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Dr. Cornelius Krahn 

Ein Besuch bei den

Amischen Mennoniten

  

      Der nun folgende Bericht stammt aus dem Jahr 1938, aus der Mennonitischen Warte. Dr. Krahn ist Autor von Büchern über die Mennoniten und hat verschiedene leitende Funktionen unter den Mennoniten Kanadas ausgeübt. Die Amischen waren damals selbst den anderen Mennoniten noch nicht bekannt. Durch seinen Bericht versucht er Verständnis für deren Lebensweise zu wecken.

     Man darf die Amischen nicht als eine einheitliche Gruppe betrachten. Es gibt beachtliche Unterschiede unter ihnen, besonders in bezug auf die Anpassung an die Umgebung. Ihnen sind aber einige Grundwerte gemein. Die kann man in dem oben angegebenen Bericht nachlesen.

    Der Bericht von Dr. Krahn, obwohl nun schon 90 Jahre alt, ist aber noch völlig aktuell, denn die Amischen machen keine großen Verwandlungen durch.

 

     Nach meiner Ankunft in New York verließ ich bald die Stadt der fieberhaften Eile und der Lichtreklame. Mein Weg führte mich westwärts durch Pennsylvanien und andere Staaten, wo sich vor etwa 200 Jahren unter den Pionieren der Siedlung auch manche Mennoniten aus der Schweiz befanden.

    In einem kleinen Städtchen im Staate Indiana fiel mir bei meiner Ankunft eine sonderbar gekleidete Mutter auf, die ein ebenso auffallend gekleidetes Kind an der Hand führte. Da der nächste Tag ein Sonnabend war und es üblich ist, dass die Farmer an diesem Tag ihre Geschäfte in der Stadt erledigen, sah ich viele von ihnen in dieser eigenartigen Tracht. Sie trugen große schwarze Hüte, die aber das herabhängende lange Kopfhaar nicht ganz bedecken. Sie hatten lange wallende Bärte, während die Oberlippe rasiert war. Ihre Kleidung war grau oder dunkel und aus sehr einfachem Stoff. Die Röcke der Männer (Jacken) waren bis oben zugeknöpft und zwar mit Haken und Ösen und nicht mit Knöpfen. Alt und jung war ganz gleich gekleidet. Die Frauen hatten statt eines Mantels ein großes wollenes Tuch um ihre Schultern hängen (es war im Winter). Ihre Kopfbedeckung war ein altertümliches graues „bonnet(Haube), das nur das Gesicht freiließ.

    Nachdem ich erfahren hatte, dass es sich um einen Zweig der Mennoniten und zwar um die Amischen handle, entschloss ich mich am nächsten Tag ihren Gottesdienst zu besuchen. Ein Freund nahm mich in seinem Auto mit. Unterwegs überholten wir manch ein amisches Wägelchen (Buggy), das demselben Ziel zustrebte. Der Besitz eines Autos ist bei den Amischen strengstens untersagt. Darum fahren sie noch mit den altmodischen „buggies“ der Pionierzeit. Auch diese dürfen nicht besonders verziert, sondern müssen sehr einfach sein. Bei unserer Ankunft standen schon Wagen an Wagen auf dem Hof des Farmers, wo die Versammlung stattfinden sollte.

    Die Amischen versammeln sich nämlich nicht in Kirchen, sondern in Privathäusern. Das war ursprünglich in der Schweiz Sitte und praktisch. So auch in der Pionierzeit hier. Jetzt aber ist es eine feste Ordnung und die Zusammenkunft in der Kirche gilt als „weltlich“. Auf dem Hof standen die Männer im Kreise und unterhielten sich. Sie waren gekleidet wie am Tage vorher, nur etwas festlicher. Als wir uns dem Kreise näherten, wurden wir in einfacher aber herzlicher Weise begrüßt. Es war durchaus nicht schwer mit ihnen ein Gespräch anzuknüpfen. Sie sprachen Pennsylvania-deutsch (was im Englischen oft mit Unrecht „Pennsylvania-dutch“ genannt wird), welches ein mit englischen Redewendungen und Worten durchsetzter deutscher Dialekt ist.

    Als wir uns dem Hause näherten, sahen wir auf der Veranda vor dem Eingang alle „bonnets“ der Frauen an einer Stange hängen, was schon wieder einen eigentümlichen Eindruck machte. Beim Eintritt sah ich gleich, dass hier die ganze Familie zum Gottesdienst fährt. Im ersten Zimmer saßen die Mütter mit ihren kleinen Kindern. Auch jetzt sind sie einfach und einheitlich gekleidet. Über dem grauen Kleid hat jede Frau und jedes Mädchen einen Schurz. Da nach 1. Kor. 11,5 die Frau nicht unbedeckten Hauptes beten darf, hat jede von ihnen eine weiße Kopfbedeckung, die Mädchen dagegen eine schwarze. Nie sieht man sie ohne diese Kopfbedeckung. Im nächsten Zimmer sassen die Männer mit den größeren Kindern, die Frauen ohne Kinder und die Mädchen. In demselben Zimmer saß auch der Bischof, der uns freundlich begrüsste und sich erkundigte, wer wir seien. Neben dem Bischof sassen die „Diener am Wort“ und die Diakonen. Die Brüder begrüßen sich mit dem Kuss untereinander, wie auch die Schwestern (1. Kor. 16, 20 u. a. Stellen). In einem dritten Zimmer sitzen die Knaben.

    Wenn man sich im Zimmer umsieht, so fällt einem die große Einfachheit der Hauseinrichtung auf. Aus Prinzip hat man keine Bilder, elektrisches Licht, Telephon, Teppiche, Gardinen etc. Alles ist so viel wie möglich farblos oder grau.

    Schon 8 ½ Uhr beginnt der Gottesdienst. Der Bischof und die Diener am Wort gehen mit der Jugend nach oben, wo sie derselben einen Taufunterricht erteilen. In der Zeit singt die Gemeinde. Das Gesangbuch der Amischen ist der „Ausbund“. Dieses ist eine Liedersammlung der Täufer der Schweiz und Süddeutschlands aus dem 16. Jahrhundert. Die Lieder wurden von den verfolgten Brüdern in den Gefängnissen gedichtet. Auch aus dem „Het Offer des Heeren“ wurden einige aufgenommen. Der Ausbund wurde in Europa mindestens 12mal gedruckt und ebenso oft in Amerika. In Europa erschien 1838 in Basel die letzte Ausgabe. Heute ist er dort nicht mehr im Gebrauch. In Amerika wird er in der Hauptsache nur bei den Amischen gebraucht. Das Gesangbuch hat keine Noten. Somit werden die Melodien von Generation zu Generation überliefert.

    Um einen Tisch sitzen die des Gesanges Kundigen und einer von ihnen stimmt es an. Er singt die erste Silbe allein. Darauf fallen, die um ihn sitzen, auch ein. Das wiederholt sich bei jeder Zeile. Bei dem zweiten und dritten Vers beteiligt sich in dieser Weise allmählich die ganze Versammlung. – Langsam und schleppend ist der Gesang, der viele Schleifenverzierungen aufweist. Und sicher muss es eine Kunst ganz eigener Art sein, diese seit Jahrhunderte überlieferten Melodien nach dem „Kunstempfinden“ dieser anbetenden Gläubigen einschätzen zu können. Aber gerade in dem Gesang schien mir etwas von der Ruhe und Festigkeit entgegenzutreten, die heute seltener geworden sind, als in der Zeit als diese Melodien und Lieder entstanden. Es war mir als wenn ich mich in das stille Halbdunkel einer mittelalterlichen Kirche der Schweizer Berge versetzt sah.

    Diese Sphäre wurde natürlich nicht durch das übernüchterne Farmhaus geschaffen, in dem man sich zur Anbetung zusammenfand, sondern durch die Bauerngestalten mit ihrem Erbe aus den Schweizer Bergen. Merkwürdig ist übrigens, dass sich in dieser sonst antikatholischen Frömmigkeitsform noch eine sonst bei Mennoniten nicht vorkommende katholische Sitte erhalten hat. Beim Segen am Schlusse der Versammlung verneigten sich Bischof und Gemeinde beim Aussprechen des Namens Christi.

    Doch da sind wir dem Verlauf der Versammlung vorgeeilt. Nachdem die Gemeinde etwa eine halbe Stunde gesungen hatte, kam der Bischof mit den Dienern am Wort und der Jugend wieder zurück. Der Gesang verstummte, und der eigentliche Gottesdienst fing an. Man kniete zum stillen Gebet nieder. Darauf ergriff einer der Diener das Wort. Anschließend daran las er ein Schriftwort. Jetzt erfolgte die Ansprache des Bischofs vom Nachbarkezirk. Er sprach aus reicher Lebenserfahrung.

    Nach Beendigung forderte er die Brüder auf, zu dem Gesagten Stellung zu nehmen, da er „als schwacher Mensch“ gefehlt haben könnte. Das ist ein fester Brauch. Mehrere bekräftigten das Gesagte und legten ein Zeugnis ab. Zum Schluss betete der Bischof aus einem alten Gebetbuch, denn ein freies Gebet ist nicht üblich, und sprach den Segen aus, nachdem vorher noch ein Lied gesungen worden war.

    Später besuchte ich in Kansas eine andere amische Versammlung, worüber hier ergänzend berichtet sei. Eine Durchschnittsversammlung dauert von 3-4 Stunden. Es sprechen 2-3 Redner und eben so viele legen noch ein Zeugnis ab. Während dieser Zeit gehen und kommen die Kinder. Auch manche Erwachsenen verlassen für einige Zeit die Versammlung. Ich hatte den Eindruck, dass einige der Knaben draußen Zigaretten rauchten, während der Gottesdienst seinen Fortgang nahm. Als sie damit fertig waren, traten sie ein und setzten sich wieder.

    Wie der Gemeindegesang einen merkwürdigen Eindruck macht, so auch der Predigtton. Es ist eine bekannte Tatsache, dass man beim Besuch verschiedener Kirchen auch ein verschiedenes Pathos der Prediger findet. Das hängt nicht nur von der Individualität des einzelnen Predigers, sondern wohl noch mehr von der Umgebung ab, die den Prediger zum Prediger machte. Mit anderen Worten, in katholischen Kirchen ist der Predigtton von dem in Lutherischen verschieden und so in allen Kirchen. Unter Umständen kann man am Predigtton schon hören, zu welcher Richtung der Prediger innerhalb einer Kirche gehört.

    Bei den Amischen fand ich ein mir bis dahin noch unbekannt gebliebenes Pathos. Auch dieses erinnerte irgendwie, wie vom Gesang schon gesagt wurde, an eine längst vergangene Zeit. Einem ihrer Prediger fiel es allem Anschein nach so schwer, dass er dauernd das Taschentuch brauchte. Und das während der ganzen Predigt. Als Entschuldigung sei angeführt, dass er erst vor kurzer Zeit zum Diener am Wort berufen worden war.

     Wenn man die beschränkte Bildungsmöglichkeit so eines Predigers berücksichtigt, muss man sich über seine Leistung wundern. Seine Sprache (deutsch) ist verhältnismäßig gut, obschon bei den Jüngeren eine Beimischung von englischen Ausdrücken vorkommt. Es ist natürlich nicht eine Predigt, die nach theoretischen Regeln aufgebaut ist. Der Prediger nennt auch nicht einen Text oder ein Thema, worüber er zu sprechen gedenkt. Er führt Gedanken aus, die ihn in der Woche beschäftigten und erläutert und belegt sie sehr eingehend und ausführlich an Hand von Bibelstellen.

    Erst am Schluss der Predigt wird ein Textwort verlesen. Auffallend ist in der Predigt die Enderwartungs- und Bußstimmung, die sie beherrscht. Dadurch erhält sie einen mehr pessimistischen als freudigen und glaubensvollen Zug. – Charakteristisch schien mir die Äußerung eines Bischofs zu sein. Er sprach darüber, dass er viele Glieder seiner Gemeinde treffe, die über die Schwere der Lebenslast klagten, während doch Jesus gesagt habe, dass sein Joch sanft und seine Last leicht sei. Es schien mir als ob die Zuhörer hierbei besonders aufhorchten.

     Nach solcher Versammlung wohnte ich einst auch einer Bruderberatung bei. Der Bischof trug zwei Fragen zur Abstimmung vor. In der ersten handelte es sich um ein Unglück, wovon ein Gemeindeglied betroffen worden war. Da es den Gliedern der Gemeinde verboten ist, dass sie Versicherungen irgend welcher Art gegen Schaden oder Unglück treffen, hilft die Gemeinde in solchen Fällen. So machte der Bischof auch in diesem Fall den Vorschlag, dass dem Betroffenen mit Mitteln aus der Armenkasse geholfen werden sollte.

    Außerdem wurde ein Fall vorgebracht, wobei sich ein Glied von der Gemeinde zurückgezogen und einer anderen Gemeinde angeschlossen hatte. Es wurde vorgeschlagen den Betreffenden mit dem Bann zu belegen und ihn zu meiden, d. h. niemand, auch nicht die Verwandten, sollten hinfort mit ihm Umgang pflegen. Nach diesem Vorschlag ging der Diakon zu einem jeden der Brüder (nicht zu den Schwestern!) und fragte ihn nach seiner Meinung über den Vorschlag. Die Antwort war immer gleichlautend: „Ich nehme den Vorschlag an und wünsche dazu das Beste.“ So war einstimmig ohne jeden Widerspruch und ohne langes Verhandeln über eine soziale und eine Frage des Bannes entschieden worden.

    Es ist üblich, dass man nach der Versammlung in dem betreffenden Hause eine gemeinsame einfache Mahlzeit zu sich nimmt. Durch Verlängerung der Füße der Bänke und das Zusammenstellen zweier hat man bald genügend Tische hergestellt. Die Schwestern tragen die Mahlzeit auf den Tisch. Erst essen die Männer, dann die Frauen und schließlich die Kinder.

    Auch wir als Fremde wurden sehr freundlich eingeladen. Ich musste mich über die Gastfreundschaft und die natürliche und offene Art der Amischen wundern, weil es mir bekannt war, dass sie oft von Berichterstattern der Zeitungen in unangenehmer Weise belästigt werden und somit berechtigten Grund zu Misstrauen und Verschlossenheit haben könnten. Meine Bekanntschaft mit den Amischen blieb nicht auf gelegentliche Gottesdienstbesuche beschränkt. Ich besuchte auch Bischöfe und Glieder der Gemeinde.

    Als ich einer Einladung folgend einen amischen Bischof besuchte, fand ich dort schon mehrere Glieder seiner Gemeinde zu Besuch. Bald wurden wir zu Tisch geladen. Einen in seiner Art so einfach und doch so gut und reichlich gedeckten Tisch habe ich wohl kaum je vor mir gehabt. Es ist bekannt, dass die Frauen der Amischen gute Köchinnen sind.

     Das Haus ist von außen und innen einfach, aber sauber. Nirgends ist eine Spur von einem Motor oder Elektrizität zu entdecken. Abends brennen im Hause Petroleumlampen und das Land bearbeitet man mit Pferden. Ein Telephon findet man nicht im Hause. Auch kein Bild, es sei denn, dass der Kalender eins hat. Noch viel weniger wird man bei einem Amischen Photographien finden. „Du sollst dir kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis machen...

     Die Kinder besuchen nur die Volksschule. Jede weitere Bildung ist verpönt, da sie die Gefahr in sich birgt, mit der Welt in Berührung zu kommen. Das ist auch der Grund warum man nichts mit Elektrizität, Motoren, Autos, Telephon u.s.w. zu tun haben will. Der Gemeinde Christi ist in der Schrift geboten, sich nicht dieser Welt gleich zu stellen. Alle oben genannten modernen technischen Errungenschaften sind Ausdruck der menschlichen Hoffart, der Eitelkeit und eines weltlichen und sündlichen Wesens. Der Gebrauch derselben stärkt die sündlichen Neigungen im Menschen und schließlich kann er dadurch ins Verderben geraten. Darum ist die Ablehnung und Bekämpfung der modernen Lebensformen und Lebenseinrichtungen nicht nur eine bedeutende Frage für diese Zeit, sondern auch für die Ewigkeit.

     Natürlich spielt in all diesen Fragen nicht nur die Sorge um die Errettung der Seele eine Rolle, sondern auch ein bäuerlicher Konservativismus, wie er auch sonst zu finden ist. Wachsam sorgen die Bischöfe und Prediger dafür, dass in das Gemeindeleben und die Tradition der Väter keine fremden Einflüsse eindringen. Bewusst oder unbewusst erkennt man, dass ein sich Öffnen für das moderne Leben den Grabstein für die alten Lebensformen zur Folge haben könnte. Darum sucht man durch die Mittel der Gemeindezucht die „Pforte zur Welt“ so gut wie möglich zu schließen.

     Sehr interessant ist dabei die Beobachtung der Grenze des Erlaubten und Unerlaubten. Der Gebrauch des Traktors ist heute noch verboten, aber man kann sein Getreide mit gemieteten Maschinen dreschen. Man hat kein Telephon im Hause, aber man geht in dringenden Fällen zum Nachbar und benutzt dessen. Man gebraucht kein Auto, aber die Kinder werden im Schulauto zur Schule gefahren oder man mietet sich solches für längere Reisen und für den täglichen Gebrauch. Immerhin, es ist noch nicht Eigentum!

     Außer den schon genannten modernen Hilfsmitteln sind auch Fahrräder, Teppiche, Fenstervorhänge (doch sah ich solche schon in einem Hause, wenn auch in grauer Farbe!), Musikinstrumente u.s.w. verboten. An der Grenze des Erlaubten und Unerlaubten kann es leicht zu Trennungen kommen. So gibt es Gemeinden nebeneinander, wo es in einer gänzlich verboten ist Hosenträger zu gebrauchen. In der anderen darf man einen gebrauchen und in der dritten doppelte, aber sie müssen zu Hause gemacht und nicht im Geschäft gekauft sein. Das mag dem Leser nun schon mehr lächerlich als interessant erscheinen. Und doch kämpfen diese Gemeinden in den Jahrhunderten ihres Bestehens bei der Anpassung an die Umgebung um jede „Kleinigkeit“ als ginge es um das Ganze.

     Im Hause zeigte mir der Bischof seinen Büchervorrat. Es waren der „Ausbund“, von dem schon die Rede war, der Märtyrerspiegel von T. van Braght, Menno Simons und D. Philips Werke und neben der Lutherbibel einige andere Schriften des Täufertums aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Das war beinah alles, was als geistige und geistliche Nahrung des Bischofs genannt werden kann. Zeitungen zu lesen ist schon bedenklich. Noch weniger Literatur, wenn sie nicht streng erbaulichen Charakters ist. Es sei aber erwähnt, dass die amischen Gemeinden ein eigenes Blatt: „Der Herold der Wahrheit“ haben. Die letzte deutsche Ausgabe der Werke von Menno Simons erschien 1926 im Verlag eines amischen Mennoniten namens Räber (darum die Räber-Ausgabe genannt).

     Aber nicht nur in „weltlichen“ Fragen sind die Amischen konservativ, sondern auch in geistlichen. Sie haben, wie ihre Schweizer Vorfahren, keine Konferenzen, Erweckungsversammlungen, Missionsarbeit, Sonntagsschule, Abendversammlungen u.s.w. Was Organisation anbelangt, sind sie wahrscheinlich noch dem Stand der Gemeinden zur Zeit der Verfolgung im 16. Jahrhundert am nächsten. Sie brauchen noch nicht von „Überorganisation“ reden.

    Auf meine Fragen über Gemeindeordnungen u.s.w. wurde mir mitgeteilt, dass man Bischöfe, Diener am Wort (oder Mitdiener) und Diakonen durch das Los wählt. Das Los entscheidet aber erst, wenn man nach Stimmenmehrheit eine Reihe von Kandidaten für das Amt gewählt hat. Es ist also ein Kompromiss zwischen freier Wahl und Entscheidung durch das Los. – Nur der Bischof tauft, teilt das Abendmahl aus und segnet die Ehen ein. Das Einflussgebiet des Bischofs ist damit aber noch nicht ganz genannt. Seine Stellung ist patriarchalisch, was sich z. B. auch daran zeigt, dass sich Heiratslustige hierüber nicht nach eigenem Belieben verständigen dürfen. Der übliche Weg ist, dass man sich durch den Bischof findet.

    Zweimal jährlich findet das Abendmahl statt. Es nimmt fast den ganzen Sonntag in Anspruch. Einer der Mitdiener beginnt seine Predigt mit der Erschaffung der Welt und geht so durch die Geschichte der Menschheit bis ein anderer durch das Rote Meer und die Wüste das Volk Israel ins Land Kanaan einführt. Der Bischof hat dann über die Abendmahlsorte zu sprechen und dasselbe auszuteilen.

    Nachdem wir in der Zwischenzeit Haus und Hof von außen angesehen hatten, wo alles in bester Ordnung war, kehrten wir wieder ins Haus zurück. Die Frauen hatten inzwischen das Mittagsgeschirr gewaschen und saßen um den Ofen bei der Handarbeit. Auf alle meine Fragen nach den Kleidungstrachten etc. gab man mir bereitwilligst Antwort. Die Frauen machen alles selbst. Nicht nur für sich, sondern auch für die Männer. Auf diese Weise erhält sich die Familien- und Gemeindetradition und vererbt sich von Generation zu Generation. Dennoch verändert sich die Tracht auch bei dem größten Konservativismus von Zeit zu Zeit. Haken und Ösen statt Knöpfe stammen noch aus der Zeit da sie allgemein üblich waren. Das Aufkommen der Knöpfe war in den Gemeinden als Rückgang und weltlich verpönt. Über zweihundert Jahre haben sie daran festgehalten. Aber man sieht heute an den Oberhemden Knöpfe, während an der Kleidung Haken und Ösen prangen.

    Als ich den Bischof sanft auf den Widerspruch hinwies, sagte er nach einigem Nachdenken, dass er sich dessen aus seiner Jugendzeit entsinnen könne, dass er damals einen alten Mann gekannt habe, der auch an seinen Oberhemden Haken und Ösen getragen habe. Ähnlich ist es mit dem Bart. Früher musste sich der Jüngling nach der Taufe den Bart wachsen lassen, während er heute bis zum Hochzeitstage warten darf. Es werden keine Verlobungs- oder Eheringe getragen. So erkennt man die Ehemänner am Bart und die Ehefrauen an der weißen Kopfbedeckung während die Mädchen eine schwarze tragen.

     Auf meine Frage im Hause des Bischofs, ob die Frauen das alles selbst machten, antwortete seine Frau, indem sie auf ihre junge Tochter hinwies: „Die macht sie auch schon.“ Der Vater aber antwortete: „Sie macht sie nicht gut!“ Das hieß mit anderen Worten, dass sie in ihren Händen zu klein und zierlich wurden. Auch ein Beweis dafür, wie beim größten Konservativismus noch Entwicklung da ist. Darauf sagte eine der älteren Schwestern, dass die bonnets (die sie an Stelle von Hüten tragen), in ihrer Jugendzeit so groß gewesen seien, dass sie fast das ganze Gesicht bedeckt hätten (wie bei den Nonnen), während sie heute viel kleiner sind.

     Wenn man mit den Vertretern der Amischen spricht, bekommt man zuweilen den Eindruck, dass sie selbst nicht fest davon überzeugt sind, dass ihre Jahrhunderte alten Grundsätze auf die Dauer dem Einfluss der Zeit standhalten werden. Wiederholt hörte ich darüber klagen, dass bei der Jugend nicht genügend Verständnis und Bereitschaft zu finden sei, nach den Grundsätzen und im Glauben der Väter zu leben. Wenn auch zu allen Zeiten und unter allen Umständen das Alter immer über die Jugend geklagt hat und klagen wird, so ist hier doch ohne Zweifel ein besonderer Grund dafür vorhanden.

     Der Gegensatz zwischen einer Generation, die gleichsam noch in einer Zeit vor zweihundert Jahren lebt, und der jungen Generation, die auch bei der sorgfältigsten Absonderung nicht von dem modernen Leben und dem Zeitgeist unberührt bleiben kann, wird zuweilen zu groß. So können unter dieser Jugend Ausschreitungen vorkommen, die sonst vielleicht unbekannt sind. Oder die jungen Menschen schließen sich freieren Gemeinden an, auch auf die Gefahr hin, dass sie in den Bann getan und fortan von ihren nächsten Verwandten „gemieden“ werden.

     Darum ist es das Anliegen derer, die die alten Formen des Gemeindelebens erhalten möchten, dass man sich nach Möglichkeit dem Einfluss des modernen Lebens entzieht. Als in Kansas im Gebiet der amischen Farmer Öl entdeckt wurde, verkauften manche ihr Land so schnell wie möglich und kauften sich von Städten entlegene Farmen, wo sie ungestört in alter Weise ihr Land bestellen konnten.

    Statt das Land für hohe Wucherpreise zu verkaufen nahmen sie nur den gewöhnlichen Preis und begründeten diese Handlungsweise damit, dass „ein Christ im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen soll“, d. h. durch seiner Hände Arbeit und nicht durch Spekulation. Wer muss hierbei nicht ausrufen: „Alle Achtung vor diesen Menschen, die heute wirklich selten geworden sind!“

     Konsequenterweise nehmen die Amischen keine Hilfe oder Unterstützung von der Regierung an, wie z. B. Arbeitslosenunterstützung. Die Armen werden nach apostolischer Weise aus der Armenkasse der Gemeinde versorgt. Man versichert weder sein Leben durch jährliche Beiträge, noch sein Haus durch einen Blitzableiter. Alles steht in Gottes Hand. Ohne seinen Willen fällt kein Sperling vom Dach.

     Die Zeitungen berichteten kürzlich von folgendem Fall aus Pennsylvanien. Da die kleinen Schulen in einem Bezirk, wo Amische wohnten, veraltet waren, wollte die Regierung eine große moderne Schule bauen, wozu die Kinder aus der Umgebung in Schulomnibussen zusammengeholt werden sollten, wie das auch sonst üblich ist.

     Zwei Abgeordneten erschienen deswegen eines Tages in ihrer Tracht in Washington D. C. und baten an entsprechender Stelle, dass der Plan nicht ausgeführt werden möge. Sie begründeten es damit, dass es gegen ihre Prinzipien sei, fremdes Geld (in diesem Fall Regierungsgeld) zum Bau der Schule anzunehmen und dass ihre Kinder in Omnibussen fahren sollten.

     Es ist wiederholt darauf hingewiesen worden, dass auch bei dem größten Konservativismus der Amischen eine Entwicklung stattfindet. Es sei an einem Beispiel veranschaulicht. Es soll hier frei wiedergegeben werden, was ein 76-jähriger Bischof 1862 darüber im klagenden Ton berichtet. Er schreibt: „Eine große Veränderung hat in unseren Kirchen in den vergangenen 60 Jahren stattgefunden. In jener Zeit gab es viel mehr christliche Demut und Ehrfurcht vor denen, die Autorität haben, besonders vor Predigern und Ältesten".

     Ich entsinne mich auch noch der Zeit, dass es Sitte war den Weg zum Gottesdienst zu Fuss zurückzulegen. Die Jugend ging barfuß. Die leichten Federwagen (die heutigen buggies!) gab es noch nicht. Sonntagshemden nach der Welt Mode, wie Kleider aus den Geschäften waren uns gänzlich unbekannt. Wir waren ganz zufrieden mit selbstverfertigter Kleidung. Die Frauen und Töchter spannen im Winter den Flachs, den man im Herbst erntete. Jetzt kaufen wir auswärtige Baumwollstoffe und unsere Töchter können nicht mehr spinnen. O, welch ein großer Wechsel hat doch in den letzten 60 Jahren stattgefunden.

    Auch die Farmarbeit war damals noch ganz anders. Am Pflug fand man kein Eisen. Fast alles wurde mit der Hand getan. – Die Kinder mussten bei der Arbeit helfen und fanden nicht Zeit zum Müßiggang und zu unnützen Witzen. Sie wurden nicht mehrere Monate in der Schule gehalten. Für einfache Leute, wie wir, genügte es, wenn man lesen und schreiben konnte. Es war auch nicht erlaubt solche große Häuser zu bauen, wie es jetzt geschieht. Das Geschirr der Pferde war nicht nach der Welt Art gemacht und die Wagen waren ohne Farbe. Besuche zu machen war nicht eine so allgemeine Sitte und das servierte Essen war dabei nicht so mannigfaltig. Alles war viel einfacher.

     In jener Zeit wurden die Häuser nicht verziert. Die Tische hatten keine Farbe und Sofas waren unbekannt. Schreibtische und Teppiche waren verboten. Wir trugen Holzschuhe und unsere Kleidung war viel einfacher als heute.“ Der greise Bischof endigte seine Beschreibung mit folgendem Satz: „Ich bin davon überzeugt, dass viele der Gemeindeglieder mit ihrem heutigen Leben vor 60 Jahren als unwürdige Glieder in den Bann getan worden wären.

     Es handelt sich hier um eines der wenigen Schreiben, die uns über das Gemeindeleben und den Wechsel desselben in der Vergangenheit Auskunft geben. Was würde der besorgte Bischof erst heute sagen, wenn er die Gemeinden besuchen sollte! Manches was in seinen Tagen noch unbekannt war, wird heute in seinen Gemeinden als etwas Selbstverständliches gebraucht. Das beschränkt sich nicht auf halbe oder ganze Hosenträger, wovon oben die Rede war.

    Als ich einst mit einem Amischen auf seinem verdeckten „Buggy“ mit einem Pferdchen über Land fuhr, sauste an uns ein Auto vorbei, wobei mein Gewährsmann sagte, dass das sein Schwiegersohn sei. Ganz erstaunt fragte ich ihn, ob er denn nicht zur amischen Gemeinde gehöre. Er erwiderte darauf, dass das Auto nicht ihm gehöre, er habe es nur gemietet, aber er mache gute Geschäfte. So sah ich auch in Kansas auf einer amischen Versammlung unter vielen „buggies“ ein Auto stehen. Auf meine Frage, wem es gehöre, sagte man, dass es amische Besucher aus dem Staat Indiana seien, die sich für diese Fahrt das Auto gemietet hätten.

     Aber es blieb nicht beim Mieten fremder Autos. Von Zeit zu Zeit schließen sich junge Menschen freieren Gemeinden an. Der oben genannte amische Gewährsmann im altertümlichen Wagen erzählte mir, dass sich von den acht Kindern 4 freieren Mennonitengemeinden angeschlossen hätten. An Variationen und Auswahl fehlt es wirklich nicht. Sie können dabei sogar amisch bleiben; denn es hat inzwischen mehrere Trennungen gegeben, wobei der Konservativismus bezw. die Fortschrittlichkeit die Anleitung dazu gaben.

     Eine Anleitung zum Verständnis dafür, dass es unter den Mennoniten Amerikas so viele Richtungen gibt, findet man darin, wenn man berücksichtigt, dass sie zu verschiedenen Zeiten aus verschiedenen Gegenden Europas kamen und sich auch in verschiedenen Staaten Amerikas niederließen.

     Verschiedene Sitten und Bräuche, Glaubensgrundsätze und Anschauungen fanden im Land der Freiheit und des Individualismus eine noch stärkere Ausprägung als sie schon hatten und gaben zu neuen Trennungen Anlass. Das gilt für die Mennoniten allgemein, wie überhaupt für die Kirchen Amerikas, und auch für die Amischen. Auch sie wanderten aus verschiedenen Teilen der Schweiz, des Elsass, Deutschlands u.s.w. und zu verschiedenen Zeiten nach Amerika aus. Da gibt es z.B. eine Gruppe der sogenannten Schweizer Mennoniten, die über Österreich und Russland nach Amerika kamen und von denen auch ein Teil amisch war. Aber bei ihnen haben sich im Laufe der Zeit die amischen Eigenschaften so verwischt, dass schon längst keine Spur davon zu erkennen ist.

     Die hier bisher geschilderten amischen Mennoniten haben zur Unterscheidung von neueren Gruppen oder Absplitterungen den Beinamen „Old Order“. Sie entstanden 1693 durch Ammann in der Schweiz. Die ersten Auswanderer ließen sich vor circa 200 Jahren in Pennsylvanien nieder und verbreiteten sich von dort über manche der westlichen Staaten. Durch die vielen Absplitterungen ist die Zahl der Mitglieder ihrer Gemeinden nur 8600.

    Durch einen Prediger namens Egly wurde der Versuch gemacht, die vielfach erstarrten Formen des amischen Gemeindelebens durch einen neuen Geist zu beleben. So entstand die „Defenceless Mennonite Conference of North America“ im Jahre 1866. Die Gemeinden zählen nur 1500 Glieder.

    Joseph Stufen glaubte an eine endgültige Rettung aller Menschen vom ewigen Tod. Deswegen wurde er in den Bann getan. Seine Anhänger schlossen sich später in Illinois (1899) in der „Central Conference of Mennonites“ zusammen und haben etwa 3190 Glieder. In dieser Gruppe erkennt man kaum noch die Spuren der amischen Vergangenheit. Sie nehmen an allen Zweigen des geistlichen und geistigen Lebens der fortschrittlicheren Mennoniten teil.

     Zuletzt sei noch die Gruppe der „Conservative Amish Mennonites“, die 1909 entstand, genannt. Sie sind fortschrittlicher als die „Old Order Amish“. Sie singen nicht mehr ausschließlich aus dem „Ausbund“, versammeln sich zu ihren Gottesdiensten in Kirchen, telephonieren miteinander und fahren sogar in Autos etc. – Aber auch hier spricht man noch pennsylvanisch-deutsch und trägt einen langen Bart. Zwar darf man seine Haken und Ösen auf Knöpfe vertauschen, aber dann darf der Kragen des Rockes am Hals nicht umgeschlagen sein. Er muss also bis oben zugeknöpft sein.

     Wahrscheinlich haben die ursprünglichen amischen Gemeinden mehr durch Übertritte zu den sogenannten „Altmennoniten“ verloren als durch diese kleinen Gruppen. Von den „Altmennoniten“ trennten sie sich einst in der Schweiz. Heute noch bestehen die Gemeinden beider Richtungen nebeneinander in Pennsylvanien. Wenn sie in Lehre und Leben ursprünglich eins waren, so unterscheiden sie sich nach der Trennung hauptsächlich darin, dass die Amischen konservativer in Brauch und Sitte waren. Im Laufe der Zeit aber sind viele Einzelpersonen und Gemeinden zu den Altmennoniten übergegangen.

     Der Grund dazu ist natürlich nicht immer nur in dem Verlangen nach größerer persönlicher Freiheit und dem Gebrauch der modernen Lebensmöglichkeiten zu suchen. Oft kann es auch ein rein geistiger oder geistlicher Grund sein. Es kann sich der jugendliche Drang nach Bildung und Aktivität im Gemeindeleben auf diese Weise äußern. Die Mission und die höhere Bildung sind die beiden Pforten, durch welche die konservativen Mennoniten aus ihrer Abgeschlossenheit heraustreten, um schließlich auch an dem Kultur- und Gesellschaftsleben der Umgebung teilzunehmen. So geht das auch bei den Amischen. Und sie haben in der Geschichte der amerikanischen Mennoniten schon manchen bedeutenden Mann auf dem Gebiet der Mission, der Erziehung etc. geliefert. Dennoch brauchen wir vorläufig nicht befürchten, dass ihre Gemeinden bald aussterben werden.

     Unsere Besuche haben uns einen Einblick in das Leben einer Gemeinschaft gewährt, die uns gleichsam aus einer vollkommen vergangenen Zeit entgegentrat. Bei oberflächlicher Betrachtung bleibt uns manches unverständlich und fremd. So weit sind wir heute von jener Zeit und den Lebensformen dieser Gruppe entfernt. Manches wird auch bei dem ernsten Leser ein Lächeln verursachen. Dennoch werden wir, bei aller Anerkennung der Vorzüge des modernen Lebens und der Technik, diesen charakterfesten Bauerngestalten in mancher Beziehung unsere Anerkennung nicht versagen können. Besonders in dem fieberhaft-eiligen Amerika treten sie einem als Vertreter einer ganz anderen Welt entgegen. Sicher werden wir uns eine Mahnung von ihnen gefallen lassen müssen: Dass uns auch in unserer Zeit etwas mehr von der Festigkeit gegeben werde, die diese Menschen noch nicht verloren.

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