kein Mensch mehr Vieh züchten will. In dem großen Chortitza hat der Hirte in diesem Jahre eine Kälberherde von 6 Stück, und in Rosental soll überhaupt nur ein Kalb sein. Woher das Fleisch kommen soll, weiß Gott. Schon gleich nach Weihnachten wollten wir uns Ferkel kaufen und konnten es nicht, weil keine aufzutreiben sind. Und sind Ferkel auf dem Markte, dann sind sie unerschwinglich teuer.

    Die Lehrer haben Vorschrift bekommen, sich in die Atheistenzirkel einzuschreiben; keiner darf mehr zur Kirche gehen. In Grünfeld wurde ein Lehrer wegen eines Kirchenbesuches entlassen.

    In Neuendorf sind zwei Kirchenchöre mit je 15 Rubel bestraft worden, weil sie in Privathäusern gesungen hatten.

    Der 1. Mai wurde festlich begangen, aber dem Volke fehlte die Begeisterung. Keine frohe Stimmung herrschte.

    Im Winter herrschten kanadische Fröste. Jetzt ist schönes Wetter, das Gras wächst schon stark, so dass die Kühe bald auf die Weide werden gehen können. Dann wird sich auch der Milchvorrat mehren. Viele russische Bürger haben schon nichts mehr. Sie gehen mit etlichen Zehnteln Eier nach Einlage und verkaufen sie dort. Dabei verdienen sie vielleicht einen Rubel. Wollen sie sich aber dafür Brot kaufen, dann wird gefragt: Hast du ein Büchlein? (d.h. bist du Mitglied eines Verbandes?) Ohne ein Buch verkauft man ihnen kein Stückchen Brot. Schrecklich! Wer noch etwas Mehl hat (z.B. der Bauer), der verkauft es nicht, weil keine Aussicht auf neues Brot ist.

    Laut Nachricht aus Halbstadt soll Lehrer Hermann Penner erschossen sein.

    Die ärmere Schicht des Dorfes ist ausschließlich auf Maismehl übergegangen. Es wird tagtäglich „Platz“ gebacken, da der Teig verläuft und stets nur die genannte Form annimmt. Im Laden ist kein Tee, kein Reis, kein Zucker, kein Sonnenblumenöl. Trotzdem lesen wir täglich in der Zeitung, dass wir hierzulande herrlich und in Freuden leben, und schimpfen uns eins über die andern Länder. Heute las ich in der Zeitung, dass von nun an in den Städten nur Arbeiter und Angestellte Brot erhalten werden, die übrige Bevölkerung mag eben das Laster des Essens fallen lassen.”

 

Der Bote, den 12. Juni

     “Die kommunistische Staatsordnung hat dem russischen Arbeiter noch nicht das Stehlen abgewöhnt. Im Gegenteil, er denkt: da der Privatbesitz aufgehoben ist, so gehört alles jedem. Und er stiehlt. Da helfen auch keine Ermahnungen in der Presse, kein Appellieren an das Ehrgefühl (!) der Genossen, kein Hinweis darauf, dass dadurch das Staatseigentum verkleinert und der Gewinn verringert wird.”

 

    Die staatlichen Zeitungen loben ununterbrochen  die Errungenschaften der sowjetischen Revolution. Ein mennonitischer Schreiber (12.06.1929) meint dazu ironisch:

    “Bei all der Herrlichkeit aber wollen unsere Leute das Auswandern nicht lassen.

    Doch es gibt gegenwärtig überhaupt keine Auswanderungspässe. Sollte aber in dieser Beziehung eine Wendung zum Bessern eintreten, so gibt es eine Massenwanderung, wie sie noch nicht stattgefunden hat. In Canada wäre doch wohl Platz für alle, nicht wahr?

    Verschiedene Schreiber bezeugen es, dass die Mehrheit der 100 Tausend Mennoniten Russlands sofort auswandern würden. Und er hofft, dass Kanada Platz für alle haben wird. Als es am Jahresende dann soweit kommen wird, wird Kanada die Grenzen ganz verschließen, nicht ahnend, dass sie ihre Türen für sehr fleißige Menschen verschlossen hat.

 

    Die Jugend wird den Eltern entfernt, sie wird gottlos, das heißt ohne Maßstäbe erzogen. Das muss doch Folgen haben!

   „Die verwahrloste Jugend ist unsere furchtbarste Wunde", bekennt die Sowjetpresse. Es gibt in Sowjetrussland etwas, was man in keinem anderen zivilisierten Lande der Welt findet: die verwaisten oder von ihren Eltern sich selbst überlassenen Kinder. Für einen Besucher Russlands ist es eine Unmöglichkeit, jene Banden von zerlumpten und ausgehungerten Kindern zu übersehen, die quer durch Russland vagabundieren und die Straßen der großen Städte stillen. Ihre wirkliche Zahl ist unbekannt.

    In seiner Ausgabe vom 9. Juli 1928 schrieb das Rote Abendblatt: „Die Statistik zeigt uns, dass die Kriminalität unter den Kindern systematisch zunimmt".

    Von den 2445 Kindern, die 1925 vor das Moskauer Jugendgericht kamen, waren 400 krank, darunter 114 Narkotiker, 16 Syphilitiker, 55 Geisteskranke usw.

    Die meisten Mädchen leben von der Prostitution. Von den 50.000 Kindern, die von 1921 bis 1924 im Alter von 12 bis 14 Jahren vor das Jugendgericht kamen, waren 50 Prozent mit ansteckenden Krankheiten behaftet.

    Es hat seinen Grund in dem durch den Kommunismus bedingten wirtschaftlichen Ruin und der Verarmung des Volkes, in der Lahmlegung der Privatinitiative, in einer Diktatur, die, was die Moral, die Familie und Freiheit anbetrifft, sich auf Prinzipien stützt, die den Auffassungen aller zivilisierten Ländern widersprechen.

„Der Bote", Mittwoch, den 3. Juli 1929

 

    Der Bote vom 24. Juli - es ist Hochsommer - berichtet von Überschwemmungen:

    Dieser Frühling hat uns nie dagewesene Wasserfluten gebracht. Viele Häuser standen tief im Wasser und wurden von den Fluten umtobt. Die Straßen glichen schäumenden Strömen, die Niederungen großen Seen. Wehe, wer von der Flut ereilt wurde! Gerhard Sawatzkys (des Adventisten) Söhne kamen aus der Stadt. Vorsichtshalber machten sie den Umweg um Chortitza, und da — unterhalb der Steinbrücke in der „Neuen Reihe" überraschte sie eine mehrere Meter hohe Wasserwoge, schleuderte Wagen, Pferde und Menschen in die Flut und riss sie mit sich fort. Ein Sohn rettete sich auf einen Telegraphenpfosten, der andere auf einen Baum. Zwei Pferde retteten sich ebenfalls, weil die Deichsel zerbrach, die anderen zwei wurden vom Strome erfasst und ersäuft. Ein Pferd blieb an einem Baum hängen, das andere wurde von dem Strudel immer weiter getragen, bis es endlich im Rosental im Gartenzaune zwischen Heinrich und Peter Penner stecken blieb. Viele Häuser, Gärten und Zäune sehen zerzaust aus, und die Leute sind zu arm, um alles wieder instand setzen zu können. Die nassen ungesunden Wohnungen und die Furcht vor sich wiederholenden Überschwemmungen haben schon manchen aus der alten niedrig gelegenen Wohnung auf den Berg getrieben.

 

    Dann kommt der Bote (24.07) wieder über die immense Armut der Mennoniten zu sprechen:

    ...Sehr viele arme Witwen gibt es in der Chortitzaer Gemeinde, und was die aushalten und entbehren müssen, ist schwer zu beschreiben. Täglich kommen verhungerte Mennonitenfrauen, besonders aus Nieder-Chortitza, und betteln Brot, welches auch wir nur knapp haben, denn es gibt ja nur drei viertel Pfund pro Kopf.

    Die größten Schlangenlinien sieht man jetzt am Fleisch. Vor etlichen Tagen fiel eine russische Frau in der Schlangenlinie in Ohnmacht, eine andere Dame sprang zu, um ihr zu helfen — und beide verloren ihren Platz in der Reihenfolge. Die Besinnung verlieren bedeutet gar nichts im Vergleich zum Verlust der Reihenfolge. „Sie hätte nicht in Ohnmacht fallen sollen", spottete die tausendköpfige fleischeslustige Menge!”

    So viele Stunden in der Schlange stehen, wahrscheinlich geschwächt und hungrig, dass die Frau in Ohnmacht fiel. Und wenn jemand noch erbarmungsvoll war, um der Frau zu helfen, verlor auch er seinen Platz in der Schlange. Je grösser die Not, desto mehr schaut jeder auf den eigenen Vorteil.

 

Der Bote, 24. Juli:

    “Mit großer Spannung erwartete man in diesem Jahr Ostern, denn die Bolschewisten hatten versprochen, alle Osterfeiern wie auch alle Kirchen im allgemeinen anzugreifen. Und in der Tat, „Wetschernjaja Molwa" schreibt, dass die ganze Nacht hindurch zum 5. Mai (Russische Ostern) Moskau gleich einem Kampfplatz war. Die Straßen waren hellerleuchtet durch Fackeln und Raketen. Grellscheinende Lichter wurden so angebracht, dass sie in die Kirchen hineinschienen, während vor den Kirchen Vergnügungen aller Art stattfanden. Auf Alleen und Straßenplätzen spielten Orchester, während andere johlten und lärmten in unschöner Weise und wieder andere sich beim Tanze amüsierten. Durch die Straßen bewegte sich die Prozession junger maskierter Kommunisten mit brennenden Fackeln in ihren Händen. Man hatte dazu die Studenten aller Schulen mobilisiert. Die Prozessionen von spielenden und lärmenden Gruppen waren unterwiesen, die Gläubigen vom Kirchengang fernzuhalten.

    Diejenigen, die auf dem Wege zur Kirche alle Schwierigkeiten überwunden hatten, fanden noch härteren Widerstand direkt vor den Kirchen und Kirchplätzen. Vor der Heilandskirche in Moskau hatten die Atheisten den Kirchplatz und die Stufen ganz besetzt, und während in der Kirche der Gottesdienst gehalten wurde, spielte draußen das Orchester unaufhörlich, Gruppen junger Leute sangen weiter und lärmten, und die Prozessionen wurden fortgesetzt. Der ganze Kirchplatz war in ein Lichtmeer gehüllt. All das währte die ganze Nacht hindurch. Vor jeder Kirche war ein besonderer Vergnügungsplan vorgesehen. Auf einem Platz war ein Zirkus, auf einem anderen fand ein öffentliches Spiel statt etc. Dieses alles hielt an von abends 10 Uhr bis morgens 6 Uhr, um die Menschen vom Gottesdienst zurückzuhalten und sie für die Vergnügungen zu gewinnen. Straßenbahnen, Omnibusse, wie auch Eisenbahnen, Autos und andere Beförderungsmittel mussten während der ganzen Nacht den Verkehr aufrechterhalten. Sie waren mit Flaggen geschmückt und auf größeren Fuhrwerken spielten Orchester. Kinos spielten, und überall war so ein großer Lärm, dass das Glockengeläut der Kirchen übertönt wurde. Vor der Heilandskirche fesselten die Vergnügungen über 10.000 Menschen, in anderen Teilen tanzten die Menschen zur Musik der Zither und anderer Instrumente.

    Wir wussten es wohl alle schon, wie bösartig der Kommunismus war, trotzdem ist es beeindruckend diese Nachrichten noch mal zu lesen und zu sehen, was unsere Vorfahren getrieben hat, dieses Land zu verlassen.

 

Der Bote, 31. Juli:

    “Wir leben jetzt in dem Stadium der Revolution, wo alles Unmögliche möglich ist, ausgenommen — das Gute, Edle. Auch in unsern mennonitischen Dörfern auf Arkadak ist es bereits so weit, dass einer dem andern nicht mehr traut.

     Hast du ein paar Schafe oder sogar Pferde mehr, so musst du doppelt so viel Steuern zahlen.

     Nach dem neuen Gesetz dürfen wir ohne Erlaubnis der Regierung in Privatgebäuden keine Andacht abhalten. Eine Gemeindekasse dürfen wir halten, aber die Gelder dürfen nicht eingefordert werden, sondern müssen gesammelt werden; eine Armenkasse zur Unterstützung der Witwen und Waisen dürfen wir nicht haben. Sie werden von der Regierung unterhalten(!). Arme soll es keine mehr geben, aber vor den Bettlern kann man sich fast nicht mehr bergen.

    Unsere mennonitischen Prediger werden beständig mit Geldsteuern belegt, und nicht nur sie allein, sondern alle Familienglieder über 16 Jahren. Das Stimmrecht hat man ihnen genommen: ihre Wirtschaften werden als Kulakenwirtschaften angesehen, und sie müssen deshalb 75 % mehr Land- und andere Steuern zahlen.

    Gegenwärtig geht im ganzen Lande die Getreideenteignungskampagne vor sich. Und wie! Man schreibt dir vor, so und so viel musst du herausfahren. Ob du hast, ist Nebensache. Hat man das Getreide nicht, so kauft man zu 8 Rubel das Pud Hafer und bringt es der Regierung und bekommt von ihr 90 Kopeken... Und wer nicht Geld hat, dem wird Vieh, Nähmaschinen u.a. verkauft zur Strafe dafür, dass er nichts hat.

    In den Schulen wird nur antireligiös unterrichtet.

    ... Gegenwärtig sollten Männer und Frauen im Alter von 18–45 Jahren und alle arbeitsfähigen Pferde drei Tage in Chortitza beim Steinefahren arbeiten. Wer die Arbeit nicht tun wollte, konnte sich mit einer bestimmten Geldsumme loskaufen.”

     Nur wenige sagen sich von dem Mennonitentum los, aber es sind leider schon etliche. Wer Lehrer bleiben will, hat sich unterschreiben müssen, in der Schule und sonst gegen die Religion zu arbeiten.

„Der Bote", Mittwoch, den 7. August 1929

     Die meisten Gläubigen nehmen es auf sich, den hohen Preis für ihren Glauben zu zahlen. Aber was wird aus der Jugend? Wird sie auch das schwere Leben des Glaubens aufnehmen?

 

    Die bittere Feststellung eines fleißigen Mennoniten, Der Bote, 4. September:

    Was wir im letzten Frühling gesät haben, wozu der Herr sein Gedeihen gegeben, was uns freudig in die Zukunft schauen ließ, was uns die Hoffnung auf eigenes Brot gab — die Ernte davon ist nicht unser. „Hände weg!" heißt es jetzt.

    Unwillkürlich regen sich da bittere Gefühle in der Brust ...  wir sind wieder auf Gersten-, Hafer- und Maisbrot angewiesen.

 

    Nach all den Jahren, in denen die Sowjets gegen den Glauben gekämpft haben, macht ein Sowjetblatt die Feststellung:

    „Wir wissen," sagt Medwedew, „dass die Sowjetregierung über den Einfluss, welchen die Sektantenbewegung namentlich auf die Jugend gewonnen hat, schwer beunruhigt ist. Denn in der letzten Zeit ergab sich, dass zahlreiche Jugendliche aus der kommunistischen Partei mit der Erklärung ausgetreten sind, dass sie dorthin gehen, wo kein Hass gepredigt werde und keine Sünde sei."

    Dieser Abfall der Jugend hat die Führer der Gottlosen ganz besonders erbost und einzelne ihrer Häupter fordern nun zu einem Vernichtungskampfe gegen alle Religionen auf, wobei sie kurzerhand die Inbrandsteckung aller Kirchen und Gotteshäuser und die Schändung sämtlicher Pfarrhöfe verlangen.

     Medwedew schließt seinen Hassgesang mit der Erklärung ab: „Wir wissen jetzt, wo unser Feind steht und dass er sich hinter dem Gotteswort verbirgt, aber wir werden ihn aus seinen letzten Verstecken hervorholen und nichts unterlassen, um die Jugend im Hasse gegen die Religion zu erziehen."

     Darauf erfolgt dann eine Nachricht, die noch heute bei uns Lesern das Staunen hervorruft:

    „In Moskau, am Moskaufluss, in der Nähe der Festungsmauer fand (am 20. Juli) ein großer Taufgottesdienst statt, veranstaltet von den Baptisten. Es wurden über 450 Moskauer Arbeiter dort getauft. Dieses Ereignis hat natürlich unter den kommunistischen Organisationen große Aufregung verursacht. In den größeren Industrieunternehmungen wurden Protestversammlungen einberufen gegen die „unverschämten Übergriffe des religiösen Volkes."

„Der Bote", Mittwoch, den 18. September 1929

 

    Mennoniten, die in der Nähe des Amur, Grenze zu China, leben, geht es besonders schlecht und sie machen sich auf eine weite Reise mit dem Zug, um Nahrung für ihre hungernden Familien zu finden. Sie kommen nun in die Schwesterkolonien in Südrussland, wo es tatsächlich nicht so arm zugeht. Nun folgt der Bericht im Boten (18. September):

    “Als diese zwei Mann vom Amur in unsere Kreisstadt kamen, sagte die Behörde ihnen, wenn sie Kartoffeln wünschten, könnten sie solche von der Regierung für 70 Kopeken das Pud kaufen. Wir waren bereit, ihnen Kartoffeln, Bohnen, Grütze usw. zu schenken, doch — die Regierung erklärte, dass es nicht erlaubt sei, geschenkte Produkte per Bahn zu befördern (!). Mitleidige Herzen legten nun Geld zusammen, damit die Abgesandten doch mit Kartoffeln zurückfahren konnten.

 

 

Der Bote, 25. September

    Man lässt den Arbeiter kaum so viel verdienen, dass er ein Hundeleben fristen kann. Mitgliedsgeld muss ohne Ende gezahlt werden. Zuerst 5 Rubel, dann 10, dann noch 15 und so weiter. Der Bauer muss je nach seinen Verhältnissen von 20 bis 50 Rubel zahlen, und er zahlt, wenn er sich auch noch so sträubt, denn sonst kann er nirgends auch nur das Allernotwendigste kaufen. Der Handel ist ganz in den Händen der Regierung, und sie macht, was sie will.

    Nur der Staat darf kaufen und verkaufen. Dazu muss man aber Mitglied in der Genossenschaft sein. Der monatliche Betrag ist nicht gleich für alle. Und ob es dann auch Waren zum Kaufen gibt, ist nicht sicher.

 

Der Bote, 25.09.: “Die Weihnachts- und Osterfeiertage werden in den Schulen abgeschafft.”

 

 

In schwerer Not

    In unsern Tagen haben wir so recht gelernt – Sorgen. Und heute verstehen wir besser als früher Jesu Gebot: „Sorget nicht!" – Wie gerne möchten wir auch seinem zweiten Ruf nachkommen: „Alle eure Sorgen werfet…", aber das haben wir noch nicht ausgelernt und werden es wohl auch nicht; denn ist eine Sorge gehoben, so dringt die andere riesenhaft auf uns ein. – Euch hat der Herr in seiner Gnade herausgerissen aus diesem Strudel – wir aber sind darinnen. Ich weiß, Ihr tragt mit uns die Last: unser Leiden ist euer Leiden, und unser wird dort vor Gottes Throne gedacht. Wir Mennoniten haben ja auch keine andere Aussicht auf Hilfe als des Herrn Hand. Engländern würde von ihren Stammesgenossen geholfen werden, der Deutsche ist der Willkür preisgegeben, für sie tritt keine weltliche Macht helfend ein. Da sind die Schweden, ein kleines Häuflein von 300 Familien, zwei Dörfer, Schlangendorf und Altschwedendorf. Sie fanden Schutz und Zuflucht in ihrem kleinen Ländchen. Unser nimmt sich niemand an… Wie oft hört man: „Warum zogen wir nicht, als es ging?" Jetzt ist die Aussicht geschwunden.

    Getreide liefern, mehr als geerntet, und dann das Verkaufen des Eigentums. Und wie rücksichtslos man dabei vorgeht.

    Gegenwärtig geht man so in Karaffan (Krim) vor, wo 12 Wirtschaften liquidiert werden. Man hat es dabei auf die Kräftigsten abgesehen, denn in ihnen sieht man die Gegner der Kollektivwirtschaft; man legt ihnen soviel auf, dass sie es einfach unmöglich zahlen können.

    Unter dem Bauernstande herrscht solche Apathie, dass mancher Gott um eine Missernte bittet, denn dann ist der Druck geringer. Und dann das Verfahren dabei: Die Dorfgemeinde wird versammelt, die Summe des zu liefernden Getreides genannt und dann wird abgestimmt — wer ist dafür? — Niemand wagt sich zu erheben. Dagegen? — Wieder sitzt alles aus Furcht. — Also angenommen. Jemand wagte bei uns gegen solche Vergewaltigung zu protestieren. Aber da wurde ihm gesagt, er solle nicht vergessen, dass man noch könne mit dem Hammer auf den Kopf klopfen. Und das sagt ein Regierungsbeamter! Jeglichen Anstand haben sie verloren. Wenn Leute zum Selbstmord greifen (und solche Fälle sind), darf man sich nicht wundern. Dies Drohen und Spotten, das man früher vom russischen Bauern hörte, ist ganz weg: gleichgültig, apathisch, nichts tun, nichts säen — soweit hat man ihn gebracht.

     Und dabei die Vergewaltigung des Geistes. Der Sonntag wird den Arbeitern genommen — eine fortlaufende Arbeitswoche mit dem 6. Ruhetage. In der Schule — mit dem fünften. Die Andachtslokale werden geschlossen (Sagradowka); die Prediger alle als Experte besonders besteuert. Dann Selbstbesteuerung, gewaltmäßiges Aufdrängen der Anleihen — das ist ein Bild von unserm Leben. Ich weiß, vor Jahren ließen Mennoniten alles stehen und liegen, wenn sie durften den Staub von den Füßen schütteln, aber heute geht es nicht. — Das ist die Freiheit: Man darf nicht, was man will, und man muss, was die Tyrannei will. Und von den Verheißungen, die man machte, ist nichts, nur Vergewaltigung auf allen Gebieten. In Neuendorf (Chortizer Wolost), schickt man die Kinder am Sonntage nicht zur Schule, da sollen die Väter mit 25 Rubel bestraft werden. Ob das noch nicht Christenverfolgung ist? Jeder Tag bringt etwas Neues. O, das fällt auf die Nerven! An ein ruhiges Arbeiten, und das braucht ja der Bauer, wenn seine Arbeit Erfolg haben soll, ist nicht zu denken. Gewaltsam Gott entfremden, gewaltsam in die Kommune — das ist das Streben unserer Machthaber.

 

    Überall werden die Mennoniten bedrängt, überall denkt man nur an das eine: Auswandern (11.09): “Aus Sibirien kommt die kleine Nachricht, dass die Maßnahmen der Behörde bezüglich der Auswanderung immer schlimmer werden. Wer den Wunsch äußert, dass er auswandern wolle, wird mit einer „freiwilligen" Steuer belegt, die oft das Gesamtvermögen des Betreffenden weit übersteigt. Diese „freiwillige" Steuer muss er innerhalb 24 Stunden in bar auszahlen. Weil dieses in den meisten Fällen nicht getan werden kann, so wird über das gesamte Vermögen eine Zwangsversteigerung anberaumt, die innerhalb 5—8 Tagen stattfindet. Es wird alles verkauft, auch der Hausrat, die Betten, die Wäsche. Kann er dann die ihm auferlegte Steuer nicht zahlen, so wandert er ins Gefängnis, und es wird ihm freigestellt, entblößt von allem, in der Kommune um Brot zu betteln. Nichtsdestoweniger hält der Zug nach Moskau an.

    Wieso denken alle Mennoniten an das gleiche? Mennoniten sind ein Wandervolk. Auch ihre Väter haben durch Wanderungen neue Orte gefunden, wo sie ihren Lebensstil ausleben konnten. Wenn es an einem Ort nicht mehr geht, hat der Mennonit im Laufe der Jahrhunderte gelernt, sonstwo in der Welt eine Heimstätte zu finden, die ihm die notwendige Freiheit gibt.

    Außerdem waren ja vor wenigen Jahren über 20 Tausend Mennoniten nach Kanada gezogen. Das war der gesamten Mennonitenschaft in Russland bekannt.

    Zusätzlich kommt, dass sie untereinander Briefverkehr hielten und sich somit gegenseitig anspornten, das Land zu verlassen. Wenn einer sich dann entschied nach Moskau zu gehen und eine legale Ausreisegenehmigung erhielt, das sprach sich bald rum. Mein Großvater väterlicherseits bekam so eine Genehmigung Mitte des Jahres 1929 und konnte mit seiner Familie legal ausreisen. Das blieb sicherlich nicht geheim.

     Der ununterbrochene Druck der Sowjets und die Nachricht, dass einige es geschafft hatten, legal auszureisen, bewog dann viele andere das gleiche zu versuchen. Darum strömten dann ab Mitte des Jahres 1929 viele Mennoniten nach Moskau.

    In der nächsten Ausgabe veröffentliche ich Briefe und Texte über die Ankunft der Mennoniten in Moskau und die Reaktion Kanadas auf die Bitte Tausenden Mennoniten die Einwanderung zu gewähren.

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