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Die Mennonitische Rundschau war eine Zeitschrift, die die Mennoniten aller Welt verbunden hat, egal zu welcher Gemeinde sie gehörten, oder auch zu keiner Gemeinde.
Damals sprachen noch die meisten Mennoniten Deutsch und so konnte eine einzige Zeitschrift die Mennoniten der ganzen Welt vereinen.
In der Ausgabe vom 11. Dezember 1929 findet man folgenden Bericht:
558 Deutsche Flüchtlinge sind von Moskau in Riga eingetroffen.
Die Telegraphen-Union meldete heute aus Riga, Lettland, dass die erste Gruppe von deutschen Auswanderern aus Russland, 401 Erwachsene und 157 Kinder, dort eingetroffen wäre. Sie wurden sofort in einen Sonderzug gesetzt, der sie nach Deutschland bringen sollte, von wo aus ihre Vorfahren vor langen Jahren nach Russland ausgewandert waren.
Männer und Frauen mit sorgenvollen Gesichtern drängten sich mit ihren Kindern aus dem Zuge. Als erste Tat nach ihrer Befreiung von der Sowjet-Herrschaft hielten sie noch auf dem Bahnhof unter einem Mennoniten-Prediger einen Dank-Gottesdienst ab, der mit dem Choral „O dass ich tausend Zungen hätte“ abschloss.
Die Flüchtlinge wurden dann vom Roten Kreuz verpflegt. Sie erklärten, dass ihnen der Rest ihres Geldes, der ihnen nach Bezahlung der hohen Pass- und Eisenbahnkosten geblieben sei, an der Grenze von Sowjetbeamten abgenommen worden wäre. Sie sagten ebenso, dass die kommunistischen Beamten ihnen selbst ihre Familien-Erbstücke und Eheringe gestohlen hätten.“
1929-12-11
Diese Gruppe sang also nicht "Nun danket alle Gott!", sondern "O, dass ich tausend Zungen hätte". Text und Geschichte des Liedes, siehe hier.
„Eine sehr dunkle Gewitterwolke steht über ganz Russland. Wird uns nochmals die Sonne scheinen oder werden die Elemente des Himmels bald zusammenbrechen, dass der Herr zum Gericht erscheinen wird? Wer wird bestehen?“
1929-12-11
In der Ausgabe vom 18. Dezember der Rundschau finden wir einen längeren Bericht über die Lage der Mennoniten in Moskau. Es schreibt ein Bibelschüler in Deutschland, dem es gelungen ist, Russland vor 10 Monaten über Harbin zu verlassen.
Das schreckliche Elend vor Moskau
Ein Augenzeuge des Elends der deutschen Flüchtlinge vor Moskau berichtet vom 25. November folgendes:
Seit Beginn der vorigen Woche setzten Verhaftungen von Männern ein, die z.T. in Moskauer Gefängnissen untergebracht werden. Hierunter fielen alle Leute, die mit der Deutschen Botschaft und den Beauftragten des Ernährungsministeriums sowie mit ausländischen Journalisten in Verbindung getreten waren.
Gleichzeitig empfing die Polizei die Neuangekommenen und brachte sie in völlig unzureichende, teilweise ungeheizte Notgefängnisse. Unter starken Drohungen verlangte man die Unterzeichnung einer freiwilligen Erklärung, zurück zu wollen, die teilweise auch geleistet wurde.
Von Freitag an erhielt die Ortspolizei erhebliche Verstärkungen, die daran gingen, ganze Familien, ohne Rücksicht auf Kranke und Transportunfähige, darunter Wöchnerinnen, Greise und sogar Typhuskranke, auf Lastkraftwagen zu verladen und zu den Bahnhöfen zu befördern, wo Viehwagen, mit Kanonenöfen versehen, bereitstanden.
Bei der allgemeinen Verzweiflung kommt es oft vor, dass Familien auseinander gerissen werden und in Eisenbahnwagen teils nach Sibirien, teils nach der Krim zurücktransportiert. Fälle von Bedrohung mit dem Revolver und andere Rücksichtslosigkeiten werden glaubwürdig berichtet. Offenbar liegt die Absicht vor, wie ich das persönlich auch bestätigen kann, die Familienhäupter von den Familienmitgliedern zu trennen. Die Not der Frauen und Kinder ist herzzerreißend. Fortwährend kommen Familien in das Amtshaus der Deutschen Botschaft, um dort Hilfe oder Trost zu erfahren.
Seit Mittwoch befindet sich in der Straße der Deutschen Botschaft eine polizeiliche Menschenkette. Jeder, der das Botschaftshaus verlässt, wird von Geheimagenten nach seinen Papieren gefragt und falls er sich als Kolonist erweist, abgeführt.
Obwohl amtlich bekannt ist, dass die deutsche Öffentlichkeit und Regierung Hilfsmaßnahmen vorbereiten, wird den völlig mutlosen, eingeschüchterten Leuten versichert, dass Kanada und Deutschland sie nicht aufnehmen wollen.
Die Abtransportierten und alle, die von Nacht zu Nacht das gleiche Schicksal zitternd erwarten, wissen, dass sie an den Heimatorten in Sibirien oder im Innern Russlands als Ausgestoßene nur noch den Tod vor sich haben.
Es wird vielleicht manch einem Leser der M. R. übertrieben vorkommen, was über unsere Glaubensbrüder berichtet wird. Doch der Schreiber dieses Textes ist vor 10 Monaten aus dem schrecklichen Lande des Verderbens draußen. Weil man mir auch zum Besuch theologischer Kurse im Ausland keinen Pass ausstellen wollte, sah ich keine andere Möglichkeit herauszukommen als auf unlegalem Wege über die Grenze zu gehen. Ich floh nach China in die Freistadt Harbin, von wo aus mir durch die Freundlichkeit des lieben Bruders Missionar Ernst Kuhlmann, Tangschau, Ku., die weitere Reise ermöglicht wurde. Und wieder andere fliehen nach Persien und Rumänien.
Welches die Ursachen sind, warum unsere Mennoniten für jeden Preis aus Russland heraus wollen, es mag kosten, was es will, unter Umständen auch das Leben, darüber wird wohl jeder Leser der Mennonitischen Rundschau im klaren sein. Aber warum sich Kanada der Hilfe ihnen gegenüber entzieht, jetzt, da Russland schon willig war, sie herauszulassen, dahinter steht vielleicht manch einer in Fragezeichen. Hätten Deutschland und Kanada sich der rechtzeitigen Hilfe nicht entzogen, dann wären die 13.000, die sich in Moskau und Umgebung unter den schlechtesten Verhältnissen befinden, von denen jetzt leider schon viele zurückgewiesen sind, wohl schon dran gewesen. Manch einer hat seinen letzten Rubel ausgegeben, um nach Moskau zu kommen und wie erwartungsvoll der Stunde entgegenzusehen, wo er mal endlich wieder die Freiheit grüßen könnte. Doch welch eine Enttäuschung! Viele haben aus dem Wirrwarr hinaus mit strahlenden Gesichtern in die Zukunft geschaut, da wird ihnen wieder ein Strich durch die Rechnung gemacht und das nur dank dem, dass Deutschland meinte, sie nicht bis zum Frühling aufnehmen zu können, da sie dann in Kanada aufgenommen werden sollten.
Auch in der Molotschna verlassen Tausende alles und fliehen. Die Prediger werden als ihre Verführer angesehen und infolgedessen arretiert. Prediger werden am meisten beschuldigt. Sollten wir nicht angesichts dieser Tatsachen ins Gebet eintreten und den großen Gott, der die Geschicke der Menschen lenkt, anrufen, bitten, dass Er das Los dieser Betroffenen bald wenden möchte? Viele sind, wie mir berichtet wurde, in einer verzweifelten Lage. Sie fragen wie einst der Prophet Nehemia: „Hüter, ist die Nacht bald hin?“ Wie wäre es, wenn wir vereint für sie beten wollten? Würde Gott nicht antworten? Oh ja, Gott würde antworten. Er hat das zu allen Zeiten getan und sein Volk aus den größten Bedrängnissen herausgeführt. Und Jesus selbst sagt: „Wenn sie euch in einer Stadt verfolgen werden, so fliehet in die andere.“ Gilt das nicht auch heute? Allen Kindern Gottes, denen es gelungen ist, nach Kanada oder den Vereinigten Staaten zu kommen, wo sie in Ruhe und ungestört ihres Glaubens weiterleben können, möchte das Loblied der Kinder Israels, 2. Mose 15, 1-3, in dauernder Erinnerung sein und bleiben.
Allen Verwandten und Bekannten gebe ich hiermit meine gegenwärtige Adresse: Heinrich Thielmann, Mönchengladbach, Rheinland, Bibelschule, Deutschland.
1929-12-18
Im obigen Bericht steht, das Russland "willig" gewesen wäre, die in Moskau versammelten Mennoniten rauszulassen, wenn Kanada seine Türen geöffnet hätte.
Im folgenden Text lesen wir den Standpunkt einer christlichen Zeitschrift in Kanada:
Die Not unserer Brüder in Russland
Die Welt wird heute erschüttert durch die Berichte, die über die verzweiflungsvolle Lage unserer Brüder in Russland gebracht werden. Die Beschreibung von ihrer grauenhaften Bedrückung und ihrem Elend bilden die Sensation der Gegenwart. Vom deutschen Konsul in Moskau, wie wir annehmen, wird die deutsche Regierung verständigt über das grausige Beispiel, das sich vor den Toren Moskaus abspielt, wo ausgeplünderte, hungernde, an den Rand der Verzweiflung geführte Menschen sich zu Tausenden ansammeln, um bildlich zu sprechen, die Tore ihres Gefängnisses zu sprengen und in die Freiheit zu gelangen, und nach unerträglicher Bedrückung einmal wieder, wie ein Schreiber sich ausdrückt, „atmen“ zu können.
Die deutsche Regierung mit Hindenburg an der Spitze wird tief ergriffen von dieser Not und schenkt ihr so viel Beachtung, dass sie nicht nur selber in kurzer Zeit beinahe eine Million Mark zur Unterstützung der Flüchtlinge darreicht, sondern auch das ganze deutsche Volk auffordert, sich an der Hilfeleistung zu beteiligen. Und das deutsche Volk selber wird ergriffen von dieser Kunde. Eine innere Empörung regt sich in seinem Herzen über die unvernünftige, grausame Behandlung jener Stammesgenossen durch die bolschewistische Regierung.
Über Riga, Berlin und Kiel kommen Nachrichten, die alle in derselben Tonart geschrieben sind und sich höchstens noch in der Aufdeckung neuer Unmenschlichkeiten und in der Schilderung neuer Elendserscheinungen voneinander unterscheiden. So unmenschlich erscheint dem Volke solche Behandlung von friedliebenden Bürgern, dass Telegramme über Länder und Meere geschickt werden, die die Völker in Staunen versetzen sollen über das, was im zwanzigsten Jahrhundert auf Gottes Erdboden geschieht.“
Und wie berührt das die Glaubensgenossen jener Verfolgten, der Mennoniten in Amerika?
Man hatte ja hier schon seit geraumer Zeit Berichte erhalten von den Bedrückungen, denen unsere Glaubensgenossen in Russland ausgesetzt waren, und war daran, neue Maßnahmen zu ihrer Versorgung zu machen, aber die Kunde, dass die Not so hoch gestiegen war, dass es ein allgemeines Flüchten aus dem Land des Elends gab, fuhr doch wie ein Schrei durch unsere Reihen, so dass man hier und da nicht gleich wusste, wie mit einer geeigneten Hilfeleistung beizuspringen.
Die Brüder in den Vereinigten Staaten verstehen sich aber besser auf das Organisieren als die Brüder in Kanada. Während man hier noch keine Stellung nahm zu der Hilfeleistung der Flüchtlinge in Harbin, haben sie dort schon Gelder zusammengebracht, nicht nur zur Versorgung jener Unglücklichen, sondern auch zur Bezahlung der Kosten der Übersiedelung nach Amerika, so dass der erste Trupp derselben dieser Tage schon in Amerika landen soll.
Und trotzdem sie geglaubt haben mögen, dass das Aufbringen des Reisegeldes für die Hunderte von Flüchtlingen schon ihre Kräfte stark in Anspruch nehmen würde, erklären sie sich bereit, noch neue Anstrengungen zu machen, um der Not zu begegnen, die sich vor Moskaus Toren angesammelt hat.
Alle Richtungen der Mennoniten wollen wieder zusammenarbeiten und ihre Komitees treten zusammen, um über Mittel und Wege zu beraten. In Kanada fehlt uns eine solche zentrale Organisation, die führend und ratend auftritt. Gewiss gibt es hier viel, wenn auch leider noch nicht allgemeine Teilnahme mit dem Schicksal unserer unglücklichen Glaubensgenossen, aber die Ansätze zum energischen Handeln werden nur noch vereinzelt gemacht. Herbert geht mit gutem Beispiel voran. Hoffentlich werden andere Kreise bald folgen.
Die Not unserer Brüder ist groß, und die Zukunft liegt weiterhin dunkel vor ihnen. Eine schnelle Kundgebung unserer Teilnahme würde sie sehr aufrichten und stärken.“
Und fragen wir weiter, wie sich Kanada den Heimatlosen gegenüber nimmt, die heute an seine Tür klopfen und um Aufnahme bitten.
Da mitten die Unglücklichen noch zu allen bitteren Erfahrungen die Enttäuschung erleben, dass man ihnen hier in bösartiger Weise sagt: Bleibt, wo ihr wollt, wir wollen euch nicht! – Wer hätte vor zehn oder fünf Jahren gedacht, dass Kanada solche Sprüche führen könnte? Gestern noch war dieses Land ein Zufluchtsort für alle Armen und Bedrückten. In allen Ländern wurde geworben um Immigranten. Nicht genug derselben konnten ins Land gebracht werden. Als vor einigen Jahren 19.000 Mennoniten hier einwanderten, regte sich keine Stimme gegen sie, und Landagenten und Landbesitzer umschwärmten sie förmlich, um sie auf ihre unbebauten und vernachlässigten Ländereien zu bringen. Heute debattiert man über die Zulassung von 5.000 oder 10.000 Immigranten, für deren Unterhalt und Versorgung die besten Garantien gegeben werden, als ob Kanada untergehen müsste, wenn sie hier aufgenommen würden.
Zuletzt muss man doch sagen, dass ein böser, unduldsamer Geist unter die Menschen gefahren ist, der hier, wie auch anderswo, Glück und Frieden zerstörend wirkt.
Wie können wir unseren bedrängten Brüdern helfen? Die Hilfe kommt von Gott. Wir müssen alle demütig, gläubig und beharrlich zu Gott, unserem himmlischen Vater, für unsere Brüder beten. Als Petrus im Gefängnis war und die Gemeinde für ihn zu Gott betete, öffneten sich die Türen des Gefängnisses und Petrus war befreit. Gott kann auch heute noch Gefängnisse öffnen. Der wahre Beter lässt sich aber auch von Gott als Werkzeug für die Erfüllung seiner Gebete gebrauchen. Wir sollten auch in diesem Fall sagen: ‚Herr, was willst Du, dass wir tun sollen?‘ Dann wird uns Gott zeigen, wie wir Hilfe leisten können, sei es auf diese oder jene Weise.
Zum Beispiel: Wenn wir glauben, dass Kanada der beste Zufluchtsort für unsere heimatlosen Brüder wäre, dann könnte Gott uns vielleicht in unser Herz legen, dass wir versuchen sollten, die Hindernisse für die Zulassung unserer Brüder in Kanada aus dem Weg zu räumen. Und das würde bedeuten, die Meinung unserer Bevölkerung gegenüber den Mennoniten zu ändern.
Möchte doch Gottes Wille an und durch uns auch in dieser Sache zur Ausführung kommen!
H. H. Ewert,
Editorielles im „Mitarbeiter.
1929-12-18
Der Vorsitzende des MCC sendet folgenden Hilferuf. Dabei erwähnt er, dass 8 bis 10 Tausend Mennoniten sich in Moskau befinden:
Ein Hilferuf aus großen Nöten
Die Mennoniten in Rußland sind in großen Nöten! Sie haben weder Brot zum Unterhalt noch Kleider, um sich vor der Kälte zu schützen. Besonders ist dies wahr von acht- bis zehntausend mennonitischen Flüchtlingen, die in Moskau und Umgebung unter unbeschreiblichen Verhältnissen auf ihre Ausreiseerlaubnis warten.
Laut letzter Nachricht werden diese Flüchtlinge in diesen Tagen aus Moskau verwiesen werden, unter Verhältnissen, die ein Sowjetbeamter mit folgenden Worten bezeichnet haben soll: „Nackt seid ihr ins Land gekommen, und nackt sollt ihr auch hinausgehen.” Wo immer diese Hermiten auch vorläufig Unterkunft finden, wird es an auswärtiger Hilfe fehlen.
Der folgende Hilferuf wird sich selbst erklären. Wir möchten bitten, zu helfen, wer da kann. Da wohl fast jede Konferenz der Mennoniten ihr Hilfskomitee hat, dürfen die Gaben an den Kassenführer desselben gesandt werden; wem es aber besser passt, der darf auch direkt schicken an Levi Mumaw, Scottdale, Pa., der als Kassenführer des Mennoniten Zentral Komitees dient.
Mennonite Central Committee.
P. C. Hiebert, Vorsitzender.
1929-12-18
Hier lesen wir, was die Regierung des kanadischen Bundeslandes Saskatchewan die Frage der Einwanderung der mennonitischen Flüchtlinge auf die lange Bank schiebt:
Saskatchewan und die Einwanderungspolitik.
Die Provinzregierung von Saskatchewan hat eine Kommission ernannt, welche die Einwanderungsfrage studieren, untersuchen und darüber einen Bericht erstatten soll. Den letzten Anstoß dazu gab wohl die hier lebhaft diskutierte Frage, ob man die armen, flüchtigen Deutschen aus Russland in Saskatchewan zulassen solle.
Die konservative Regierung hat diese fleißigen, tüchtigen und brauchbaren Farmer glatt abgewiesen, gleichzeitig aber in Aussicht gestellt, sie werde eine Einwanderungskommission ernennen, welche das ganze Gebiet des Einwanderungsproblems prüfen solle. Nach den Ergebnissen der Kommissionsarbeiten will dann Dr. Anderson bei der kanadischen Regierung in Ottawa vorsprechen und versuchen, sie zu bewegen, die Einwanderung entsprechend zu regulieren.
1929-12-18
Es geht Weihnachten aufzu. Der Schreiber des nächsten Berichtes verbindet die Lage der Flüchtlinge mit Weihnachten:
Doch heute ist noch Gnadenzeit für ein jedes bußfertige Herz. Heute noch können wir Weihnachten feiern, heute noch können wir uns dem Herrn weihen, heute noch können, ja sollen wir die einladen, die noch ferne und draußen sind, Weihnachten zu erleben im wahren Sinne des Wortes.
Wir alle wissen, eh’s morgen ist, kann’s sich ändern. Und die Zeichen der Zeit, die Lage in Russland, die für den Antichristen unter Hochdruck vorbereitet wird, sagt uns in besonderer Weise, dass der Herr im Anzuge ist, seine Kinder in den Wolken heimzuholen in seine Herrlichkeit, und: „Selig ist der und heilig, der Teil hat an der ersten Auferstehung.“
1929-12-18
Ist's Dein Bruder?
Wann hatte unser Volk als Volk mehr Ursache zu beten als gerade heute, wo Tausende unseres Volkes im Untergang, im Elend, in einen bodenlosen Abgrund der Folter, der Qual, der unmenschlichen, ja teuflischen Folter blicken. Sie gehen den Weg der Märtyrer.
Wann begann der Zug der Tausenden nach Moskau? — Als der Sonntag abgeschafft wurde, als es hieß: Sendet eure Kinder in unsere atheistischen Schulen am Sonntag. Doch unser Volk in Russland gehorchte Gottes Befehl: „Du sollst Gott mehr gehorchen als den Menschen.“
Sie waren losgerissen von der alten Scholle, wo einst auch meine Wiege gestanden, die so schön, so unvergleichlich schön war, doch von Menschen, die keinen liebenden Gott anerkennen, zur Hölle gemacht, weil: „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich, und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.“
Bis die Atheisten, die nicht Buße tun und sich bekehren, die Worte erfahren werden: „Schrecklich ist's, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.“
Unser Volk drüben steht, ja schreit aus tiefster Not.
Was tun wir? Beten wir erhörlich? Und wirken wir, wie es der Herr von uns erwartet?
Würden wir betend seufzen, beten und als ein Volk auftreten, Großes könnte erreicht werden. Und unseres himmlischen Vaters reicher Segen würde die Bemühungen reichlich lohnen, uns zum Segen und unseren Lieben drüben zur Hilfe, nach der sie so sehnsüchtig ausschauen. Will doch der Sumpf sie verschlingen, in den sie immer tiefer sinken.
Ihre Stimme ist leise geworden, nur ihre Tat redet, dass die ganze Welt erschüttert hinausschaut. Ihr Atem geht kurz aus der zugeschnürten Brust, ihr Auge glanzlos durch die vielen Tränen, ihr Blick trübe durchs Elend. Denn wo bleibt das Rettungsseil, das wir ihnen zuwerfen sollen?
An uns gilt Jesu Aufgabe: „Lasset uns Gutes tun an jedermann, allermeist an des Glaubens Genossen.“ Und dort ist mehr als nur des Glaubens Genosse – ist doch auch meine jüngste Schwester mit Mann und zwei Kindern vor Moskaus Toren oder – Gott bewahre! – und meine älteste Schwester mit Mann und sieben Kindern stand vor der Abreise nach Moskau.
Wüssten sie und wir nicht, dass „wir haben einen Gott, der da hilft, und den Herrn, Herrn, der vom Tode errettet!“ – die Last könnte nicht getragen werden.
Die Last ist so schwer,
Und dunkel die Nacht,
Kein Schimmer der Hoffnung,
Kein Sternlein mir lacht.
1929-12-18
Die „Manitoba Free Press“ vom 14. Dezember berichtet, dass neun Emigrantenzüge mit Mennoniten durch Litauen auf dem Weg nach Deutschland durchgefahren seien – insgesamt über 5000 Personen. Diese waren erstaunt, als sie feststellten, dass Brot und Milch in Deutschland nicht rationiert seien, da ihnen in Russland gesagt worden war, ganz Europa leide Hunger.
Die Immigranten teilten mit, dass nicht nur die wirtschaftliche Notlage, sondern vor allem die Verfolgungen aufgrund ihrer Religion sie zur Auswanderung gezwungen hätten. Die „Tribune“ vom selben Datum bestätigt, dass 5000 Mennoniten durch Litauen gereist seien, während 2000 weitere in der Hoffnung zurückblieben, ebenfalls auswandern zu können. Rund 10.000 Mennoniten seien jedoch zurück nach Sibirien geschickt worden, von wo sie ursprünglich gekommen waren.
Eine Nachricht berichtet, dass eine Gruppe in Orel auf dem Weg nach Moskau aus dem Zug geholt wurde und unterzeichnen musste, dass sie zurückkehren, nicht auswandern wolle und niemals mehr den Versuch zur Auswanderung unternehmen werde.
Alle wollen und müssen wir mithelfen – betend, fürbittend dabei sein, hilfreich unsere schon etwas erstarkten Hände ausstrecken, unser Hab und Gut darbieten und die schweren leiblichen und seelischen Wunden unserer Brüder lindern und heilen helfen. Niemand darf beiseite stehen und müßig zuschauen. Jeder muss mit Hand anlegen an dieses schwere und verantwortungsvolle Werk.
1929-12-18
Am 20. November hatte das Komitee des nordamerikanischen Bundesstaates Dakota eine Sitzung und beschloss, folgende Empfehlungen unseren Gemeinden vorzulegen:
Empfehlungen und Beschlüsse der Süd-Dakota Mennonitischen Predigerkonferenz:
1. Empfehlungen:
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In jeder Gemeinde soll ein Komitee gewählt werden, dessen Aufgabe es ist, persönlich jedes Gemeindemitglied um Unterstützung für diese Hilfsbedürftigen zu bitten.
-
Jede Gemeinde soll die eingesammelten Gaben über ihren Konferenzkassierer an die zuständige Behörde für diesen Zweck einsenden.
-
In jeder Gemeinde soll so bald wie möglich eine Mitgliederversammlung veranstaltet werden.
2. Beschlüsse der allgemeinen Versammlung am 1. Dezember 1929:
-
Angesichts der großen Not wird gebeten, dass jede Gemeinde den Versuch macht, durchschnittlich mindestens 5,00 $ pro Gemeindeglied zu geben.
-
Die Gemeindekollektanten sollen in den nahegelegenen Städten in Geschäften und bei interessierten Personen Geld und Kleidung für diesen Zweck sammeln.
Aufruf:
Alle Prediger und Vorsteher der Gemeinden werden herzlich gebeten, dies den Gemeinden vorzulegen und durchzuführen.
Lasst uns im Licht der Worte unseres Heilandes handeln:
"Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan" (Matthäus 25,40).
Beten wir für die Leidenden und geben wir willig unser Scherflein!
Im Auftrag der Süd-Dakota Mennonitischen Predigerkonferenz:
Alfred Waltner, Vorsitzender
M. N. Kröker, Sekretär
1929-12-18
Bruder Töws schilderte die Lage der russländischen Mennoniten, ihre Sehnsucht, hinauszukommen, und die schweren Bedingungen, unter denen die Einreise nach Kanada erlaubt wird (völlige Gesundheit und in letzter Zeit auch noch der Besitz eines gewissen Kapitals), die eine massenhafte Einwanderung künftig erheblich einschränken werden.
Nach diesem Bericht wurden auch andere Länder als Auswanderungsziele in Erwägung gezogen, und von Bruder Töws wurde Paraguay als Möglichkeit vorgeschlagen. Angesichts der völligen Mittellosigkeit der russländischen Mennoniten kann eine Auswanderung nur dann erfolgreich sein, wenn eine tatkräftige finanzielle Unterstützung bereitgestellt wird.
1929-12-18
Eine neue Blutwelle zieht durch Russland. Fast täglich treffen Meldungen über Massenunruhen ein, und auch wenn dies offiziell nicht zugegeben wird, deutet es auf außergewöhnliche Vorgänge im Sowjetreich hin, das sich von der übrigen Welt weiterhin hermetisch abkapselt.
In einem Bericht des bekannten Ingenieurs Nikolaus Beffeches aus Moskau wird die völlige Liquidierung des Privathandels angekündigt. Das Ende der individuellen Wirtschaft, also eine neue (vielleicht blutige) Revolution in Russland, steht wohl bevor. Der Bericht, der aus Moskau von Anfang November stammt, erwähnt, dass die Privatgeschäfte aus dem Stadtbild Moskaus verschwinden; die Läden stehen leer und suchen Mieter. Es geht das Gerücht, dass innerhalb weniger Wochen der gesamte Privathandel liquidiert werden soll.
Nicht nur die Erschießung von Ingenieuren, Privathändlern und "Ehemaligen" wegen "ökonomischer Gegenrevolution" wird gemeldet, sondern auch Todesurteile gegen sogenannte Kulaken, gegen bäuerliche Widerständler. Fast täglich verschärft sich die Diktatur. Die Verhaftungen werden immer zahlreicher, und aus den Großstädten wird das unsichere Element entfernt. Auch innerhalb der herrschenden Partei selbst bleiben die Kämpfe nicht unbemerkt.
Das, was heute in Russland vor sich geht, ist eine neue Revolution – vielleicht noch blutiger, noch nervenaufreibender und menschlich schwieriger als die von Oktober 1917.
1929-12-18
Die letzten Nachrichten aus Russland zeigen täglich deutlicher den völligen Zusammenbruch der Getreidewirtschaft. Man plant, in einer Fünfjahresperiode die Landwirtschaft zu verstaatlichen, das heißt, den Eigenbesitz zu zerschlagen und die Bauern in großen Kolchosen unterzubringen, als Arbeiter, die Staatsgüter bewirtschaften sollen.
Neben diesem Menschenstrom, dieser Völkerwanderung, die sich aufgemacht hat, um dem Tod zu entfliehen, gibt es da Hunderttausende der Zurückbleibenden. An der Wolga, an der Schwarzmeerküste, in Sibirien, am Ural, auf der Krim.
Man will auch dort den 'freiwilligen' Eintritt der Bauern in die Kommunen erzwingen. Man macht es so: 'Die Tage sind kurz, der Bauer geht, um Beleuchtung zu sparen, schon früh schlafen. Um zehn Uhr nachts, aus dem tiefsten Schlaf heraus, holen ihn die Beamten der 'G.P.U.' aus dem Bett und schleppen den Taumelnden vor die Getreideaufbringungskommission. Dort wird ihm eröffnet: Du hast innerhalb von drei Tagen 2000 Pud Weizen zu liefern! Der Bauer beteuert, er habe nur 500 Pud überhaupt geerntet, da es ja in diesem Frühjahr an Saatgut gefehlt habe. Er wird angebrüllt, er hätte dann sein Vieh, sein Haus, seinen Hausrat verkaufen müssen, um Saatgut zu besorgen. Sein Verhalten beweise, dass er ein Konterrevolutionär wäre, ein Verräter am arbeitenden Volke. Wagt der Bauer dann noch zu widersprechen, so wird sein Ablieferungsquantum einfach um 1000 Pud erhöht. Der Bauer geht nach Hause, verkauft am nächsten Tage sein Vieh bis auf ein Pferd, fährt zu seinen Verwandten, der Nachbarschaft und bringt es vielleicht fertig, in drei Tagen die geforderte Menge Getreide zusammenzukriegen. Bei der Ablieferung erklärte ihm lächelnd der staatliche Ankäufer: 'Wenn du 3000 Pud liefern kannst, so wirst du auch noch weitere 500 Pud haben.' Nun kann der Bauer nicht weiter. Er muss das Getreide, das er aufgekauft hat, mit zwei bis drei Rubel für das Pud bezahlen — der Staat zahlt 90 Kopeken für das Pud. Am Stichtage erscheint die Tscheka und treibt ihn und seine Angehörigen aus dem Hause. Mitnehmen darf er nichts außer dem, was er auf dem Leibe trägt. Bei der Auktion darf niemand zu bieten wagen, der Besitz verfällt dem Staat, der Hausrat wird fortgeschleppt, das Haus verschlossen oder zerstört. Jetzt bleibt dem Bauer nur die Ackerbaukommune. Er und seine Frau gehen hin und zeichnen sich 'freiwillig' in die Landarbeiterliste ein. Sie kommen in die Landarbeiterbaracken; die Familie ist zerstört, sie leben wie das Vieh, die Kinder werden den Eltern fortgenommen, sobald sie entwöhnt sind, sie kommen in Kinderheime, wo sie entweder an Seuchen zugrunde gehen oder zu Kommunisten erzogen werden.
Aus anderen Berichten, die mir vorliegen und an denen nicht zu zweifeln ist, geht hervor, dass schon wenige Wochen nach der Ernte in den besonders heimgesuchten deutschen Dörfern in der Ukraine, in Westsibirien und an der Wolga kein Körnchen Weizen und Roggen mehr aufzutreiben war. Alle Schweine mussten bis auf ein einziges je Gehöft abgeliefert werden. Das Federvieh wurde geschlachtet. Obwohl die Ernte in Südrussland diesmal gut ist, weiß jeder, dass eine neue furchtbare Hungersnot bevorsteht, weil man das geraubte Getreide nicht einmal sachgemäß behandelt. Der Mais dampft auf den Sammelbahnhöfen und beginnt schon jetzt zu verfaulen. Der Weizen ist wie von der Erde verschluckt und verschwunden. Vielleicht hat man die Gewissenlosigkeit besessen, ihn trotz der drohenden Hungersnot der Bevölkerung in das Ausland zu verfrachten, um Geld für Propaganda zu bekommen.
Die Pastoren sind rechtlos und stimmlos, sie leben von der Mildtätigkeit. Um von einem Dorf in das andere, das Filial-Dorf, zu fahren, um dort zu predigen, müssen sie jedesmal in der Kreisstadt die Erlaubnis anmelden, sonst setzt es Geldstrafen, die die verarmten Dörfer nicht mehr aufbringen können. Diese Maßregel unterbindet praktisch den Gottesdienst im Nachbardorf. Der Gottesdienst findet nachts statt, da durch das Fünftagesystem, das die Woche abgelöst hat, alle Familienmitglieder zu verschiedenen Zeiten Feiertag haben — er wird absichtlich so gelegt, dass die Kinder zu anderer Zeit freien Arbeitstag haben als die Eltern. So besteht keine Möglichkeit, den Sonntag zu heiligen.
Verzweifelte Menschen haben gefragt, ob es überhaupt noch Christen auf der Welt gäbe, dass dieser ungeheuerliche Feldzug gegen das Christentum vor den Augen der Welt stattfinden könne.
So sieht die Wahrheit aus.
Die Christenheit in aller Welt muss wissen, dass sie dieser Christenverfolgung des Jahres 1929 nicht zusehen darf, ohne sich selbst aufzugeben.
1929-12-25