Die hutterischen Brüder
Wanderungen und Leid
Ich gebe hier wieder die Geschichte einer deutschen Hutterergruppe, die, anders als die deutschen Mennoniten, sich dem Hitlerregime nicht anpasste und auf Wanderung gehen musste.
Diese Geschichte wird in vielen Ausgaben ab dem 17. September 1941 in der Mennonitischen Rundschau erzählt.
Laut der mennonitischen Enzyklopädie GAMEO sind die Hutterer der österreichische Zweig der Täuferbewegung. Sie haben also den gleichen Ursprung der Mennoniten. Sie unterscheiden sich aber von uns durch einige grundlegende Aspekte wie z. B. die Gütergemeinschaft, die sie in der Apostelgeschichte, Kapitel 2, gegründet sehen. Sie leben in einem “Kommunismus der christlichen Liebe”. Dabei liegt der Schwerpunkt stets auf Verwaltung und brüderlichem Teilen, nicht auf der eigentlichen Gütergemeinschaft.
Dieses gemeinsame Verwalten und Teilen wurde 1529 eingeführt, also schon 4 Jahre nach dem Beginn der Täuferbewegung. Anders als die anderen Täufergruppen hatten die Hutterer die einzigartige Chance, ihr Gemeinschaftsleben im friedlichen Mähren (die heutige Tschechei) zu entwickeln, wo sie aufgrund ihrer slawischen Umgebung als Deutsche relativ isoliert vom Rest der Welt lebten. So entwickelte sich ein reiches Gruppenleben mit einem starken Bewusstsein für die eigene Geschichte.
Eine dieser Hutterergruppen liess sich in Deutschland nieder. Als 1933 Hitler an die Macht kam und alle evangelische Gruppen für sich gewinnen konnte, machten die Hutterer nicht mit und wurden ab dann von Hitler bekämpft.
Wie sich dieses ergab und welche Folgen das für diese uns nahestehenden Glaubensgeschwister hatte, erzählt die Mennonitische Rundschau wie folgt:
Die hutterischen Brüder
Im Jahre 1937 wurde in Deutschland der Gemeindehof der hutterischen Brüder (Rhönbruderhof genannt) von der (Hitler)Regierung aufgelöst. Die Motivierung war, daß die Kollektivarbeit der Bruderschaft sich nicht trage und der Hof zu sehr verschuldet sei. Die Brüder selbst sahen in der Auflösung einen Druck auf ihr Glaubensbekenntnis, da die Regierung auch ihre jungen Leute zum Militärdienst einzog. Sie wanderten nach England aus. Als der Krieg ausbrach, wurde ihre Lage dort allmählich unhaltbar — gerade wegen ihres Glaubensbekenntnisses. Sie hielten Ausschau nach anderen Ländern, besonders nach Canada, wo schon viele ihrer Glaubensbrüder eine Zufluchtsstätte gefunden hatten. Da ihnen aber die Einreise verwehrt wurde, zogen sie nach Paraguay und fanden freundliche Aufnahme bei unseren Mennoniten in der Kolonie Fernheim im Chaco. Ihnen wurde angrenzend an die Kolonie ein Stück Land zur Ansiedlung angeboten; hier könnten sie wieder völlig frei ihren Glauben leben. Die Hutterer jedoch zogen es vor, im Osten Paraguays anzusiedeln. 1941-09-17
Bericht über unsere Auswanderung nach Süd Amerika.
Geschrieben im Juni des Jahres 1941, nachdem wir auf 7 verschiedenen Schiffen in 7 Gruppen während der schweren Kriegszeit den Atlantischen Ozean durchfahren haben und glücklich in Buenos Aires gelandet sind.
Als im Jahre 1933 Adolf Hitler in Deutschland zur Regierung kam, fing für uns in Deutschland die schwere Notzeit an. Wir konnten uns nicht gleichschalten lassen, was damals von allen Kirchen, Gemeinschaften und Verbänden in Deutschland gefordert wurde. Zunächst sollte uns im Nov. 1933 die Jugenderziehung verboten werden. So haben wir ganz schnell und plötzlich Anfang Januar 1934 unsere schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen über die Schweizer Grenze gebracht, wo sie in einem Kinderheim zuerst untergebracht wurden. Dann erforderte es die Not der Gemeinde, ihnen einen endgültigen Platz zu suchen.
Da es in der Schweiz bekannt geworden war, daß wir keinen Militärdienst tun würden, teilte man uns mit, daß sie an solchen Leuten schon genug im Lande hätten, u. nicht mehr solche Leute haben wollten. Wir sollten spätestens nach einem vierjährigen Aufenthalt das Schweizer Gebiet verlassen. Eberhard (der Leiter der Gemeinschaft) hatte sich Ende Oktober 1933 einen sehr komplizierten Beinbruch zugezogen und war operiert worden und war noch ganz unter Gips, durfte aber mit seinem Gipsverband anfangen zu laufen. Die Gemeinde sandte nun Eberhard und mich (Emma, die Erzählerin dieser Geschichte, ist die Frau des Leiters) gemeinsam aus, um einen neuen Platz ausfindig zu machen.
Wir fuhren am 26. Feb. 1934 über Konstanz nach Trogen, wo unsere Kinder in dem schon erwähnten Kinderheim von Anna Schmidt untergebracht waren. Von da besuchten wir die alte Mutter Mathis, wo unser Hans Hermann wegen einer Lungenerkrankung weilte und holten ihn dort ab. Dann fuhren wir in das kleine Fürstentum Liechtenstein. Eberhard hatte schon vom Rhönbruderhof aus eine innere Weisung bekommen, daß wir dort eine vorläufige Unterkunft finden würden.
Uns wurde von dem Kurhaus Silum erzählt, welches etwa 1500 m hoch über dem Meeresspiegel gelegen ist. Wir fuhren im Schlitten den hohen Berg hinauf. Es war den ganzen Winter über niemand oben gewesen. Wir fuhren durch große weiße Schneeflächen, und unsere Pferde sanken oft bis zum Bauch in den Schnee und mußten ausgeschaufelt werden, damit wir überhaupt weiter konnten. Es war eine sehr beschwerliche Reise, aber wir fanden da gut Raum für eine Schar von 50—60 Seelen. Ohne die Geldmittel für die Pacht in der Hand zu haben, von der Not der Stunde getrieben, pachteten wir das Kurhaus mit guten Alpenwiesen, welche für Viehzucht geeignet waren. Zu unserem Schrecken erfuhren wir von dem Verpächter, daß er sofort die Hälfte des Geldes haben wollte.
Am nächsten Tage besuchten wir eine alte Kranke, Julia Lerchy, im Hospital zu Chur. Sie war im Sommer vorher als Gast auf unserem Bruderhof gewesen, und war sehr bewegt worden durch das Gemeinschaftsleben. Sie bat uns, sie nochmals am Nachmittag zu besuchen. Als wir von ihr dann weggingen, übergab sie Eberhard einen Briefumschlag. Nachdem wir hinausgegangen waren, öffneten wir denselben und fanden eine Summe von 5.500 Fr. darin. Wir schickten sofort Hans Bumpe für den Rhönbruderhof 4.000 Franken, da die Geschwister dort in rechter Not waren und behielten die Summe von 1.500 Franken als erste Hälfte der Jahres-Rente für die neue Heimat.
So konnte denn der Umzug nach Liechtenstein vor sich gehen, und nach und nach kamen alle dazu, die auswandern mußten.
Ein Jahr später wurde die allgemeine Wehrpflicht in Deutschland eingeführt, und da mußten auf einmal plötzlich in der Nacht vom 16.—17. März 1935 17 junge Leute fliehen. Da wir nicht genug Geldmittel hatten sie mit der Eisenbahn reisen zu lassen, fuhren die Brüder zu zweit per Rad auf verschiedensten Wegen, und zwar mußten sie 100—500 km zurücklegen.
Am 14. April 1937 wurde dann unser Rhönbruderhof von der Geheimen Staatspolizei aufgelöst. Da wir auf dem Almbruderhof nur noch ganz wenige unterbringen konnten, fuhr die größere Gruppe, über 30 an der Zahl nach England. Es war da im Jahre 1936 von einigen wenigen Brüdern ein Bruderhof angefangen. Es handelte sich um 8 junge deutsche Brüder, die den Militärdienst verweigert hatten, und auch nicht mehr in Liechtenstein geduldet wurden, da das kleine Land Liechtenstein mit dem großen Deutschland nicht in Konflikt kommen wollte.
Diese waren auf großen Umwegen mit viel Erschwernissen in England angelangt, was einmal in einem anderen Bericht beschrieben werden müsse. Im Laufe des Jahres siedelten dann noch mehr Geschwister, hauptsächlich vom Almbruderhof, dorthin über. Die Geschwister, die aus Deutschland auswandern mußten, wurden zunächst in Holland von den Mennoniten in dem von Kees Boeke gegründeten Bruderschaftshaus in Bilthoven untergebracht. Sie mußten so lange dort das Gastrecht in Anspruch nehmen, bis die Erlaubnis in England einzureisen, gekommen war. Dies dauerte 2 Monate.
Am 18. Juni 1937 durfte diese Gruppe dann abreisen und sich mit den Geschwistern in England auf dem Cotswold Bruderhof vereinigen. Im März 1938 vereinigte sich dann auch der Almbruderhof mit den Geschwistern in England, so daß ein recht starker Bruderhof in England war. Wir hatten einen recht starken Zuwachs in England.
Obgleich wir nur insgesamt 5 Jahre in England waren, verdoppelte sich die Gemeinschaft in dieser Zeit. Es wuchsen uns auch sehr tüchtige Leute zu, und manch bekehrter Neuling trat bei uns ein, der sein Hab und Gut und alles dahingab und verließ, um in Gemeinschaft zu leben. Viele hatten schwere Kämpfe mit den Verwandten auszufechten, weil sie lieber mit dem Volk Gottes in Einfachheit und Schlichtheit leben wollten, als dieser Welt Güter zu besitzen.
Der Cotswold Bruderhof teilte sich im Frühjahr 1939. Wir konnten 5 Meilen von unserem Bruderhof entfernt einen schönen neuen Platz erwerben, den Faffeyg Bruderhof, mit einem schönen, alten Gutshaus, das aus dem 8. Jahrhundert stammte. Es siedelte dann eine größere Schar dorthin über, zuerst die landwirtschaftliche Gruppe ins Farmhaus und später die Schule ins Guthaus. Es waren insgesamt etwa 90 Seelen, während auf dem Cotswold Bruderhof noch etwa 175 Seelen verblieben waren. So wuchs die Gemeinschaft innerlich durch den Zuzug erweckter Neulinge und äußerlich, dass uns manches zuströmte. Der Cotswold Bruderhof konnte schon aus- und aufgebaut werden. Auch auf dem Faffeyg Bruderhof wurde in dem ersten Jahre ein schöner Ess-Saal eingebaut, und verschiedene andere bauliche Veränderungen vorgenommen.
Die englische Regierung war uns sehr freundlich gesonnen und förderte unsere Arbeit. Da brach im September 1939 der Krieg aus, der sich zunächst nicht so bemerkbar machte. Wir hatten einen schönen Gemüse-Verkauf in den benachbarten Städten eingerichtet und versuchten auch durch täglichen Milch- und Kleinverkauf uns eine Ernährungsgrundlage zu schaffen, was uns auch gelang.
Aber im Frühjahr und Sommer 1940 begann der Neid und Hass der Nachbarn zu wachsen. Es war dies besonders deshalb, weil wir so viele Deutsche unter uns hatten, und weil auch die englischen Brüder den Militärdienst verweigerten. So geschah es, daß wir sehr bedroht wurden von der benachbarten Bevölkerung. Es fanden nicht oft offizielle Hausdurchsuchungen statt, und man bedrohte uns mit Erschießen. Es wurden viele gehässige Artikel in den Tagesblättern gegen uns veröffentlicht, und man forderte die Regierung auf, uns in ein Konzentrationslager bringen zu lassen, da wir sicher Spione seien.
Die englische Regierung, die uns gut gesonnen war, versuchte lange Zeit uns zu halten, aber die Wut und der Hass der Bevölkerung stieg immer mehr. Andererseits kamen aber auch noch Menschen zu uns, die sich mit uns vereinigen wollten. Hardi und Arnold Mason (leitende Brüder der Hutterer) waren fast jede Woche ein oder mehrere Male auf der Home Office in London, um unsere Lage zu klären, aber sie spitzte sich immer mehr zu. Schließlich wurde uns die Alternative gestellt, ob wir in Gefangenschaft kommen oder auswandern wollten. So entschlossen wir uns zu letzterem.
Unser Wunsch, uns mit den Brüdern in Nord Amerika zu vereinigen, wurde uns nicht erfüllt. Trotz vieler Kabel und Bitten doch alles zu tun, damit wir herüberkommen könnten, wurde schließlich von der Regierung in Ottawa, Canada unsere Bitte abgelehnt mit der Begründung, daß keine hutterischen Brüder während der Kriegszeit in Canada Einlaß bekommen könnten.
Da es uns unmöglich erschien, eine Verbindung mit den Brüdern zu bekommen, und die Verständigung sehr schlecht war, erbot sich unser Bruder George Vigar, eine Stellung als Schiffsgeschirr-Abwäscher anzunehmen, um mit den hutterischen Brüdern über unsere Einwanderung zu verhandeln. Aber alle Bemühungen nach Canada auszuwandern, schlugen fehl.
Es wurde auch immer schwieriger für Deutsche, England zu verlassen. Schließlich bekamen wir aber doch die Genehmigung, ausreisen zu dürfen, falls wir in irgend einem Lande eine Einlaßmöglichkeit bekommen könnten. Man hatte schon Schiffsplätze für uns für den 17. und 31. Juli frei gemacht, die sonst sehr schwer zu bekommen waren, aber wir bekamen ja keine Einreiseerlaubnis nach Canada.
Schließlich gelang es Hans Meier, der unterdessen zum Diener am Wort eingesetzt war, und auch Guy Johnson, einem englischen Bruder, eine Einreiseerlaubnis nach U.S.A. zu bekommen. Sie wurden am 31. Juli nach einer Abschiedsversammlung in der Gemeinde abgefertigt und verließen auf unbestimmte und ungewisse Zeit England. Hans Meier trennte sich von seinem Eheteil mit 6 kleinen Kindern. Er wußte nicht, ob er in England wieder würde einreisen können. Guy Johnson verließ seine junge Frau mit einem dreiviertel Jahr alten Söhnchen.
Auch diese Reise war äußerst gefahrvoll, da täglich (von deutschen Kriegs)Schiffen torpediert wurden. Wie froh waren wir, als wir Mitte August die Nachricht erhielten, daß beide glücklich in New York gelandet waren. Ihre Bemühungen, daß wir in U.S.A. einwandern dürften, wurden auch nicht mit Erfolg gekrönt, obgleich sie bis zu den höchsten Spitzen, wie zu der Frau des Präsidenten Roosevelt gelangen konnten. Man wollte die Deutschen und Holländer nicht einreisen lassen, während für die Engländer und Schweizer günstigere Aussichten bestanden.
Durch den Mennonitenführer Orrie Miller (USA), mit dem wir uns schon von England aus in Verbindung gesetzt hatten, bekamen wir Erlaubnis, in Paraguay, besonders im Chaco, einreisen zu dürfen. Die Bedingungen schienen uns sehr günstig zu sein: frei von Militärdienst, 10 Jahre Zollfreiheit mit Einführung aller Geräte und Sachen und auch Einreiseerlaubnis für Kranke. Dies waren die Punkte, die uns besonders für Paraguay bestimmten.
Wir verschafften uns Bücher über Paraguay und den Chaco, die nicht besonders günstige Nachrichten, besonders über den Chaco brachten, aber unsere Lage hatte sich so zugespitzt, daß wir in der Bruderschaft beschlossen, die offene Tür, die uns geboten wurde, anzunehmen. Insbesondere ermutigte es uns, daß schon Mennoniten dort angesiedelt waren (seit 15 Jahren), und wir glaubten, daß durch ihre Ansiedlung die Gefahren, die uns von Paraguay berichtet wurden, schon eingedämmt seien.
Wir schrieben dann an Hans Meier und Guy Johnson, daß wir die offene Tür annehmen wollten, und fragten an, ob nicht ein Pioniertrupp erst reisen müßte. Hans M. kabelte zurück, daß dies nicht nötig sei, da die Mennoniten ja schon das Land ausgekundschaftet haben. So versuchten wir, besonders Arnold Mason und Hardi (leitende Personen der Hutterer), durch verschiedenste London Reisen alles nötige zur Auswanderung nach Paraguay zu beschaffen. Dies war besonders dadurch erschwert, da durch Bombardements von London oft die betreffenden Stellen nicht so schnell zu finden waren. So hatten sie viele Wege in London, um die Pässe, Visas, Schiffsplätze usw. zu bekommen.
Das erste Schiff, das nach Buenos Aires fahren sollte, sollte am 5. Okt. fahren. Von Woche zu Woche wurde aber die Reise durch die Behörden verschoben. Schließlich schien es so, als ob es überhaupt nicht mehr möglich sein würde, auszureisen, da alle Schiffe mit den billigen Plätzen beschlagnahmt wurden. Es durften nur noch ganz teure Schiffe fahren. Das war ein harter Schlag für uns, da wir spürten, und es uns auch mitgeteilt wurde, daß wir nicht mehr in England bleiben konnten. Andererseits sollte die Reise doppelt und dreifach so teuer kosten.
In einer sehr ernsten Bruderschaft wurde nun beschlossen, daß wir jedes Schiff und jeden Platz, der uns angeboten wurde, nehmen wollten. Schließlich wurde die Reise auf den 25. November festgesetzt. Wer sollte nun in der ersten Gruppe fahren? Erstens sollte Hardi fahren und dann Fritz Meissner, der die meisten Erfahrungen für den Aufbau eines Bruderhofes besitzt, ferner Adolf Braun, der früher städtischer Landmesser in einer größeren Stadt Deutschlands gewesen war, ehe er auf den Bruderhof kam. Er sollte die Vermessungsarbeiten u. die Häuserprüfung auf dem neuen Gelände machen. Dann sollten noch etliche Brüder für die ersten Aufbauarbeiten mitfahren. Vom gesundheitlichen Standpunkt aus wollten wir die jungen Mütter mitnehmen, die Anfang des Jahres ein Kindlein erwarteten. Für diese sollte ich mitfahren.
(Es werden nun die Namen einer Reihe Auswanderer genannt). Auch unser Arzt Cyril Davies, ferner Phyllis Bateman, die gute Erfahrungen in diesem (tropischen)Klima gemacht hatte, und schließlich Maria Ecroyd, die die spanische Sprache beherrschte, und dann fuhr noch Walter mit, ein adoptiertes Kind meiner im Jahre 1932 verstorbenen Schwester Else von Hollander. So waren wir 20 Brüder, 20 Schwestern und 41 Kinder. Wir wußten sehr genau, welch schwere Reise vor uns lag. Der Abschied von allen Geschwistern wurde uns sehr schwer, wußten wir doch nicht, ob wir alle wieder sehen würden, und ob wir alle wieder vereinigt werden würden, und hatten wir doch von den schweren Schiffsverlusten und Torpedierungen im Atlantischen Ozean gehört.
Unsere Abreise fand gerade in den Tagen statt, als vor 5 Jahren unser erster Diener am Wort und Wortführer, mein Eheteil Eberhard Arnold uns durch den Tod entrissen wurde (sein Beinbruch hatte nicht ausgeheilt werden können und durch die vielen Mühen geschwächt, zu seinem Tod geführt). So war unsere Stimmung eine recht ernste. Wir befahlen uns dem Schutz und Schirm Gottes und wurden in einer Abschiedsversammlung, die am Sonnabend, den 13. November abends stattfand, von der Gemeinde abgefertigt.
Am Sonntag vormittag gingen wir noch einmal rund um den ganzen Cotswold Bruderhof und sahen uns noch alle lieb gewordenen Stätten an. So gingen wir auch noch einmal auf den Totengarten, wo unser alter Vater Watkins, unsere Schwester Gertrud Dyroff und kleine Kinder liegen, darunter auch das erste Kind unseres Henri Arnold, Emmy Marie Arnold, die nur 14 Wochen alt abgerufen wurde. So gegen 11 Uhr kamen zwei große Busse auf unseren Cotswold Bruderhof. Wir stiegen ein und fuhren nach dem Bahnhof Kemble, von etlichen unserer Geschwister, die zurückbleiben mußten, begleitet. Der Zug, der uns nach Liverpool bringen sollte, war extra für uns bestellt. Unsere Geschwister sangen uns noch auf dem Bahnhof ein schönes englisches Weihnachtslied: Angels from the realms of glory Wing your flight over all the earth Ye who sang creation’s story Now proclaim Messiah’s birth: Come and worship, Worship Christ the new-born King. 1941-08-27
(Engel aus den Reichen der Herrlichkeit fliegen über die ganze Erde. Ihr, die ihr die Geschichte der Schöpfung besungen habt, verkündet nun die Geburt des Messias: Kommt und betet an, betet Christus an, den neugeborenen König.)
Es wurde unter großer Bewegung gesungen, während sich der Zug in Bewegung setzte. Unsere Geschwister hatten uns auch mit Lebensmitteln versorgt, die unser Diener am Wort Stanley Fleischer, unser zweiter Halter Arnold Mason und unser Kassierer Alfred Knechtel an alle verteilten.
Als wir in Birmingham, einer größeren Stadt Englands, ankamen, sahen wir schon die Schäden, die durch die Luftbombardierungen angerichtet waren. So fuhren wir denn weiter, bis wir spät abends in Liverpool ankamen. Liverpool hat auch viele Luftangriffe gehabt, aber in jener Nacht, als wir dort bleiben mußten, war alles ganz ruhig. Nicht im mindesten merkten wir etwas vom Kriege. Am andern Morgen, nachdem wir etwas gefrühstückt hatten, kamen wieder Busse, die uns nach dem Hafen brachten.
Es war ein recht nass-kalter Novembertag, und wir mußten lange in einer Halle warten, bis wir abgefertigt waren. Am Nachmittag gegen halb ein Uhr durften wir das große Schiff, die „Andalusia Star“ besteigen. Es war ein wehmütiges Gefühl, als wir den ersten Schritt auf das Schiff taten, da wir ja nicht wußten, ob wir jemals wieder Land sehen würden. Das Schiff war ein recht vornehmes. Wir wurden sofort zum Essen eingeladen, und es gab sehr viel.
Unsere Geschwister Arnold, Gladys und Stanley hatten uns bis in den Hafen gebracht. Sie waren während des Mittagessens weggegangen und kamen dann wieder zurück. Als dann um 3 Uhr das Schiff sich in Bewegung setzte, gingen wir noch einmal auf Deck und sahen unsere Geschwister uns zuwinken. Wir nahmen von ihnen unter Tränen Abschied.
Gegen 5 Uhr tutete es dreimal lang und laut, und man sagte uns, daß wir uns in zwei verschiedenen Räumen versammeln sollten. Außer uns waren noch ebenso viel andere Passagiere an Deck. Es waren vornehmlich jüdische, deutsche und andere Emigranten, die nach Süd-Amerika auswandern wollten. Als wir uns in dem Saal versammelt hatten, kam der Kapitän und sagte uns, daß wir wohl wüßten, daß wir eine sehr gefährliche Reise angetreten hätten, und daß wir Tag und Nacht unsere Rettungsjacken bei uns tragen müßten (denn deutsche Unterseeboote durchfuhren den Atlantik und versenkten viele Schiffe). Dann wurde uns gesagt, daß wir uns alle sofort versammeln müßten, wenn das Schiff dreimal laut gepfiffen hätte. Auch wurde uns verboten Licht durch Fenster oder Türen scheinen zu lassen, oder auf Deck Licht zu machen. Alle Türen sollten geschlossen werden, und es wurde uns geraten, in Kleidern zu Bett zu gehen.
So fuhren wir denn zuerst ziemlich nördlich an der schottischen Küste entlang (Richtung Nordpol). Es war sehr stürmisch und kalt, sodass ein gut Teil von uns seekrank wurde und nicht bei Tisch erscheinen konnte. Viele lagen in Decken eingehüllt auf Liegestühlen auf dem Deck, weil es ihnen in der frischen Luft besser ging, als in den Kabinen. Für die allerkleinsten Kinder wurden Dienste eingeteilt, sodass jede Schwester am Tage einige Stunden eine Kindergruppe zu beaufsichtigen und zu beschäftigen hatte. Auch die Brüder beteiligten sich daran. Einige Tage schaukelte das Schiff recht beträchtlich.
Eine große Aufregung gab es einige Male unter den Mannschaften und auch unter den Passagieren, als am Horizont ein Schiff sichtbar wurde. Oft sah man Lichtzeichen, die sich die Schiffe geben. So fuhren wir denn eine Woche unter großer Gefahr. Wir beschauten uns des Abends öfters unseren nördlichen Sternenhimmel, weil wir wußten, daß wir von ihm nun Abschied nehmen mußten. Der große Bär oder Wagen stand im Norden am Himmel hinter uns, und wir sahen ihn mit großer Bewegung versinken. Als wir eines Abends nach etwa einer Woche Fahrt auf Deck gingen, kam uns ein milder Frühlingswind entgegen, und wir merkten bald, daß wir schon ein ganz Stück südlicher gefahren waren. Etliche von unseren Geschwistern haben auch große Haifische gesehen, aber alle sahen wir die fliegenden Fische, die mit einem Sprung aus dem Wasser kamen und wieder zurückflogen. Auch sahen wir am Abend die leuchtenden Fische, was uns alle sehr interessierte.
So fuhren wir denn immer weiter südlich, und es wurde immer wärmer. So etwa um den 8. Dezember herum müssen wir über den Äquator gekommen sein, denn es wurde sehr heiß. Am 12. Dezember erreichten wir den wunderbaren Hafen Rio de Janeiro. Es war uns wie ein großes Wunder, daß wir nach 17 Tagen das erste Mal wieder Land sehen konnten, und daß Gott uns so wunderbar auf dieser Reise behütet hatte. Am frühen Morgen standen schon alle auf Deck, und sahen das große Schiff sich immer mehr der Küste nähern.
Ein wunderbares Bild lag vor unseren Augen. Große Palmen ragten von den Hügeln herunter, und man sah gelbe Blütenbäume mit zartem Grün, auch viele südliche Pflanzen und Gewächse, die wir bis dahin noch nicht gesehen hatten (sie sahen zum ersten Mal im Leben die tropische Natur, wo z.B. die Blätter der Pflanzen viel grösser sind als in Europa). Stundenlang konnte unser Schiff nicht anlegen, sondern wurde mitten auf dem Wasser im Hafen verankert, da sehr viele andere Schiffe dort gelandet waren.
Was für ein großer Jubel und Freude war es, als uns ein Luftpostbrief von H. Vetter erreichte, der uns von Buenos Aires geschrieben hatte. Alle stellten sich um Hardi herum, der diesen Brief vorlas. Hans Meier, von dem wir auch wochenlang keine Nachricht hatten, berichtete uns von seiner Reise von New York und Ankunft in Paraguay. Er teilte uns mit, daß Guy Nonnenmacher auch in diesen Tagen ankommen würde und zwar mit dem Dampfer „Uruguay“.
Während wir nun die Küste und alle Schiffe mit dem Fernglas beobachteten, rief plötzlich einer unserer Brüder aus, daß gerade ein amerikanisches Schiff gekommen sei, und daß er deutlich den Namen „Uruguay“ erkennen würde. Wir konnten es kaum glauben, daß nach fast 4 1/2 monatlicher Trennung wirklich unser Bruder Nonnenmacher sich auf jenem Schiff befinden sollte, und daß nun unser Wiedersehen, ohne daß wir von einander wußten, hier in Rio de Janeiro stattfinden sollte. Hardi war von dem brasilianischen Konsul, der zufällig an Bord war, aufgefordert mit ihm zur Regierung zu gehen wegen der Möglichkeit einer Niederlassung in Brasilien. So wurde Hardi mit dem Konsul mit einem kleinen Boot abgeholt.
Nachdem Hardi diese Dinge erledigt hatte, lief er zum Dampfer „Uruguay“. Er bat den Passagier Guy Nonnenmacher sprechen zu können, und wirklich unser Guy war auf jenem Schiff. Eine Stunde später sahen wir gegen unser Schiff ein Boot ankommen, und als wir näher hinschauten, sahen wir unseren Guy darin, der die Geschwister und besonders sein Eheteil Eleanor und seinen Buben Timothy wenigstens von der Ferne begrüßen wollte. Der Dampfer „Uruguay“ fuhr dann bald wieder ab, und unser Schiff konnte dann an Land fahren. Es war gegen abend.
Durch freundliche Vermittlung durften wir alle an jenem Abend einige Stunden an Land gehen, um die Stadt Rio de Janeiro anzusehen. Wir gingen in verschiedenen Gruppen, die vorher eingeteilt worden waren. Rio de Janeiro ist eine wunderschöne südliche sehr saubere Stadt (das kann man sich heute kaum vorstellen). Aber da war alles zu sehen: Weiße, Neger, Chinesen, ja alles, was man sich nur denken kann. Wir staunten nur so (Rio war damals die Hauptstadt Brasiliens und es gab damals schon ein grosser Völkergemisch in Rio).
Obgleich unser Schiff erst am anderen Tage am Nachmittag abfahren sollte, durften wir nicht mehr noch einmal an Land gehen. Am 13. fuhren wir dann von Rio de Janeiro wieder ab und waren am 15. in Santos. Dort trafen wir wieder den Dampfer „Uruguay“ und konnten wieder nicht landen, sondern blieben im Wasser stehen. Es wurde aber etlichen von uns erlaubt wieder an Land zu gehen. So fuhren wir denn mit einem Motorboot ans Ufer. Hardi, Edith, Fritz, Hans Hermann, Gertrud, Eleanor und ich. Der Hafen von Santos war nicht so sauber und schön, wie der Hafen von Rio de Janeiro.
Man sah auch verschiedene Völker und Rassen als Hafenarbeiter. Besonders wurde dort Kaffee verladen und Baumwolle, aber auch Zuckerrohr und andere südliche Gewächse konnten wir sehen, was uns sehr interessierte. Wir gingen dann zum Dampfer „Uruguay“, der noch dort lag; und fragten nach unserem Guy, der auch an Land durfte, und nun mit uns in die Stadt ging. Das war eine Bewegung und eine Freude und ein wunderbares Wiedersehen, und wir hatten uns so viel zu erzählen und zu fragen, auch nach unseren hutterischen Brüdern, die ja Guy besucht hatte.
Leider durfte Guy nicht mit auf unser Schiff, noch durfte Eleanor auf das amerikanische Schiff. Es waren zu viel Schwierigkeiten, die nicht in wenigen Stunden gelöst werden konnten. So blieben denn Hardi, Fritz und Eleanor mit Guy zusammen bis 2 Uhr nachts, wo die „Uruguay“ sich wieder in Bewegung setzte, während Edith, Hans Hermann, Gertrud und ich gegen 11 Uhr wieder mit einem Boot zu unserem Schiff fuhren.
Es war ein wunderbares Bild für uns, die wir nun schon über ein Jahr in einem Kriegslande waren, daß abends ein Schiff beleuchtet werden durfte, und daß wir auch vom Hafen so viele Lichter sahen. Auch schwirrten nicht mehr so viele Aeroplane oder Bombenflugschiffe über unserm Haupt, und alles war ruhig und still, als wenn es gar keinen Krieg in der Welt gäbe.
Wir fuhren dann am 16. weiter und waren am Morgen des 17. in Montevideo. Da hatten wir auch wieder Zeit und Erlaubnis an Land zu gehen und kauften uns einige sehr notwendige Sachen für das Tropenklima. Es war eine sehr große Hitze, und wir mußten uns immer wieder daran erinnern, daß es Dezember war und Weihnachtszeit. Hier war recht heißer Hochsommer (denn Weihnachten war für sie Kälte, Schnee und kurze Tage).
Unser Gemeindegebet konnten wir auch nur ganz kurz halten, während der anderen Passagiere aßen, da die meisten Räume sonst immer besetzt waren. Aber wir konnten Gott doch einige Male von ganzem Herzen für die glückliche Behütung auf der Reise danken. Unser Schiffsarzt berichtete uns in einigen Stunden von den Gefahren in den Tropen und dem dortigen Klima. Die letzte Nacht, die wir auf dem Schiff waren, fuhren wir mit hellen Fenstern nach Buenos Aires, wo wir am Morgen des 18. Dezembers ankamen.
Nun hatten wir die schwere und gefahrvolle Reise überstanden und dankten Gott von ganzem Herzen. In Buenos Aires durften wir nicht vom Schiff herunter, sondern mußten 3 Tage bis zum 21. Dezember auf dem Schiff bleiben. Aber ganz wunderbar war es, daß wir Hans Meier zuerst, und dann aber auch Guy und Marie Rasmussen, die Schwester von Margret Meier und Trautel Dreher, die sich vor 7 Jahren nach Südamerika verheiratet hatte, in Buenos Aires wiedersehen durften, und alle drei durften auf unser Schiff kommen.
Mennonitische Rundschau vom 1941-09-03
Ihr werdet es euch gut denken können, welch große Freude es für uns war hier in diesem fernen und fremden Lande nun unsere Brüder und eine alte Bekannte, die uns schon auf unserem Rhönbruderhof besucht hatte und damals sehr für das Gemeinschaftsleben interessiert war, wieder zu sehen. Es war ein wirkliches Wiedervereinigungsfest, das erste, was wir hier hatten. Hans M. hatte noch viel zu besorgen und für unsere Weiterfahrt zu erledigen. Guy durfte auf dem Schiff bleiben und konnte somit sich mit seiner jungen ehelichen Schwester Eleanor und seinem Buben wieder vereinigen.
Am Samstag, den 1. Dezember, also nach fast vierwöchentlicher Reise, kamen wieder zwei große Busse, die uns zu dem Flußdampfer „Stadt Asuncion“ brachten. Wir mußten da eine ganze Weile in heißer Mittagshitze vor dem Schiff im Bus warten, bis uns die Nachricht wurde, daß wir das Schiff besteigen konnten. Nachdem wir nun im Bauch des Schiffes 48 Betten für 83 Passagiere mit Kindern zur Verfügung gestellt bekommen hatten, und uns einigermaßen dort eingerichtet hatten, ging das Schiff ab, und wir fuhren auf dem Fluß Parana, der später den Namen Paraguay bekommt, ins Land.
Es war eine sehr ruhige Fahrt, aber es war sehr, sehr heiß. Auf dem Schiff gab es viel Fleisch zu essen und wenig Gemüse. Auf unsere Bitte hin bekamen wir dann für unsere Kinder auch etliche Südfrüchte, Apfelsinen und Bananen. Auf dieser Reise hatten wir eigentlich keinen Hunger, sondern nur viel Durst und wünschten viel, viel zu trinken. So fuhren wir denn in großer Hitze der Stadt Asuncion zu, die wir am 1. Weihnachtstage, den 27. Dezember, erreichten (da muss man sich erst mal hineindenken, um ein wenig mitzuempfinden, wie diese Menschen aus einer Gegend kamen, wo es vor ein paar Wochen düster war, Null Grad Temperatur, ganz kurze Tage und nun überraschend nahe 44 Grad Temperatur aushalten mussten). Abends versammelten wir uns oft zwischen Kisten auf Deck und sangen Weihnachtslieder (auch "Leise rieselt der Schnee"?) oder hielten eine kurze Stunde, während wir von manchen Passagieren bestaunt wurden (Nirgendwo scheuen sie sich, Zeugnis ihres Glaubens abzulegen).
Am 25. Dezember waren wir also in Asuncion, wo etwa 106 Grad Fahrenheit oder 44—45 Grad Celsius waren. Am nächsten Tage wurde ein Boot mit einer Zeltplane verdeckt an das Schiff gehängt, was wir besteigen mußten. Dann wurde es von dem großen Dampfer abgetrennt, und ein kleiner Flußdampfer kam, an den sich unser Boot hängte. Unter dieser Zeltplane mußten wir 1½ Tage in größter Hitze bleiben. Es war besonders schwierig, da wir zunächst gar kein Getränk bekamen. Später machten wir uns selbst oder ließen uns von den in Asuncion gekauften Matetee ein erfrischendes Getränk aufbrühen. Abends versuchten wir uns innerlich daran zu erinnern, daß es Weihnachten wäre, und daß Christus der Menschheit den Frieden gebracht hat, einen Frieden zwischen Gott und den Menschen, wie der Engel bei der Geburt Christi gesungen hatte, aber noch immer ist der Krieg auf der Erde.
Hardi und Fritz hatten in jenen Tagen noch manches in Asuncion zu erledigen. Sie besuchten etliche Mennoniten, die dort wohnten und ließen sich von ihnen über Land und Leute und Sitten berichten (die paraguayischen Mennoniten lebten mittlerweile schon über 10 Jahre im Land und einige befanden sich in Asuncion, um Geld zu verdienen). Alfred und ich gingen am 27. Dezember vormittags durch die Hauptstadt von Paraguay, um uns die Läden zu besichtigen und alles, was man hier haben und kaufen kann.
Nachdem unsere Brüder alle am 27. Dezember auf der Polizei gewesen waren wegen ihrer Pässe und Fingerabdrücke, die dort gemacht wurden, setzte sich am Nachmittag, den 27. Dezember, das Schiff wieder in Bewegung. Es brachte uns nach zweitägiger Reise nach Puerto Casado. Unterwegs sahen wir am Ufer Krokodile in der Sonne liegen. Indianer warfen ins Boot Zitronen für uns, welche sehr wohltuend waren in dieser großen Hitze. Auch sahen wir ganz seltsame große Vögel: Störche, Reiher, Strauße und große Adler sahen wir in der Luft fliegen, auch andere ganz bunte Vögel, die wir noch nie gesehen.
1941-09-10
Am Sonntag, den 29. Dezember, kamen wir also in Puerto de Casado an. Es war ein schöner, sauberer Hafen, wo viele Leute standen, um uns anzuschauen. Ein Mann sagte uns, ob wir nicht kochen wollten, er habe etwas an einem Platz für uns zurechtgestellt. Alfred und Secunda gingen dorthin und fanden da einen halben Ochsen und Reis und Schiffszwieback. Wir wußten nicht, wer das für uns bestellt hatte, waren aber sehr erfreut, daß wir da etwas vorfanden und begannen gleich zu kochen.
Als wir darnach fragten, wo wir die Nacht schlafen könnten, wurde uns gesagt, daß wir hier am Hafen schlafen könnten. Das Schiff borgte uns noch etliche Matratzen, wo wir uns drauf legen konnten. Aber schon sahen wir am Ufer eine Schlange, und auch eine große Tarantel oder Vogelspinne kam gekrochen. Besonders gegen Abend schwirrten viele Insekten in der Luft, aber wir konnten ja nicht anders und mußten eben am Hafen bleiben und dort versuchen zu schlafen. Nun merkten wir bald, daß wir in eine richtige Wildnis kamen. Lebensmittel hatten wir fast gar keine. Wir versuchten in Puerto de Casado etwas für die weitere Reise zu bekommen. Es war Sonntag, und die kleine Eisenbahn oder Tram sollte schon am nächsten Morgen um 6 Uhr uns weiter nach km 145 bringen. Also war keine Gelegenheit etwas für die Gemeinschaft zu besorgen. Man sagte uns, daß wir unterwegs etwas bekommen könnten. Das war aber nicht der Fall.
So war der Tag, an dem wir weiter fuhren, recht schwer. Es war sehr heiß, und wir hatten kaum etwas zu essen. Das Wasser war schlecht. Wir versuchten etwas Getränk zu machen. Am Abend des 30. Dezembers gelangten wir in km 145 an. Da hing wieder ein halber Ochse für uns, und wir konnten eine recht kräftige Suppe kochen. Als wir uns nun dort erkundigten, ob schon Mennoniten da seien, um uns abzuholen. Da sagte man uns: „Da werdet ihr noch eine Woche warten müssen. Es sind noch 115 km zu fahren. Die Wege sind schlecht, und jetzt feiern die Mennoniten Weihnachten und Neujahr und Heilige Drei Könige, und dann haben sie Hochzeit, und dann brauchen sie noch einige Tage, um hierher zu kommen. Da werdet ihr euch auf eine Woche hier gefaßt machen können.“ (Daran erkennt man, dass die hiesigen Paraguayer sich schon eine Meinung über "die Mennoniten" gebildet hatten)
Fortsetzung folgt