Turkestan
Eine mennonitische Auswanderung mit Folgen
Ab dieser Ausgabe möchte ich eine große Geschichte erzählen, die Geschichte einer Auswanderung, die bis heute noch nicht ganz verstanden wurde, die aber Leid, Angst und Tod mit sich brachte. Unsere Vorfahren sind oft ausgewandert, weitergewandert und nach Jahr und Tag haben sie dann ein neues Zuhause gefunden, in Holland, in Polen, in Russland und auf vielen anderen Orten der Erde.
Dieses Mal kam es anders. Und die abenteuerliche Geschichte dieser Auswanderung können wir in den eigenen Worten der Auswanderer lesen, nämlich in den Briefen, die sie und ihre Zeitgenossen der Mennonitischen Rundschau schickten.
Die Mennonitische Rundschau kann im Internet gelesen werden (hier), ab 1880, in gothischer Schrift, oft teilweise unleserlich. Für die nach Nordamerika und Kanada ausgewanderten Mennoniten wurde diese Zeitung das Bindeglied mit der alten Heimat. Man war zwar in der neuen Welt, aber das Herz und die Verwandten waren noch alle in Russland.
Und nun ereignete sich dort eine ganz außergewöhnliche Auswanderung, statt zum Westen zog diese Gruppe zum Osten, dem Morgenland entgegen.
Der erste Eintrag zum Thema ist in der Rundschau vom 20. Juli 1880. Da steht:
"Gnadenthal, 6. Juni 1880. Denen, die nach Turkestan auswandern wollen, scheinen Hindernisse in den Weg zu treten. Die Dorfgemeinden sollen sich nämlich, ehe sie die Uebersiedler entlassen, auch dafür verbindlich machen, daß die Reisenden den Ort ihrer Wahl sicher erreichen werden."
(1880-07-20)
Eingeweihte werden verstanden haben, was diese Meldung meint, wir aber, die wir beinah 150 Jahre später dieses lesen, müssen versuchen es zu deuten: Da will eine Gruppe in das entfernte Turkestan auswandern, in die Nähe des heutigen Afghanistan und da ist ein Hindernis. Die Dorfsverwaltung soll es garantieren, dass diese Bürger, die nun auswandern wollen auch sicher am Ziel ankommen. Aber wie? Es gibt keine Eisenbahn dahin, kaum Wege, es sind Flüsse zu überqueren ohne Brücken. Man fragt sich: wer stellt diese Bedingung? Wie soll die Dorfsverwaltung so eine über viele tausend Kilometer weite Reise garantieren. Und das Besondere: wird sich diese Gruppe zu dieser Bedingung fügen?
Die nächste Nachricht finden wir in der Ausgabe vom 5. September 1880:
"Nachdem die Auswanderungen nach Amerika aufgehört haben, hat sich eine neue Auswanderungsgemeinde gebildet, unter Anführung des Abr. Peters, Friedensruh. Sie hatten ihr Ziel nach Turkestan in Asien gerichtet. Ehe man aber etwas Gewisses in Betreff der Uebersiedlung in Händen hat, haben nun diese Leute alle ihre Habe veräussert und warten der Zeit, wann sie endlich werden aufbrechen und diese lange, beschwerliche Reise antreten können.
Da kommt nun unerwartet noch von höhernorts her eine Erklärung, daß Knaben von 15 Jahren an nur auf Pässe von Papier mit besonderer Farbe, 20jährige aber entschieden nicht mitreisen dürfen, da sie sich zum Herbst zur Loosung (Militärdienst) zu stellen haben. Dies hat natürlich einen argen Strich durch ihre Rechnung gemacht, und es ist nun fraglich, was sie thun werden; ob sie hier bleiben, oder, wie Etliche schon riethen, nach Persien oder nach Amerika gehen werden! — Näheres zu berichten werde ich nächstes Mal vielleicht schon im Stande sein.
Nachschrift: 26. Juli. Nächste Woche gedenken die Auswanderer dennoch nach Turkestan aufzubrechen." (1880-09-05)
Eine "Auswanderungsgemeinde" nennt sie der Schreiber. Der Schreiber dieser Mitteilung wohnt in Russland, in der Nachbarschaft zu diesen Auswanderern und beschreibt die Ereignisse in der Rundschau, die in den USA veröffentlicht wird.
Diese Auswanderer scheinen Feuer und Flamme für ihre Idee zu sein, haben schon alles verkauft, wissen aber noch nicht, ob sie ihre Söhne im dienstpflichtigen Alter mitnehmen dürfen und nun fragen sie sich, was sie tun sollen: in Russland bleiben, vielleicht lieber nach Amerika, wohin schon tausende Mennoniten gegangen sind, oder doch nach Turkestan.
Dieses Land war kürzlich erobert worden, und es war schon klar, dass die Gesetze Russlands dort geltend gemacht werden würden. Darum auch die Erwägung nach Persien zu ziehen, das heutige Iran.
Aber in derselben Ausgabe der Mennonitischen Rundschau teilt ein anderer die folgende Nachricht mit:
"Am 29. Juli traten die Uebersiedler nach Turkestan ihre Reise an; ihr erster Versammlungsplatz sollte Waldheim sein.
Mögen die armen Reisenden glücklich ihr neues Heim erreichen und daselbst zufriedener sein, als in ihrer alten Heimath! Doch, es ist schwer zu glauben, daß sie hinkommen werden, denn durchschnittlich sind sie Alle sehr arm, und eine Reise an 6000 Werst kostet viel, sehr viel Geld, besonders, wenn sie, wie hier, per Achse gemacht werden soll. Auch ist zu befürchten, daß die Reisebeschwerden manchen von ihnen ins Grab bringen werden, ehe sie am Ziele sind, weil das längste Ende zu Fuß wird müssen gemacht werden, denn hinter zwei Pferdchen waren die Wagen zu schwer beladen, als daß eine Familie von mehreren Gliedern noch auf Fahren rechnen dürfte.
Werden sie wohl, wenn auch Alles glücklich von statten geht, zum Winter hinkommen nach Turkestan? oder werden sie unterwegs überwintern müssen?
Aus Blumenort ist gezogen Dietrich Braun mit seiner Familie, jedoch ist seine Tochter Margaretha zurückgeblieben, weil sie sich hierzu nicht entschließen konnte. Auch sind Brauns Kinder, Johann Klaassens gezogen." (1880-09-05)
Was für unglaublicher Antrieb, um so ein immenses Unternehmen zu wagen! Wie schwerwiegend müssen die Gründe gewesen sein, um sich in ein so beinah unmögliches Vorhaben zu stürzen! Von Chortitza bis Aulieta sollen es "6.000 Werst" sein, das wären 6.400 Kilometer. Da hat sich der Berichterstatter wohl geirrt. Laut GOOGLE MAPS sind es heute nur 3.300 km. Damals waren die Umwege viel grösser, nehmen wir also an, dass es 4000 Kilometer gewesen sind, "per Achse", also mit einem Wagen von Pferden gezogen. Das wäre so weit wie von Porto Alegre bis Fortaleza, weite Strecken auf sehr schlechten Wegen, durch Wüste, über Flüsse ohne Brücken.
Was sich in den Familien abgespielt hat, können wir uns kaum vorstellen. Hier lesen wir, wie die Tochter "Margaretha" ihre Eltern nicht begleitet. Wieviel Tränen hat das Unternehmen gekostet? Wie viele Gespräche, wo ein Verwandter versuchte dem anderen, dieses ungeheure Wagnis auszureden? Oder auch in wie vielen Fällen haben die Auswandernden versucht, Freunde und Verwandte zu überreden mitzuziehen? Wer vom Glauben getrieben wird, ist sich meistens seiner Sache sehr sicher und betrachtet die anderen als kleingläubig vielleicht sogar als ungläubig.
Was trieb diese Menschen? Hatten sie vor etwas Angst? Wie meinten sie Gott besser dienen zu können unter einer rein muslimischen Bevölkerung?
Die Redaktion von der Mennonitischen Rundschau sieht sich gezwungen, sich über dieses Unternehmen zu äußern:
"In einer andern Spalte finden unsere Leser die Nachricht, daß einige unserer Brüder in Südrußland wirklich die Reise nach Turkestan angetreten haben. Dieser Schritt ist längere Zeit ruhig überlegt worden, und die Uebersiedler sind sich der bevorstehenden Beschwerden auch wohl bewußt. Daß sie vor den Mühsalen einer Reise von 6000 Werst (4000 englische Meilen) dennoch nicht zurückgeschreckt, beweist, daß sie ihrer Meinung gewiß sind. Theilen wir auch nicht ihre Ansicht, so sei es jedoch ferne von uns, ein wegwerfendes Urtheil zu füllen.
Ein Jeder, der ein Herz des Mitgefühls und der Nächstenliebe hat, wird den armen Reisenden Gottes Schutz wünschen und fürbittend ihrer gedenken." (1880-09-05)
Man sieht in dieser Stellungnahme, wie die nordamerikanischen Mennoniten Bedenken haben. Wahrscheinlich hat es schon manche Stimmen gegeben, die dieses Unternehmen verurteilten. Darum plädiert man um "Mitgefühl" und "Nächstenliebe". Wiederholte Male aber sprechen die Berichtenden von den "armen Reisenden", man schaut sie also mitleidig an und bezweifelt den Sinn ihres Unternehmens.
Die Mehrheit der Mennoniten konnte diesen Schritt nicht verstehen. Man war der Meinung, dass diese Geschwister im Irrtum stecken. Wer wird am Ende recht behalten?
Bericht über den Beginn der Auswanderung:
"7. August. Am 29. Juli traten die Petersbrüder und auch einige Andere, nicht zu ihrer Gemeinde gehörend, ihre Reise nach Turkestan an. Schon am 27sten und 28sten hatten sie sich in Waldheim gesammelt, wo noch Ansprachen von Predigern gehalten und manche Anordnungen getroffen wurden.
Ihre Fahrzeuge bestehen in einem einfachen dazu gemachten Verdeckwagen, dessen Kasten 10 Fuß lang ist (3,5m), also bedeutend länger, als die Wagen gewöhnlich sind. Die Höhe besteht aus drei Breiten, also auch außergewöhnlich hoch. Davor haben sie mehrentheils ein Paar unlängst dazu gekaufte russische Pferde mit Kummeten.
Es ist wahrlich nichts Kleines, das die Leute unternommen haben. Viele unter ihnen sind sehr arm, so daß sie zum Anschaffen eines Fahrzeuges den Geldbeutel Anderer in Anspruch haben nehmen müssen. Der Herr wolle ihnen Rath und Hilfe reichlich zu Theil werden lassen. Abr. Peters sein Sohn Dietrich ist auch unter der Zahl, die aufs Frühjahr rekrutirt werden soll, ebenso auch ein Quirings Sohn. Die Beiden sind jetzt vorläufig nach St. Petersburg gereist, um womöglich sich Freilassung auszuwirken. Ob sie den Zweck ihrer Reise erlangen werden, das steht in Frage."
Die Gruppe wird hier nach dem Leiter genannt, die "Petersbrüder", einige von ihnen sehr arm, werden von den reicheren finanziert.
Nun aber tritt ein Grund für die Auswanderung auf, "die Rekrutirung zum Soldatendienst". Als die Mennoniten vor über 100 Jahren nach Russland gekommen waren, hatte man ihnen "alles" versprochen, auch die Befreiung vom Militärdienst. 80 Jahre nach der Einwanderung aber war er eingeführt worden. Eine große Anzahl Mennoniten, besonders jene die zu der "Kleinen Gemeinde" gehörten, waren schon nach Kanada und in die USA ausgewandert. Dann schloß Russland die Auswanderung und änderte das Gesetz. Nun durften die Mennoniten in die Forstei, um einen Ersatzdienst zu leisten. Das war aber manchen noch immer zuviel. Man wollte keine Berührung mit dem Staat. Man war völlig überzeugt, dass jegliche Kooperierung mit der Staatsmacht etwas Verwerfliches wäre. Dafür nahm man jegliche Schmach auf sich.
Die Gesetze aber galten schon und die jungen Männer im entsprechenden Alter mussten sich stellen. Hier lasen wir, dass man nach St. Petersburg gefahren war, um eine Freilassung zu erhalten und die Söhne von dem für sie furchtbaren Schicksal zu bewahren.
Die nächste Meldung in der Mennonitischen Rundschau steht am 20. September:
"4. August. Die sogenannte Petersgemeinde in Südrußland, die schon längst eine Auswanderung nach vom Militärgesetz einstweilen noch befreiten Gegenden im russ. Reiche gesucht hat, ist jetzt wirklich ausgewandert — nach Turkestan. (Hier der heutige Weg von Chortitza zum Turkestan)
Veranlaßt durch die von Klaas Epp an der Wolga erschienene Broschüre, die Rußland als den letzten Bergungsort der wahren Kirche darstellt, hat diese Gemeinde längst ihren Blick nach Mittelasien gerichtet, und nach vielen und großen Anstrengungen ist es ihr gelungen, die Erlaubniß zur Uebersiedlung dorthin zu erwirken.
Die Regierung hat sehr ernst und entschieden von einem solchen Schritte abgerathen, indem erstlich die Verhältnisse dort durchaus nicht für wehrlose Mennoniten seien, und sodann es im Plane der Regierung liege, sobald als möglich auch diese Gegend in das allgemeine Militärgesetz zu ziehen, also auf Befreiung vom Militärdienst dort nicht lange zu rechnen sei.
Doch der Plan war einmal gefaßt, die zur Besichtigung des Landes dorthin geschickte Kommission brachte über die örtlichen Verhältnisse gute Nachricht, der dortige General Kaufmann, dem wohl etwas daran gelegen sein mochte, das von ihm eroberte Land mit Deutschen, resp. mit Mennoniten zu besiedeln, befürwortete bei der Regierung den Plan und versprach seinen persönlichen Schutz, und so ist es denn bis zur Auswanderung gekommen.
Bei allem dem bleibt das ganze Unternehmen ein aus rein religiösen Motiven hervorgegangenes. Die Leute sind dort durchaus nicht frei vom Militärdienst und haben die Jünglinge von 15 Jahren und darüber ihre — und besonderen Pässe nehmen müssen, und werden bei der betreffenden Loosung zurückgerufen. Zwei von ihnen, Peters Sohn und ein gewisser Quiring, die schon aufgeschrieben sind und diesen Herbst ins Loos müssen, bekamen gar keine Pässe, es heißt, daß diese beiden noch, begleitet von dem Lehrer Jakob Janzen, über St. Petersburg reisen werden, um sich los zu bitten.
Gestern, den 30. Juli, versammelten sich 63 Familien, und heute sind ebenso viele Wagen, begleitet von den Segenswünschen zurückgebliebener Freunde, Verwandten und Geschwister abgereist, ihrem fernen, ungewissen Ziele entgegen. Ihr Weg geht über Saratow, (hier) wo noch eine Reisegesellschaft sich ihnen anschließen wird, eine kleine Zahl von Familien aber schon abgereist ist. Man rechnet den Weg bis Taschkent bei 4000 Werst, und glaubt, in vier Monaten, also zum Dezember, dort zu sein.
Es ist jedenfalls ein großes Unternehmen, namentlich bei der vorgerückten Jahreszeit, und die Leute werden hier allgemein bedauert, weil noch die meisten von ihnen unbemittelt, einige sehr arm und nur einige einigermaßen bemittelt sind; sie haben unter sich eine Gemeindekasse, aus welcher die Hilfsbedürftigen unterstützt werden.
Wenn wir auch weder mit dem ganzen Werke noch mit den Motiven, woraus dasselbe hervorgegangen ist, übereinstimmen, so können wir doch nicht umhin, den Glaubensmuth zu ehren, der zur Ausführung eines solchen Planes nothwendig ist. Der Herr sei mit ihnen und mit ihrem Unternehmen." (1880-09-20)
Nun entdecken wir den tieferen Ursprung des Unternehmens: eine Broschüre von Klaas Epp, einer der Führer der Gruppe, sieht "Russland als den letzten Bergungsort der wahren Kirche" und es "bleibt das ganze Unternehmen ein aus rein religiösen Motiven hervorgegangenes".
Überall ist Abfall vom wahren Glauben, Unentschiedenheit, wenig Streben nach Heiligung. Nun zieht man dorthin, wo man endlich, endlich die "wahre Gemeinde" Jesu erleben wird.
Ist es nicht schon oft so gewesen unter uns Mennoniten? Stehen nicht immer wieder solche Leiter auf, die uns von der "reinen, wahren Gemeinde" träumen lassen wollen?
Wir sehen, dass Leiter dieser Gruppe Kontakt mit der Regierung aufgenommen haben und diese sie vor ihrem Vorhaben abrät, denn die "Verhältnisse dort durchaus nicht für wehrlose Mennoniten seien", und daß das kürzlich eroberte Gebiet "sobald als möglich in das allgemeine Militärgesetz" eingezogen wird. Der Weg führt die Gruppe an einer weiteren mennonitischen Siedlung vorbei, in Saratow, wo sich weitere Anhänger der Gruppe anschliessen werden.
Nun entdecken wir, dass die Strecke bis zum Turkestan nicht mehr 6 tausend, sondern "nur" 4000 Werst beträgt, also etwas über 4000 Kilometer.
Man glaubt in "vier Monaten" dort zu sein, also mitten im Winter.
Viele der damaligen Beobachter hielten es für einen Wahnsinn. Dieser Schreiber zollt diesen Auswanderern Glaubensmut und wünscht ihnen Gottes Beistand.
Wie siehst du es?
Die vorige Nachricht war im September. Man stelle es sich vor: eine Karawane von Glaubengeschwistern aus vielen mennonitischen Dörfern Russlands und mit vielen Bekannten und Verwandten in den USA und Kanada, zieht in eine weite und unbekannte Ferne, in die zivilisatorische Wildnis Asiens. Und monatelang hört man nichts von ihnen. Man stelle sich die Besorgnis aller vor, die Angst der Hinterbliebenen. Was könnte alles passiert sein? Und keine Nachricht.
Zu Weihnachten, mitten im Hochwinter wollten sie in Turkestan angekommen sein. Aber dann stoßen wir in der Mennonitischen Rundschau vom 5. Dezember 1880 auf die Veröffentlichung dieses Gerüchts:
"Die Turkestan-Reisenden sollen, wie uns Jemand mittheilt, am Kuban ihr Heim gefunden haben. indem sie dort‚ einige tausend Dessj. Land gekauft. So unwahrscheinlich scheint diese Nachricht nicht, doch bleibt die Richtigkeit derselben abzuwarten." (1880-12-05)
Wo es keine Nachrichten gibt, hört man auf Gerüchte. Und wenn es dann noch ein positives ist, dann können Sorgen und Ängste eine gewisse Beruhigung finden. In Kuban gab es mennonitische Siedlungen schon seit 1862. Dann hätten sie diese Route gemacht.
In der Mennonitischen Rundschau vom 5. März 1881 entdecken die Leser, dass die Auswandererkarawane am Ziel angekommen ist.
Sie hatten sich in zwei Gruppen aufgeteilt. Es folgt hier nun der Bericht über die Reiseerlebnisse der ersten Gruppe:
"Der erste Zug war bereits am 17. Okt. in Turkestan angekommen und wird, wie berichtet wurde, über den Winter in der Nähe von Taschkent auf einem Gute verblieben. Folgender Brief ist aus dem ersten Zug über die Strecke von Karabutak bis Kasalinsk, 544 Werst. ....
Nachdem wir uns in Karabutak mit dem nöthigen Futter und Lebensmitteln versehen, traten wir den 18. Aug. unsere Weiterreise an und gelangten Sonnabend den 23. Aug. wohlbehalten in Irgis an (Ich konnte diesen Ort auf der Karte nicht finden). Es ist dieses der letzte Ort vor der Wüste, wo etwas zu bekommen ist, und hatten deshalb einige Tage Arbeit, bis wir uns mit dem Nothwendigsten versorgt hatten, um den Weg durch die Wüste antreten zu können.
Wir hatten daselbst kaum unsern Lagerplatz gewählt und ausgespannt, so waren auch schon die Kirgisen da und gleich bereit, uns mit unsern Wagen durch die Wüste zu bringen. Sie forderten nur 40 Rbl. für einen der schwersten Wagen, indem sie vorgaben, 4 Kameele vorspannen zu müssen. Wir erhielten überhaupt die verschiedensten Nachrichten über den vor uns liegenden Weg, bis wir einen Kaufmann trafen, der vor einigen Wochen mit eigenem Fuhrwerk von Taschkent gekommen und jetzt wieder, auf der Rückreise begriffen war. Derselbe zweifelte gar nicht daran, daß wir mit unsern Pferden durchfahren würden, besonders dann, wenn wir auf den schwersten Stellen einander vorlegen wollten. Diesem Rathe sind wir denn auch nachgekommen, haben uns dabei auch ganz gut befunden."
Die Gruppe befindet sich vor einer unbekannten Herausforderung: die Durchquerung einer Wüste. Einwohner der Gegend, Kirgisen, die scheinbar schon oft Durchreisende dabei geholfen haben, bieten sich ihnen an. Man wird sich wohl auf Russisch verständigt haben. Kann man ihnen aber trauen? Sind die von ihnen verlangten Preise für ihre Kamele und für ihre Dienste gerecht? Zum Glück begegnen sie dann einem Kaufmann, der kürzlich die Wüste durchquert hat und ihnen zuverlässige Informationen gibt.
"Zu meinem 2. Wagen, der ohnehin für 2 Pferde schon immer etwas schwer ging, kaufte ich mir in Irgis noch eine Kirgisenstute für 35 Rbl. (5 Jahre alt und in gutem Futterzustand). ... Zum Hafertransport hatten wir vier Mann Kirgisen mit 25 Kameelen angenommen, Fracht per Pud bis Kasalinsk 45 Kop, und 4 Rbl. aufs Ganze für Besorgung der Kameele an den Karawanenbasch (der Karawanen-Oberhaupt), ohne welchen keine Karawane zu miethen geht. Ich hatte für 7 Pferde 70 Pud Hafer gekauft. Es wird euch etwas viel scheinen, aber es ist in dieser Wüstenei zwischen Kirgis und Kasal kein Pfund Heu für Geld zu bekommen, so daß wir auch nur auf unsern Hafer angewiesen waren, haben auch nirgends Weide, Rohr oder sonst etwas angetroffen; nur Kurrei (Salzkraut R.) oder andere stachlichte Kräuter und Gebüsche, wohl tauglich für ein Kameel, aber nicht für ein Pferd. Habe aber doch von meinem Hafer ungefähr 10 Pud überbehalten. Wasser haben wir, ausgenommen zwei Station, überall hinreichend gehabt, echt schweren Sand hatten wir nur 6 Werst (7 Werst 1 deutsche Meile R.) die längste Strecke, wo der Weg am Aralsee vorbeiführt."
25 Kamele haben sie angeheuert nur für den Transport von Futter für die Pferde. Man stelle es sich vor, was für eine große Karawane das geworden ist. 1 Werst ist etwas mehr als ein Kilometer.
"Wir legten uns da vor und fuhren erst die eine Hälfte Wagen durch, dann holten wir die andere nach. ("vorlegen" meint einem Wagen mehr Pferde vorspannen) In einem Zeitraum von 8 Stunden waren wir damit fertig. Hinter dieser Sandstrecke gleich Station und hinreichend Wasser. Nachdem mußten wir noch zweimal vorlegen, ungefähr 3 und 2 Werst. Sonst sind wir überall ziemlich leicht weggefahren. Auf den längsten Strecken hatten wir Lehmboden, stellenweise etwas sehr stuckrig. Wenn wir unsere Kameele Tags manchmal nicht sehen konnten, abends zum Thee stellten sich die Führer immer ein und hielten sich dann ganz frei; nur schade, daß wir uns mit ihnen nicht verständigen konnten. Was wir ihnen zu sagen hatten, ließen wir uns von den Vorstehern der Stationen verdolmetschen. Ach so, die Karawane mit Kamele ging getrennt von den Wagen der Auswanderer. Am Abend, wenn die Pferde gefuttert werden sollte, erschien sie aber wieder. Die Beziehung zu den Kirgisen ist ungetrübt. In Abständen gibt es Stationen, wahrscheinlich vom Staat eingerichtet und von Russen betreut. Diese konnten dann zwischen Mennoniten und Kirgisen vermitteln.
"So gelangten wir denn unter Gottes Schutz und Beistand den 9. Sept. glücklich und gesund hier, in Kasakistan an, wollten uns hier zu unserer Weiterreise rasch verproviantiren und dann den 11. Mittags unsere Reise wieder antreten, welches aber, wie zu Anfang meines Briefes erwähnt, durch die Entbindung meiner Frau verhindert wurde. Auch starb Donnerstagabend Wiebes kleiner Jakob. Das ist das 11. Kind, welches durch den Tod aus unserer Reisegesellschaft genommen wurde. Es it, wie wir auf verschiedenen Stellen gehört, dieses Jahr die Kinderkrankheit, woran unsere sämmtlichen Kinder gestorben sind, in dieser Gegend herrschend. So sind auch in Irgis Erwachsene derselben erlegen."
Nun bekommen wir einen kleinen Einblick ins Alltägliche: schwangere Frauen entbanden Babys, dass 11 Kinder starb, ganz nebenbei erwähnt. Das Ziel ist so groß, die Aufgabe so heilig, dass der Tod von 11 Kindern kein Aufsehen erregt. Wo wurden sie begraben? Am Wegesrand? Die Gräber auf Nimmerwiedersehen? Oder ist es auch so, dass man es für selbstverständlich hielt, wenn Kinder starben? Dieses ist eines der Aspekte, die es uns beinah unmöglich machen, uns in jene Zeit hineinzuversetzen. Die Wertmaßstäbe sind in mancher Hinsicht ganz anders.
"So gedenken wir denn, da meine Frau sich ganz wohl befindet, Montag den 15. d. Mts. unsere Reise weiter fortzusetzen. Ach, wir können ja gewiß glauben, daß der treue Herr, der uns gnädiglich bis hierher geleitet und geführet hat, auch weiter helfen wird (u. s. w.). Verbleibe schließend Euer Euch liebender Bruder in dem Herrn.
Gerh. Janzen.
Nachtrag: Muß noch kurz bemerken, daß wir die Melonen und Arbusen, welche wir schon in Irgis zu treffen glaubten, erst hier getroffen haben."
Der Schreiber des Briefes ist voller Dank für die Führung Gottes. Der Tod von 11 Kindern lässt seinen Glauben an der gnädigen Führung Gottes ungetrübt.
"Melonen und Arbusen": ob es dabei auch noch Rollkuchen gab?
Der obige Brief wurde von "Gerhard Janzen" geschrieben. Nun folgt ein Brief von Johannes Penner. Dieser Brief berichtet über die Reise der zweiten Gruppe: Chortitza bis Orenburg: Brief vom zweiten Zug
"Orsk, 18. Sept. 1880, Mein lieber Bruder Riesen! Der Friede des Herrn Jesu sei mit Dir und den Deinigen. In Eile einige Zeilen, um Nachricht von unserer Reise zu geben.
Mittwoch den 10, Sept. Nachmittag sind wir von Orenburg abgefahren. Wir wurden dadurch abgehalten, früher aufzubrechen, daß sich Montag Abends Fr. Fröses ältester Sohn den rechten Arm gebrochen hatte, was Ihr wohl wissen werdet. Es steht ziemlich gut mit ihm. Vor einigen Stunden sind wir hier angekommen (11 Uhr Vorm,). Nachmittag sollen die nöthigen Einkäufe zur Weiterreise gemacht, und dann, so Gott will, morgen früh aufgebrochen werden."
Ein junger Mann hat sich den Arm gebrochen. Wie, das wird nicht berichtet, sicherlich nicht bei Spaß und Spiel. Er ist Frau Fröses "ältester Sohn", vielleicht eine Witwe mit Kindern, wo der "älteste Sohn" die Aufgaben eines Vaters übernehmen musste.
Wer übernahm ab dann die schwierigsten Aufgaben der Familie? Sicherlich andere Mitreisende. Je größer der Glaubenseifer einer Gruppe, desto mehr hilft man sich untereinander.
Der Weg von Chortitza nach Orenburg = Hier
"Einige Nachrichten von dem Orenburg- Orsker Wege: Mangel haben wir auf demselben nicht gehabt, Menschen und Thiere haben es stets reichlich gehabt. Hafer kostete 80-100 Kop.; in Orsk auf Nachfragen 50—80 Kop. Wir wollen 400 Pud kaufen. Zu dem, was wir davon nicht laden können, sollen Fuhren angenommen werden. Der genannte Weg war interessant; vielleicht wird er der interessanteste der ganzen Reise bleiben; wir passirten nämlich die südlichen Ausläufer des Uralgebirges. Obwohl dieses Gebirge mehr sanfte Kuppen hat, so konnten wir uns doch von dem Geschauten ein Bild von Gebirgslandschaften machen, besonders da, wo die Felsen, von der Humusschicht, die hauptsächlich das Ganze bedeckt und mit dichtem Steppengrase bewachsen ist, entblößt, kahl und nackt hervorfahren. Der Weg ist im Ganzen genommen gut, allein einzelne Parthien sind schlecht, sehr schlecht; wozu die Auffahrt über die Höhe des Gebirgszuges gehört; zwischen Bergen und Felsen, auf schmalem steinigem Wege, der an manchen Stellen kaum so breit ist, daß zwei Wagen aneinander vorbeifahren können, geht es lange Zeit, mir wurde sie der armen Pferde und der Wagen wegen viel zu lang, immer bergan.
Hier werden keine Kamele genannt. Es werden aber 400 Pud Hafer für die Pferde gekauft. Wie wird das transportiert? Er berichtet, dass sie "Fuhren angenommen haben". Werden die auch von Kamelen transportiert?
Er macht Angaben über die Preise, denn er hofft, dass sich noch mehr Mennoniten dieser Auswanderung anschließen und somit eine Ahnung haben, mit wie viel Geld sie rechnen müssen.
Anders als Janzen hat Penner Augen für die Landschaften und die Wege. Wir entdecken, dass die Wege steinig sind und manchmal so schmal, dass kaum "zwei Wagen aneinander vorbeifahren können".
"Ein Pferd von Onkel M. Klassen ist, jedenfalls in Folge der Strapazen dieses Weges, unbrauchbar geworden und mußte verkauft werden. Sonst steht Alles gut, wofür dem Herrn herzlicher Dank gebracht sei. Unsere Kinder sind recht gesund, bedeutende Erkrankungen sind in der ganzen Gesellschaft keine.
Johannes Penner." (1881-03-05)
"Sonst steht alles gut": ist bei dieser Gruppe kein Kind gestorben? Oder hielt er es nicht mal für nennenswert?
Die Mennonitische Rundschau vom 1. April 1881 übernimmt einen Bericht, der in einem "Gemeindeblatt" veröffentlicht wurde. Der erste Abschnitt ist vom Herausgeber der Mennonitischen Rundschau:
"Asien. Kaplanbeck, 25. Okt. 1880. Wiederum ist es das „Gemeindeblatt“, welches eine Original-Correspondenz von einem Bruder bringt, der unter den Auswanderern nach Turkestan ist. Wir beschränken uns darauf, dem langen Berichte nur den für weitere Kreise interessantesten Theil zu entnehmen:"
Ein Peter Dirk schreibt den folgenden Bericht. Wir erfahren, was nun passiert, als sie nahe am Ziel sind.
„Den vorletzten Tag, die 3. Station von hier kam uns schon ein Beamter entgegen, uns unsern einstweiligen Aufenthalt anzugeben. Er nahm Br. W. Penner in seine Kutsche, und fort gings mit seinem Dreigespann. Br. Penner wurde des andern Morgens zu Pferde, begleitet von 4 Kirgisen, zu uns gebracht. Der Beamte war mit Br. P. hier auf Kaplanbeck gewesen und hatte ihm diese Gelegenheit gezeigt.
Die Kirgisen mußten uns nun hinbegleiten, einen Richtweg, daß wir nicht nach der Stadt brauchten, welches ein Umweg von 50 Werst gewesen wäre. Es war dieses von Herrn Kaufmann (dortigem Generalgouverneur) veranlaßt, und that uns solches Entgegenkommen sehr wohl. Der Weg, mehr ein Feldweg, war aber für unsere Wagen nicht zum besten. Tante Janzen war ein Rad schon länger sehr schlecht; hier gings nun ganz auseinander, so daß ein Baum untergeschoben werden mußte, und sie auf drei Rädern ans Ziel kam, ein Beweis, daß es nun mal weit genug sei."
Kaufmann ist der General, zu Diensten des Tzars, der dieses Land für Russland erobert hat und nun die Verwaltung inne hat.
Die gezeigte "Gelegenheit" meint wohl das Land, auf dem sie ansiedeln konnten.
Vielleicht weiß jemand meiner Leser, wie man auf drei Rädern fährt, mit einem "untergeschobenen Baum". Dass er aber von "Tante Janzen" spricht, darf man wohl annehmen, dass es eine Witwe war. Noch eine.
"Von hier nach der Stadt Taschkent ebenfalls ungefähr 8 Werst schlechter Weg, d. h. mit schlechten Stellen. Wir haben um Ausbesserung gebeten; das soll schon heute unter unserer Aufsicht geschehen.
Dicht neben uns, wenige Schritte ab, wohnt ein reicher Kirgise, Namens Schönebeck, in einem gewöhnlichen runden Zelte (Kibitki), hat 3 Häuser in der Stadt, in einem ist ein Handlungsgeschäft. Er muß auch sonst in Ansehen stehen, denn er hat Auftrag, uns in Allem behilflich zu sein, was uns fehlt, beizuschaffen, ja uns sogar die Pferde, die wir verkaufen wollen, abzukaufen. Der Beamte, der uns entgegenkam, frug auch gleich, ob uns etwas mangle: Holz, Gerste, Mehl u. s. w., aber wir waren mit Allem versehen."
Er spricht von einem reichen Kirgisen namens "Schönebeck", ein Kirgise mit deutschem Namen?
Man ist diesen mennonitischen Ankömmlingen sehr entgegenkommend. Wahrscheinlich auf Befehl des deutschen Generals Kaufmann, der seine Landsleute hier gerne sieht, in der Hoffnung dadurch seinem Verwaltungsgebiete Fortschritt zu ermöglichen.
"Ich habe vergessen, zu erwähnen, daß uns in Taschkent die Pässe abgefordert wurden, die mit der Post vorausgingen.
Auf allen Stationen früher schon wartete man auf uns, d. h. nur in dem Sinne, weil man von unserm Kommen durch die Postreisenden, die uns getroffen, erfahren. Auf der letzten Station, wo wir von der Poststraße abbogen, hatte sich der Vorsteher sehr erkundigt, wie viel Vorschuß wir genommen, würden doch jetzt nehmen! doch Gott sei Dank, wir konnten das noch verneinen. So sind wir denn, wie schon erwähnt, 15 Wochen auf der Reise gewesen und können dem Herrn nicht genug danken."
"Postreisende" sind wohl Staatsangestellte, die im Auftrag der Zentralregierung die Verbindung mit diesen viele tausend Kilometer entfernten Ortschaften herstellen.
Überall wo die Mennoniten ankommen, erwartet man sie schon. Ihre Gruppe ist so ungewöhnlich und aufseherregend, dass sie allen Menschen der Gegend auffallen.
"15 Wochen auf der Reise", also wie vorausgesehen, beinahe 4 Monate.
"Es hat wohl lange gedauert; aber unsern Pferden kam es immer zu gut, wenn wir einmal einen halben Tag stillliegen mußten. Hier nun auf Kaplanbeck entfaltet sich gleich ein reges Leben. Es ist hier ein Wohnhaus mit sechs heizbaren Zimmern, eins aber nur, wo Thüren und Fenster dicht waren. Hier kamen nun die Kranken hinein und somit auch ihre Angehörigen. Hiedurch genießen wir nun die Entschädigung für die Beschränkung auf der Reise."
Der Gouverneur hat den Mennoniten sogar ein "Wohnhaus mit heizbaren Zimmern" vorbereitet, wo sie nun ihre Kranken unterbringen können.
"Es wird fleißig an den Wohnungen, auch für die Nachkommenden geschafft. Es sind da hohe Lehmwände aufgeführt und in drei verschiedene Vierecke getheilt. An der offenen Stelle stehen Ständer. Hier lassen die Freunde Fenster und Thüren einsetzen und somit eine dichte Wand ziehen. Bis 20 und mehr Scharten kleben in kurzer Zeit die Wände auf. Fenster und Thüren mit Gerüsten sind fertig in Taschkent zu kaufen und geholt worden. Mittelwände stehen viele passend da, und so sind viele Wohnungen rasch fertig geworden.
Es ist heute schon der 30. d. Mts., da ich dieses schreibe. Hat diese Nacht schon etwas gefroren, und denken wir viel an unsere nachkommenden Brüder. Es ist ohnedem den hiesigen Leuten ein Wunder, daß jetzt noch immer schön Wetter ist; denn sonst ist hier schon die Regenzeit. Ein Lehmhäuschen steht für sich allein vor unserer Thür. Da werden jetzt die innern Wände ausgebrochen, um einen möglichst großen Raum zum Schulhaus und Andachtshaus zu gewinnen."
Es ist Oktober, es geht dem Winter aufzu. Es hat sogar schon "etwas gefroren".
Tashkent, heute Hauptstadt Usbekistans, eine 2 einhalb Millionenstadt. Damals wohl schon Stadt genug, damit die Mennoniten sich mit allem Nötigen versorgen konnten.
"Die Lage dieser Wirthschaft ist ganz romantisch. Wir mußten durch einen Fluss fahren, dann gings bald in eine Weidenallee, die sich an dem Wohnhause vorbeizieht bis zu einem Wäldchen. Alles angepflanzt. Schon sehr hohe Bäume, meistens Pappeln, aber mit sehr großen Blättern, ähnlich denen des Ahorn. Hinter dem aufsteigenden Walde ein breiter Graben, woraus die Bewässerung erfolgt. Auch jetzt rauscht noch fast täglich Wasser durch das fallende Laub. Weils dem Hause zu an einer Stelle etwas steil fällt, so dürfen wir nur einige Schritte gehen und den Eimer unterhalten.
Etwas entfernter sind verschiedene Baumgruppen, die die Aussicht verschönern, so auch Kirgisenwohnungen, wo die Lichter des Abends so nachbarlich herleuchten. Dann noch weiter entfernt die hohen Gebirge Karataus, wo so ganz deutlich auf verschiedenen Stellen der Schnee zu sehen ist, der hier schon im Sommer nicht schmilzt. Wir sahen schon, daß leichte Wolkenschichten sich niedriger lagerten, und die Schneespitzen die Wolken überragten. Das ist dann ein großartiger Anblick, wonach viele reiche Leute Meilen weit reisen würden. Von uns sollen die Gebirge 80 Werst entfernt sein."
"Die Lage der Wirtschaft", damit meint er das Grundstück, das sie besiedeln wollen. Es sieht die Romantik der Lage: Die Weidenallee, das Wäldchen, der Fluss, die Baumgruppen, die hohen Gebirge in der Ferne. Und "reiche Leute" müssen "Meilen weit" reisen, um etwas so Schönes und Romantisches zu erleben, was sie nun täglich genießen werden.
Will er mit seinen Beschreibungen weitere Mennoniten anwirbt, auch herzukommen? Die "Kirgisenwohnungen, wo die Lichter des Abends so nachbarlich herleuchten", scheinen ihm keine Bedrohung zu sein. Bisher hat die Mennonitengruppe nur gute Erfahrungen mit ihnen gemacht.
"Auch einen Marktflecken haben wir in unserer Nähe, nur 1 Werst. Doch als wir das erste Mal hinschickten, kauften wir Alles, was zu haben war, auf. Nach der Stadt sinds 15 Werst, die Hälfte schlechter Weg, dann aber sehr gut auf der Poststraße. Ich war schon mit Frau und Kindern hingefahren. Lange vor der Stadt schon immer in Alleen zu fahren und andre angenehme Abwechslung. Die Stadt selbst hat Jac. Hamm (unser Deputirter) nicht so schön geschildert, wie sie ist. Nun, er war im Winter hier.
Jetzt ist jede Straße eine dunkle Allee, sehr hohe Bäume, nicht eine Reihe, nein zwei und drei Reihen. Kommt man dann an eine Kreuzstrasse, so sieht man nur Alleen, die Straßen schön gerundet, und hinter den Alleen lugen dann die Gebäude hervor, viele auch schon recht prachtvoll, sogleich vorne das Gymnasium in 5 zweistöckigen Gebäuden. Die Ladenpreise sind hier wenig theurer wie in Saratow. Das Fensterglas allerdings ist theurer u. s. w."
Und sie haben einen "Marktflecken", einen Ort, nur etwas über einen Kilometer entfernt, wo sie ihre Produkte hinbringen können. Die Stadt Taschkent liegt ungefähr 17 Kilometer entfernt. Die Fahrt dorthin war eine "angenehme Abwechslung".
Die angekommenen Mennoniten befinden sich auf Flitterwochen mit ihrem neuen Ort. Wer diesen Brief las, dem wird es wahrscheinlich gereut haben, nicht auch mitgezogen zu sein.
"Die Brüder Herm. Janzen und Penner stellten sich in den ersten Tagen auch Gouv. Kaufman vor. Hat sie auch freundlich angeredet „Ihr HH. Mennoniten, seid ihr endlich da?” Ueber die 15 Wochen hatte er gesagt „Wahrlich kein Spaß!” Sehr theilnehmend nach den gestorb. Kindlein sich erkundigt und dann gesagt „Ihre Aufgabe ist nun, für die nachkommenden Brüder zu sorgen.“ Da unter Anderm Br. W. Penner ungefähr gesagt: der liebe Gott habe sie auf der Reise geleitet, habe er gesagt „Gott wird auch weiter für Euch sorgen!” und sich dann für diesmal empfohlen. Morgen soll uns angewiesen werden, wo noch gepflügt werden soll.
Euer Bruder Peter Dyrk." 1881-04-01
Der von St. Petersburg beauftragte Verwalter, Kaufmann, empfängt die Mennoniten persönlichst. Er nennt sie: "Ihr HH. Mennoniten". Was das wohl bedeutet? "Hochheilige" Mennoniten?
Er erfährt, dass die Pilgerung hierher 15 Wochen gedauert hat. Er zeigt sich teilnehmend am erfahrenen Leid. Und spricht von den "nachkommenden Brüdern". Meint er damit die zweite Gruppe oder noch weitere die unterwegs wären?